Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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Wahrscheinlichkeit nach würden sie die „Empress“ verwarpen müssen, um sie von der Sandbank zu ziehen. Das sollte man tunlichst bei Tageslicht durchführen. Sonst saß man, sobald die „Empress“ wieder flott war, in der Dunkelheit zu schnell auf der nächsten Untiefe.

      „Ist ja schon gut“, sagte der Kutscher deshalb. „Uns hetzt ja auch keiner.“ Er erhob sich von der Last und schritt auf das Schott der Pantry zu. „Aber ich schätze, gegen ein gutes Abendbrot hat keiner was einzuwenden, wie?“

      „Her damit!“ rief Old O’Flynn. „Mir knurrt schon der Magen!“

      „Ja, einen Happen könnte ich jetzt auch vertragen“, sagte Nils Larsen.

      Carberry gab gerade die Flasche an Sven Nyberg weiter.

      „Hölle, von dem Zeug kriegt man wirklich einen Mordshunger“, sagte er.

      Der Kutscher arbeitete schnell und präzise. Aus der Pantry drangen himmlische Düfte – diesmal briet er kleingeschnittenes Gemüse in einer der Pfannen. Er gab ein paar Eier hinzu – Geschenke von Eric Winlow, der ihm vor der Abreise von Great Abaco im Vertrauen mitgeteilt hatte, daß die Legehennen der „Golden Hen“ zur Zeit beinah zu viele Eier produzierten.

      Zu dem Gemüse-Rührei gab es Brot, Schiffszwieback, Schinken, Hartwurst, Speck und andere Leckereien. Die Zwillinge trugen alles auf, und die Männer machten sich mit Begeisterung auch über diese Mahlzeit her.

      Old O’Flynn stieß zwischen dem Rührei-Gang und der „kalten Platte“ ein wohlwollendes Grunzen aus.

      „Das schmeckt“, sagte er. „Und wie schnell du das hingekriegt hast, Kutscher. Alle Achtung.“

      „Wenn man daran gewöhnt ist, eine große Crew zu versorgen, geht so was aus dem Handgelenk“, erklärte der Kutscher. „Aber das weißt du doch auch selbst, Donegal.“

      „Ja, stimmt“, sagte der Alte. „Aber ich hatte vergessen, wie gut die Sachen sind, die aus deiner Kombüse stammen.“

      „Ach, übertreib nicht“, sagte der Kutscher.

      „Los, trink noch einen Schluck Rum!“ rief der Alte fröhlich. „He, Martin!“

      Martin Correa reichte dem Kutscher grinsend die „Buddel“, aber der Kutscher genehmigte sich nur einen ganz normalen Schluck, nicht mehr.

      „So, jetzt sind die Jungs dran!“

      Der Kutscher beschloß insgeheim, sich ein bißchen an dem Alten zu rächen – wegen des besonderen „Stils“, mit dem er die Geschicke der „Empress“ und ihrer Crew zu lenken pflegte. Es würde sich schon noch eine entsprechende Gelegenheit ergeben. Natürlich noch heute abend.

      Es war die richtige Stunde, um über Geister und Elfen zu plaudern. Die Dunkelheit senkte sich über das Schiff. Aus dem Dickicht von Nordandros ertönte das Quaken von Fröschen und das Zirpen von Zikaden.

      Eine gute Geräuschkulisse, dachte der Kutscher, dann grinste er.

       8.

      Auch nach dem Essen saßen sie noch an Deck zusammen und palaverten, während die Rumflasche von Hand zu Hand ging. Die Zwillinge durften – fingerhutweise – mitziehen. Das war Old O’Flynns Order. Er vertrat die Ansicht, die Junioren müßten sich frühzeitig daran gewöhnen, ihre Kehlen zu benetzen.

      Jetzt, bei Dunkelheit, warf nur noch eine Bordlampe, die sie entfacht hatten, einen gelblichen Lichtschein über das Deck. Es wurde ein bißchen gruselig. Genau das war die Atmosphäre, die der Kutscher für seine Geschichtchen brauchte.

      Hin und wieder mischte sich in die Geräusche, die aus dem Urwald herübertönten, das Kreischen eines Vogels. Und den Männern und den beiden „Junioren“ entgingen auch die Schatten nicht, die über die „Empress“ hinwegsegelten.

      „He, was ist denn das?“ fragte Sven Nyberg.

      „Na, Fledermäuse“, erwiderte Nils Larsen. „Ist doch logisch.“

      „Ist es nicht“, brummte Carberry. „Kannst du etwa erkennen, daß es Fledermäuse sind?“

      „Nein“, erwiderte Nils.

      „Na bitte. Was man nicht genau weiß, soll man nicht behaupten“, sagte der Profos. Der Rum hatte sein Hirn schon ein wenig umnebelt – aber wirklich nur ein ganz kleines bißchen.

      „Es könnten auch Vampire sein“, sagte der Kutscher.

      „Was für Dinger?“ fragte Old O’Flynn.

      „Hast du noch nie etwas von den berüchtigten Blutsaugern gehört?“ fragte der Kutscher.

      „Doch“, entgegnete der Alte. Er nahm schnell noch einen Schluck aus der Flasche, die gerade wieder zu ihm zurückkehrte. „Du meinst – die gibt es hier?“

      „Auf Andros ist alles möglich“, erwiderte der Kutscher. „Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Vielleicht sind es auch die Chickcharnies, die durch die Nacht geistern.“

      Old O’Flynn sah sich unwillkürlich nach allen Seiten um.

      „Red doch keinen Quatsch“, sagte er.

      Wieder überrieselte es ihn eiskalt. Er konnte nichts dagegen tun, er war für solche Spuksachen nun mal sehr empfänglich.

      „Die Chickcharnies sind bahamische Elfen“, sagte der Kutscher seelenruhig. „In den Erzählungen der Eingeborenen heißt es, daß sie mit den Menschen gern ihren Schabernack treiben. Sie sollen drei Finger, drei Zehen, furchtbare rote Augen, Federn und Bärte haben.“

      „Schockschwerenot“, sagte Old O’Flynn. Sein Blick huschte wieder hin und her. „Ich hab’s geahnt. Ich kenne das doch. Sie sind überall. Aber hoffentlich greifen sie die ‚Empress‘ nicht an. Jetzt, da wir hier festsitzen.“

      „Kobolde“, sagte der Kutscher. „Drachen und polypenähnliche Ungeheuer – all das soll es auf Andros geben.“

      „Nord-, Mittel- oder Südandros?“ fragte Martin Correa vorsichtshalber.

      „Ach, einfach überall.“

      „Das stand in deinem dicken Wälzer?“ fragte Carberry.

      „Ja“, entgegnete der Kutscher. „Das und noch mehr. Und denkt mal an den Namen der Insel, die die Spanier ihr gegeben haben. Insel des Heiligen Geistes.“

      Martin erhob einen Einwand. „Damit ist aber doch der Heilige Geist aus der Bibel gemeint.“ Er sah, daß die anderen grinsten, begriff, grinste selbst und schwieg.

      Old O’Flynn hatte überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, was Martin gesagt hatte. Er nahm nur die Worte des Kutschers auf. Elfen, Kobolde, Geister und Dämonen, grausige Hexen und gräßliche Zerberusse, Polypen und Drachen, er sah sie überall. Sie krochen durch den Dschungel, glitten in die Fluten, segelten durch die Lüfte. Entsetzlich! Wieder schaute er sich hastig nach allen Seiten um.

      Irgendwo stieß ein Nachtvogel jaulende Laute aus. Unter Deck der „Empress“ waren rätselhafte Laute zu vernehmen. Jetzt verging auch Carberry das Grinsen. Richtig unbehaglich wurde ihm zumute.

      „Was, zum Teufel, ist das?“ fragte er.

      „Das unter Deck ist Sir. John“, erwiderte Hasard junior. Er hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen. „Du hast ihn selbst nach unten verbannt, Ed, hast du das vergessen?“

      „Gar nichts habe ich vergessen“, brummte der Profos. Er ging nach unten und holte den Papagei. Sir John flatterte sofort zu ihm auf die Schulter und kniff ihn mit dem Schnabel ins Ohr.

      „Entenärsche, lausige!“ schnarrte er. „Anbrassen und hoch an den Wind!“

      „Sag mal, mußt du hier unten herumkrakeelen?“ fragte ihn sein Herrchen. „Immer mußt du für Ärger sorgen. Das nächste Mal laß ich dich gleich in den Urwald fliegen, du Rabenaas.“ Carberry


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