Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
brummig. „Ich melde nur meine Bedenken wegen der Geister an. Die Dämonen und Gespenster in dieser Gegend sind nicht zu unterschätzen, laß dir das gesagt sein.“
„Ach, dir liegt nur der Bratfisch zu schwer im Magen“, sagte Carberry, dann leerte er seine Muck Wein in einem Zug.
Die Unterhaltung schlief allmählich ein. Old O’Flynn teilte Martin Correa und Sven Nyberg noch als Deckswachen ein, dann begab er sich zur Ruhe. Ihm folgten Carberry und Nils Larsen und machten es sich auf dem Deck, unter freiem Himmel, bequem.
Die Zwillinge halfen dem Kutscher noch, die Pantry aufzuklaren.
„Erzähl uns noch mehr über die Andros-Geister“, bat Philip junior.
„Die Indianer nennen sie Chickcharnies“, erwiderte der Kutscher. „Rotäugige Buschgeister. Sie turnen durch das Geäst und ärgern jeden Besucher, der sich nach Andros verirrt. Auch soll es im Inneren der Insel einen unentdeckten Indianerstamm geben. Kurz, auf Andros geht es nicht mit rechten Dingen zu. Aber all das sind natürlich reine Legenden. Märchen für Erwachsene.“
„Glaubst du nicht an Übersinnliches?“ fragte Hasard junior.
„Nein, das weißt du doch“, erwiderte der Kutscher.
„Könnte nicht etwas Wahres an den Gerüchten dran sein?“
„Ach wo“, versetzte der Kutscher. „Du darfst nur das glauben, was du mit deinen Sinnen wahrnimmst. Hast du jemals ein richtiges Gespenst gesehen?“
„Im Traum“, erwiderte Hasard junior.
„Das zählt nicht“, sagte sein Bruder. „Träume sind Schäume. Ich habe schon geträumt, ich sei der König von England.“
„Träume sind Visionen“, sagte der Kutscher. „Viele Menschen haben Tagträume, und je abergläubischer sie sind, desto mehr Unfaßbares glauben sie zu sehen.“
„Wie Granddad“, sagte Philip junior.
„Das ist nun mal sein Spleen“, sagte der Kutscher. „Aber ich finde, so schlimm ist es nicht. Jeder von uns hat nun mal sein persönliches Steckenpferd. Er lebt mit seinen Geistern und Kobolden, aber seine Unkereien haben uns auch schon vor mancher Falle bewahrt.“ Eben: Old O’Flynn war ein uriges, wunderliches Rauhbein, doch auf seine ausgeprägten Sinne konnte man sich verlassen.
Am Morgen des neuen Tages, des 26. April, stand die „Empress of Sea II.“ vor der Nordspitze von Andros. Mit einiger Skepsis, aber auch mit großem Interesse blickten die Männer und die beiden Jungen auf die Strände und das tiefgrüne Dickicht. Mehr war vorläufig nicht zu erspähen, auch durch das Spektiv nicht.
Der Kutscher wies plötzlich auf einen Vogelschwarm, der im Inneren der Insel aufstieg. Durch das Spektiv erkannte er, um welche Art von Tieren es sich handelte.
„Flamingos“, sagte er. „Sie bevölkern die Binnenseen.“
„Sehr hübsch“, sagte Old O’Flynn nach einem Blick durch den Kieker. „Aber kann man die Viecher auch essen?“
„Nein“, antwortete der Kutscher. „Ihr Fleisch ist nicht genießbar.“
„Dann haben sie für uns keinen Wert, diese Flamingos“, sagte der Alte. Die Logik, die er anwendete, war wieder einmal unwiderlegbar.
„Vielleicht helfen sie uns aber bei der Orientierung“, sagte der Kutscher. „Mal sehen.“ Er holte eine Karte zum Vorschein. Diese Karte hatte ihm der Seewolf mitgegeben. Er hatte sie ihm anvertraut, weil er überzeugt war, daß der Kutscher der richtige Mann für das Erkunden dieser neuen Insel war.
Hasard hatte absolut nichts dagegen, daß sich der Kutscher auf der „Empress“ einschiffte. Er schätzte ihn als scharfen und dabei nüchternen Beobachter – ein guter Gegenpol bei Old Donegals wuchernder Phantasie. Im übrigen war Mac Pellew als zweiter Koch auf der „Isabella“. Die Meinungen der Männer über Macs Küchenkünste gingen zwar stark auseinander, aber sie waren sich zumindest einig, daß er sie nicht vergiften würde.
Der Kutscher sollte Bürge für das Auskundschaften der neuen Ufer sein. Martin sollte ihm dabei als Navigator und Steuermann behilflich sein. Die Karte würde ihnen gute Dienste erweisen, und alles, was bemerkenswert erschien, sollte der Kutscher entsprechend auf ihr aufzeichnen.
Anhand dieser Karte törnte die kleine Crew mit der „Empress“ entlang der Ostküste von Andros südwärts. Den Zwillingen fiel dabei die Aufgabe des Auslotens der Wassertiefe zu. Alle Viertelstunde sangen sie die Tiefe aus, und der Kutscher trug die Werte sorgfältig und gewissenhaft samt Kurs und Abstand von der Küste auf der Karte ein.
Der Wind wehte nach wie vor aus Nordosten. Oben in den Backbordwanten des Fockmastes stand Nils Larsen als aufmerksamer Beobachter. Immer, wenn er Verfärbungen des klaren Wassers erkannte, gab er dies an die Männer an Deck weiter. Wo es heller wurde, kündeten sich Untiefen und Riffs an. Rechtzeitig wichen sie diesen Untiefen aus und verhinderten, irgendwo aufzulaufen.
An Steuerbord wechselten weiße Sandstrände mit bis ins Wasser reichenden Waldstücken ab. Scharen von Seevögeln hatten sich inzwischen eingefunden und begleiteten kreischend die kleine Karavelle.
Carberry hatte Sir John vorsichtshalber unter Deck gebracht. Aus Erfahrung wußte er, daß es mit dem Papagei Ärger geben konnte. Entweder legte sich Sir John mit den Seevögeln an, oder aber er freundete sich mit irgendeinem Weibchen an, flatterte zur Insel und ward nicht mehr gesehen. Dann begann die lange, zeitraubende Prozedur des Wiedereinfangens. All das wollte der Profos vermeiden.
In dem klaren, türkisfarbenen Wasser sahen die sechs Männer und die beiden Jungen Dornhaie, blaue Speerfische und Meeräschen – sogenannte Bonefishs. Riesige Schildkröten paddelten vor ihnen davon.
„Eine tolle Fauna“, sagte der Kutscher. „Und irgendwie erinnert mich hier alles an Florida.“
„Hör mit Florida auf“, sagte Carberry. „Davon habe ich noch jetzt die Nase voll. Hoffentlich kriechen hier nicht auch Indianer und Schnapphähne in den Sümpfen herum.“
„Rechnen muß man mit allem“, sagte Old O’Flynn. „Aber wir haben ja unsere Drehbassen. Und unsere Handfeuerwaffen. Vor Piraten habe ich keinen Bammel, vor Indianern schon gar nicht. Höchstens vor Geistern.“
„Wenn wir auf Indianer stoßen, kann es sich nur um friedliche Leute handeln“, sagte der Kutscher. „Hier leben keine kriegerischen Stämme.“
„Das sagst du“, brummte der Profos. „Aber hoffentlich wissen das auch die Wilden. Der Busch da sieht mir verdammt nach Kannibalen aus.“
Der Kutscher lachte. „Das wird ja immer schöner. Jetzt sind es schon Menschenfresser. Du übertreibst maßlos.“
„Wir werden ja sehen“, sagte der Profos. „Wir sprechen uns in dem Punkt noch wieder, Kutscher.“
„Kutscher“, sagte Sven Nyberg. „Wie ist das nun mit den Geistern? Wo sind die rotäugigen Ungeheuer?“
„Beschwör es nicht“, sagte Old O’Flynn mit wildem Gesichtsausdruck. „Sonst fallen sie heute nacht über dich als ersten her.“
Es wurden wieder einige Vermutungen über die Inselgespenster aufgestellt, und Old O’Flynn sträubten sich die Nackenhaare. Aber er äußerte sich nicht mehr dazu und hüllte sich in finsteres Schweigen. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, dachte er.
So verstrichen die Stunden. Der Kutscher hatte die Größe der Insel richtig angegeben: Sie war riesig und schien nie enden zu wollen. Am Nachmittag öffnete sich an Steuerbord ein großer Meeresarm. Sie hatten den nördlichen Hauptwasserweg North Bight erreicht, der die Durchfahrt zur Westseite der Insel ermöglichte.
„Gut“, sagte der Kutscher. „Dieser Wasserweg ist auf unserer Karte eingezeichnet. Aber die Skizze ist doch höchst ungenau und entspricht kaum der Wirklichkeit.“
„Ich will’s wissen“, sagte Old Donegal. „Kann man hier nun durchsegeln oder nicht?“
„Man