Revierkampf. Frank Goldammer

Revierkampf - Frank Goldammer


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sich herangezogen und sie gewürgt. Frau Stern hatte versucht, die Hände des Affen vom Hals der Frau zu lösen, war an der puren Kraft des Tieres gescheitert und entsetzt davongelaufen, was ihr keiner übel nahm. Der Zoo selbst sprach von einem tragischen Unfall. Die Sicherheitsvorkehrungen würden noch einmal überprüft, doch es war niemandem eine bestimmte Schuld zu- oder nachzuweisen.

      Pia haute Tauner eine Tasse Kaffee auf den Tisch, wie sie es fast immer tat, um zu zeigen, dass er sich ihn selbst holen konnte. Tauner ignorierte das wie immer. »Die kriegen jetzt echt Probleme!«, meinte Pia und legte Tauner eine Ausgabe von Deutschlands größtem Boulevardblatt auf den Tisch.

      »›PETA beklagt falsche Tierhaltung‹«, las er. Nichts Neues, dachte er sich dabei. »War doch klar, die machen immer gleich Betrieb, wenn sich ihnen eine Gelegenheit bietet.«

      Pia wollte sich ihre Schwarzmalerei nicht gleich vermiesen lassen. »Die rufen zur Demonstration auf! Die wollen sich morgen da treffen und so etwas wie eine Mahnwache halten. Ich hab das im Internet gelesen.«

      »Soll ich etwa was dagegen tun?«, fragte Tauner seine Schreibkraft.

      Pia ging nicht darauf ein. »Warum, glaubst du, hat er sie umgebracht?«

      Tauner hob die Schultern, darüber hatte er schon zwei Nächte lang nachgedacht und war zu keinem Schluss gekommen. »Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem es gefährlich ist, in den Löwenkäfig zu klettern. Weil er konnte. Weil er sie erwischt hat.«

      »Das ist nicht ganz logisch. Affen fressen kein Fleisch, zumindest keine Orang-Utans.« Pia wollte sicher rüberkommen, schaffte es jedoch nicht ganz. »Soviel ich weiß«, fügte sie hinzu.

      »Wie gesagt, der Inspektor meinte auch, Menschenaffen gelten als die gefährlichsten Zootiere. Das Orang-Utan-Männchen hat sie erwischt, weil sie unvorsichtig war, und hat sie umgebracht.«

      »Das sind doch keine Mörder, dahinter steckt doch keine Tücke.«

      »Was quatschst du mich denn voll damit?«, knurrte Tauner. »Ich hab es doch gesehen! Außerdem hat keiner von ›Mord‹ geredet. Er hat es eben getan, einfach so.«

      Jetzt war Pia beleidigt. »Was sollen die denn auch sonst tun, wenn sie den ganzen Tag eingesperrt sind!«

      Tauner schob seinen Kaffee weg. »Du tust ja gerade, als sei ich daran schuld.«

      »Hättest du eigentlich geschossen, wenn du deine Waffe mitgehabt hättest?«, fragte Uhlmann.

      Tauner schrieb sich in Gedanken eine Notiz, niemals mit seinem Kollegen einen Porzellanladen aufzusuchen. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hab instinktiv nach der Pistole gegriffen, hätte wahrscheinlich nicht geschossen, da standen über Hundert Menschen. Hätte ich einen Gitterstab getroffen, wäre der Schuss als Querschläger vielleicht in die Menge geknallt. Ich will gar nicht daran denken.«

      »Du hättest ihn abgeknallt, stimmt’s?« Pia lächelte wütend.

      Tauner atmete tief durch. »Pia. Ich selbst habe es nicht geglaubt, aber so wie es aussieht, hat er sich die Frau geschnappt und sie glatt erwürgt. Es tut mir leid, es ist so. Und wenn du jetzt gegen Zootierhaltung bist, geh eben demonstrieren morgen. Ich überlege mir, ob ich Urlaub einreiche. Wenigstens ein paar Tage. Ich muss mich wohl bei meinen Kindern wieder einkratzen. Tom und Sandy haben noch eine Woche Ferien und vielleicht kann Nicole freimachen.«

      »Soweit ich weiß, hat Sandy einen Ferienjob.« Pia senkte die Augen und wurde rot.

      Tauner verengte die Augen zu Schlitzen. »Habt ihr miteinander gesprochen?«

      »Nein«, antwortete Pia zögerlich.

      »Du hast nicht mit Nicole gesprochen. Mit wem denn? Mit meiner Ex?«

      Uhlmann wendete rückwärts im Porzellangeschäft. »Es ist nicht verboten!«, meinte er dazu. »Nur weil ihr in Scheidung lebt.«

      »Ich hab doch gar nichts …« Tauner verstummte, weil das Telefon klingelte, und lenkte seine Wut von Pia auf den Anrufer. »Was denn?«, schnauzte er in den Apparat. »Ein Flieger? Herr Flieger? Ach ja, ich schicke jemanden!« Tauner legte auf und sah Pia an.

      Die verschränkte ihre Arme trotzig. Uhlmann hob provokativ die Augenbrauen und rührte sonst keinen Muskel.

      »Geh ich eben selbst!«, zischte Tauner.

      Hermann Flieger wirkte zerfahren und sah sich im Gebäude um, als erwartete er jeden Moment, angegriffen zu werden. Tauner hatte ihn gebeten zu schweigen, bis sie im Büro waren, nun waren sie angekommen, und Flieger schwieg noch immer.

      Uhlmann beugte sich vor und lächelte. »Also was nun, Herr Flieger. Hat Sie jetzt der Mut verlassen?«

      Tauner hielt sich zurück. Uhlmann hatte auf bestimmte Menschen eine besondere Wirkung. Vor ihm verloren sie die Hemmung, wahrscheinlich weil er irgendwie wie ein großer Bruder schien. Ein ganz großer Bruder und ein dicker dazu. Manchmal schienen die Krümel in seinem Bart das Tüpfelchen auf dem i zu sein. Und da sollte mal jemand sagen, er wäre nicht lernfähig, dachte sich Tauner. Guter Bulle, böser Bulle, dachte er. Früher war er immer der gute gewesen.

      Flieger schnaufte. Er war ein hagerer Mann in Tauners Größe, der die 50 offensichtlich überschritten hatte. Während er in Arbeitskleidung ausgesehen hatte wie ein zäher, sehniger Bergsteiger, wirkte er in Zivil einfach nur leicht unterernährt. Er hatte kurzes helles Haar und trug nun eine Brille, die nicht gerade das neueste Modell war, und auch nicht das zweitneueste. »Es ist nicht einfach«, sagte er leise, und Tauner wusste, was er damit meinte. Sich etwas vorzunehmen, ist das eine, es durchzuziehen das andere.

      Schon verlor er die Geduld und beschloss, die Sache ein wenig zu forcieren. »Sie haben am Sonnabend gegenüber Bormann etwas angedeutet, sind Sie deshalb hier?«

      Flieger wiegte erst den Kopf, bevor er nickte. »Haben Sie vielleicht etwas zu trinken?«, fragte er fast jämmerlich.

      Falk hörte durch die geschlossene Tür, wie nebenan ein Stuhl zurückgeschoben wurde und ein Glas leise klirrte. Er wechselte mit Uhlmann einen belustigten Blick. Dann kam Pia mit einem Glas Wasser.

      Flieger trank mit zitternden Händen und stellte das Glas so vorsichtig ab, als könne es bei der Berührung mit dem Tisch explodieren.

      Wer gleich in die Luft ging, war Tauner. »Herr Flieger!«, mahnte er und zog sich den Unwillen seines Kollegen zu. Seit man ihm einen Tumor aus dem Kopf hatte schneiden müssen, glaubte er immerzu, die Zeit renne ihm davon.

      »Wissen Sie, warum ich hier bin, ist nicht einfach zu erklären. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich … also ich will Bormann nicht …« Flieger atmete durch. »Also ich und Martina, wir sind seit einer Weile ein Paar … gewesen.« Flieger schluckte und kämpfte mit sich.

      Es fiel ihm wirklich nicht leicht, dachte Tauner und beschloss, dem Mann Zeit zu geben. Auch wenn es aussah, als würden sich seine Urlaubspläne gerade zerschlagen, und auch wenn es aussah, als würde Flieger keinen einzigen Satz abschließen können.

      »Vorher war Bormann mit ihr zusammen«, schaffte Flieger zu sagen.

      »Das ist interessant, aber was hat das mit dem Unfall zu tun?«, meinte Uhlmann brüderlich.

      »Ja, er war noch mit ihr zusammen, da waren sie und ich schon … also das ging fast ein Jahr so. Sie hat es ihm erst vor einer Weile gesagt. Also genau genommen kurz vor Weihnachten. Er war wütend, also richtig wütend, verstehen Sie?«

      »Ich verstehe das«, sagte Uhlmann schnell, wahrscheinlich um Tauner zuvorzukommen, aus Angst, er könnte den armen Kerl zu sehr einschüchtern. »Bloß, Bormann war gar nicht anwesend, als der Unfall passierte.«

      Flieger holte tief Luft und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist auch alles falsch, das wollte ich gar nicht sagen. Ich bin nur so … ich war so lange allein und dann war ich so glücklich und jetzt … ich bin nicht wegen Bormann hier!«

      »Na, warum dann?«, fuhr Tauner den Mann an, ehe Uhlmann und er sich selbst daran hindern konnten.

      Flieger


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