Revierkampf. Frank Goldammer
man sich einfach so bewerben?«, fragte Tauner.
»Ich glaub schon, bin mir nicht sicher, fragen Sie da lieber mal den Wittstock. Der stellt die Leute ein und entscheidet, wer nach der Lehre übernommen wird. Martina hat damals auch …« Flieger verstummte abrupt, und Tauner, der sogleich vermutete, ihm würde etwas verschwiegen, erkannte im Spiegel, dass Flieger wohl gerade eben von der Realität eingeholt worden war.
»Warum hat Wittstock so energisch darauf bestanden, dass Sie Ihre Differenzen mit Bormann vor mir zurückhalten?«, fragte er, um Flieger gar nicht erst in zu tiefe Trauer fallen zu lassen.
»Das liegt doch auf der Hand, der Fall ist offensichtlich, und Sie mussten doch gleich die falschen Schlüsse ziehen!« Flieger verzog gequält das Gesicht.
Tauner musste erst einmal nachdenken, wie er das verstehen sollte. »Sie haben jetzt etwas gesagt, von dem Sie glauben, Wittstock sieht das so? Der Fall ist für Sie nicht wirklich offensichtlich. Sie selbst haben ja gleich vermutet, Bormann hätte seine Hände im Spiel!«
»Ja, das habe ich im ersten Affekt gesagt«, flüsterte Flieger.
Uhlmann war auch noch wach. »Nun sind Sie aber zu uns gekommen! War das der zweite Affekt?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich will nicht behaupten, Bormann hätte etwas damit zu tun. Mir kam der ganze Unfall seltsam vor und je länger ich darüber rede, desto dümmer fühle ich mich.«
»Viele Menschen brauchen nach dem Tod von einem geliebten Menschen jemanden, dem sie die Schuld geben können. Offenbar hilft das ein wenig über den ersten Schmerz. Jedoch passieren Dinge manchmal einfach, und es gibt nichts zu hinterfragen. Müssen wir da nicht raus?« Uhlmann zeigte auf ein Abfahrtsschild, Tauner bremste ab und wechselte die Spur.
Die Eltern der toten Tierpflegerin wohnten in einem kleinen Häuschen am Waldrand in der Nähe von Neschwitz. Das Grundstück sah gepflegt aus, das Häuschen selbst schien sich unter den Tannen zu ducken. Als Tauner den BMW auf das Grundstück lenkte, kam hinter dem Haus ein älterer weißhaariger Mann gelaufen, an der Hausecke blieb er stehen. Er hielt eine Schaufel wie ein Gewehr quer vor der Brust, als sei er bereit zuzuschlagen, machte jedoch einen eher lächerlichen als einen gefährlichen Eindruck.
»Ihr Vater«, flüsterte Flieger und fühlte sich offensichtlich nicht wohl. Ganz im Gegenteil, auf Tauner machte er den Eindruck, als müsste er sich gleich erbrechen. Deshalb kletterte er schnell aus dem Wagen und öffnete Flieger die Tür.
Als der Vater von Martina Weigelt Flieger erkannte, stellte er die Schaufel auf dem Boden ab. So wie er sie jetzt hielt, konnte man meinen, er brauchte sie als Stütze. »Du kommst zu spät!«, rief er aus und drehte sich um.
Flieger stand hilflos neben dem Auto, Schweiß perlte auf seiner Stirn.
»Wie meint er das?«, fragte Uhlmann, nachdem er sich ächzend aus dem Wagen gestemmt hatte.
»Sie wissen es wahrscheinlich schon«, sagte Flieger leise. »Ich sag es ja, die können mich nicht ausstehen.«
Mussten sie auch nicht mehr, dachte Tauner leicht erzürnt, denn nun waren sie völlig sinnlos eine Stunde lang gefahren. »Herr Weigelt, warten Sie!«, rief er. Er wollte nicht einfach stehen gelassen werden, auch wenn der Alte nicht wissen konnte, dass er Polizist war.
»Die heißen nicht Weigelt, die heißen Ambach, Rudolf und Helene Ambach.«
Besten Dank, dachte Tauner. »Herr Ambach!«, rief er und lief dem Alten nach. Er fand ihn in einem Gärtchen hinter dem Haus. Dort jätete er im Beet Unkraut, die Schaufel stand an die Hauswand gelehnt.
Der Alte richtete sich auf. Aus der Nähe schätzte Tauner ihn auf Mitte 70. »Wer sind Sie denn? Wir brauchen kein Bestattungsunternehmen! Ihr seid ja wie die Scheißfliegen!«
»Mag sein, dass ich Ihnen so vorkomme, aber ich bin Polizist!« Tauner zwang sich ein halbes Lächeln auf, den Rest wollte er sich für Frau Ambach aufheben.
»Und was wollen Sie schon wieder?« Der Alte sah zum Haus.
Tauner folgte seinem Blick, konnte allerdings nichts erkennen, das für ihn von Belang war. »Wieso wieder, waren schon die Kollegen da?«
Der Alte wurde ungehalten. »Ich meinte, was wollen Sie?«
Ja was, dachte Tauner in einem leichten Anflug von Panik. »Wir sind hierher gefahren, um Sie vom Tod Ihrer Tochter zu unterrichten. Anscheinend wissen Sie schon davon.« Zu kümmern schien es sie wenig, dachte Tauner.
»Natürlich!«
»Wer hat es Ihnen erzählt?«
»Es hat sich herumgesprochen. Wenn dieser Scheißkerl es nicht über sich bringt, uns wenigstens anzurufen. Wir haben es beim Bäcker erfahren, vorgestern. Es stand in der Zeitung, und viele kommen nicht infrage, wenn bei den Orang-Utans eine 50-jährige Frau ums Leben kommt. Ich hab ihr gesagt, sie soll sich etwas anderes suchen. Diese hinterhältigen Mistviecher, es musste ja so kommen.«
»Es war ein Unfall!«
»Ein Unfall, ist klar!« Der Alte lachte auf und winkte ab. »Der hat sie umbringen wollen. Die sind schlau! Haben Sie die mal beobachtet? Ihnen mal in die Augen gesehen? Die wissen, was Sie denken! Die wissen das besser als Sie selbst! Ich lasse mich nicht von denen täuschen. Der Drecksack sollte eingeschläfert werden!«
»Rudolf«, rief vom Haus eine Frau.
Ambach wandte sich von Tauner ab und setzte seine Gartenarbeit fort. Tauner ging zu Frau Ambach, die aus dem Fenster sah. »Mein herzliches Beileid. Ich bin von der Kriminalpolizei Dresden. Ich soll den Unfall untersuchen.«
»Und was machen Sie dann hier?«, fragte die alte Frau entrüstet. Sie hatte schmutziggraue Haare und ihr Mund schien versteinert.
Das war keine nette Omi, dachte Tauner alarmiert und investierte ein ganzes Lächeln. »Vielleicht können Sie ein paar Aussagen über die persönlichen Verhältnisse Ihrer Tochter machen.«
Die Ambach beugte sich aus dem Fenster und verengte ihre Augen zu Schlitzen. »Glauben Sie, der Flieger hat sie umgebracht?«, flüsterte sie.
Tauner beugte sich ebenso vertraulich nach vorn. »Er hätte den geringsten Grund dazu, oder? Vielleicht hatte der Herr Bormann seine Hände im Spiel?«
Ambach schüttelte bedächtig und doch bestimmt den Kopf. »Das glaub ich nicht, der hätte eher dem Flieger den Hals umgedreht.«
Tauner speicherte diese Aussage als nutzlos ab, er hatte sich nicht wirklich etwas erhofft. Was auch immer der Flieger zu sagen gehabt hatte, es war eine Art Schockreaktion, da hatte der dicke Uhlmann schon recht. »Ich habe gehört, Ihre Enkel stehen Ihnen nicht sehr nahe? Hatten Sie einen guten Kontakt zu Ihrer Tochter?«
Frau Ambach wich ein paar Zentimeter zurück. »Sie stellen hier recht persönliche Fragen!«
»Ich frage mich nur, ob die Kinder von Frau Weigelt es schon wissen.«
»Bestimmt, der Zoodirektor wird es ihnen schon gesagt haben.« Frau Ambach sah an Tauner vorbei, und Tauner folgte dem Blick mit einer halben Drehung. Wie zufällig war ihm Herr Ambach näher gekommen, hielt seine kleine Unkrautharke in der rechten Hand.
Tauner trat ein wenig zurück, einfach nur, um beide im Blick zu haben. »Es ist kein Geheimnis, Sie können Flieger nicht ausstehen.«
Das war das richtige Thema für Herrn Ambach. »Er ist ein Feigling, ein Schleicher, er kommt sogar mit Polizeischutz zu uns.« Ambach lachte böse. »Der soll sich trauen, zur Beerdigung zu kommen.«
Nun hielt es Tauner für angemessen, sich einzumischen, schließlich wollte er von Pia nicht genötigt werden, zur Beerdigung zu gehen, um Flieger zu beschützen. »Immerhin hat Ihre Tochter sich den Mann ausgesucht.«
»Meine Tochter hat schon viele seltsame Entscheidungen getroffen«, sagte Frau Ambach leise, dann zog sie sich zurück und schloss das Fenster.
»Da geht’s zum Tor!«, sagte Ambach und deutete in die entsprechende Richtung.