Revierkampf. Frank Goldammer

Revierkampf - Frank Goldammer


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ihre Füße und sie hörte auf, sich zu wehren. Und da ließ er sie los. Wissen Sie …« Jetzt verlor Nora Stern die Kontrolle über ihre Gefühle. »Der hat sie einfach so fallen gelassen … einfach wie Müll … oder …«

      Tauner erhob sich und versuchte ein wenig linkisch, die Frau zu trösten, indem er ihre Schulter tätschelte.

      Bormann betrat das Zimmer und sah aus, als hätte er nicht damit gerechnet, hier jemanden vorzufinden. Tauner gab ihm ein Zeichen hereinzukommen. Der Pfleger warf einen prüfenden Blick auf die weinende Frau.

      »Als Sie ankamen, war da Frau Stern bei der verunglückten Kollegin?«

      Bormann schüttelte den Kopf.

      »Und als Sie kamen, lag da Frau Weigelt schon am Boden?«

      »Glauben Sie mir etwa nicht?«, fuhr Nora Stern plötzlich auf.

      Tauner schenkte ihr einen traurigen Blick. Er glaubte niemandem etwas. Manchmal glaubte er sich selbst nicht. Und immer wieder stellte er im Nachhinein fest, wie sehr er bestimmte Menschen damit verletzte. »Ich versuche nur, die Fakten zu sortieren. Wenn ich es nicht mache, tut es ein Kollege. Hätten Sie die Polizei auf dem normalen Wege gerufen, täten die nichts anderes.«

      Stern sah ihn mit bebenden Lippen an. »Haben Sie mir denn etwas vorzuwerfen?«, flüsterte sie.

      Bestenfalls unterlassene Hilfeleistung, dachte Tauner sich. Doch er wollte keinen Missmut hineinbringen. Er selbst war noch viel zu aufgeregt. Denn im Gegensatz zu den Toten, die er sonst zu Gesicht bekam, war diese Frau mehr oder weniger vor seinen Augen gestorben. Schließlich schüttelte er den Kopf.

      Bormann war in der Zwischenzeit zur Anrichte gegangen und lehnte sich dagegen. Er starrte den gefliesten Boden an.

      »Warum hat Ihr Kollege das gesagt?«, fragte Tauner.

      Bormanns Augen hoben sich müde und sahen Tauner fragend an.

      »Dieser Flieger, warum hat der das gesagt, das hätten Sie mit Absicht gemacht?«

      Bormann verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Ich …«

      »Das ist eine interne Sache, Herr Hauptkommissar!«, mischte sich Zooinspektor Wittstock ein. Er hatte offenbar die ganze Zeit hinter der Tür gestanden. »Das geht Sie nichts an, und es hat, wie Sie selbst sagten, mit der Sache nichts zu tun. Menschenaffen gelten als die gefährlichsten Zootiere überhaupt, und was wir hier haben, ist ein tragischer Unfall. Wie es zu dem Unfall kam, müssen wir klären. Wahrscheinlich läuft es auf Fahrlässigkeit hinaus. Sie selbst haben es gesehen, sagen Sie.«

      Tauner wollte auffahren, denn er entschied, was er hören wollte und was ihn anging, doch dies war erstens wirklich ein Unfall gewesen und zweitens fiel ihm in diesem Moment etwas sehr Wichtiges ein. »Oh Mann«, stöhnte er und erhob sich, um an Wittstock vorbei nach draußen zu gehen. Doch der Notarzt stellte sich ihm in den Weg. Er hielt ein Papier in der Hand. Tauner erkannte ein Protokoll. Er nahm Tauner am Ärmel und zog ihn sanft von der Tür zur Futterküche weg. »Ich hab die Todeszeit eingetragen, Todesursache unklar.«

      Tauner nickte.

      »Die haben unheimliche Kraft, was?« Der Notarzt deutete nach hinten. »Der hätte ihr den Kopf abdrehen können. Ich habe mal einen Fernsehbericht gesehen. Die haben Kraft wie drei Männer.«

      »Ja, furchtbar!«, sagte Tauner, ließ den Mann stehen und eilte nach draußen. Er lief um das Haus, wo sich eine erstaunliche Menschenmenge angesammelt hatte, und sah sich um. Dann nahm er sein Handy hervor und wählte eine Nummer. »Nicole? Wo seid ihr denn?«

      3

      »Ja, was hättest du denn tun sollen?«, fragte Uhlmann. »Konntest ja nicht einfach abhauen.«

      Tauner wunderte sich über den unerwarteten Zuspruch. Der Montag war jung und roch nach Kaffee im Büro. Den Sonntag hatte er damit verbracht, seinen Kindern nachzutelefonieren, die allesamt beleidigt waren.

      Pia war nicht ganz einverstanden. »Du hättest wenigstens mal kurz nach draußen gehen können, um ihnen zu sagen, dass es länger dauern wird. Oder anrufen.«

      Uhlmann wedelte den Einwurf fort. »Wenn er doch zu tun hatte, du weißt selbst, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man Stress hat. Die sollen sich nicht so haben, immerhin ist da gerade eine Frau gestorben. Eigentlich sollten sie stolz auf ihren Vater sein, weil er versucht hat, sie zu retten.«

      Tauner konnte seinen erstaunten Blick nicht von seinem Kollegen losreißen. Diese Gemengelage gab es nicht oft, dass beide Kommissare mit einer Stimme gegen Pia sprachen. Es war ihm suspekt. Uhlmann war sonst prinzipiell gegen Tauner. »In dem Moment«, murmelte er, »habe ich sie total vergessen.«

      Pia seufzte hörbar. Wenn man sie ließe, würde sie mit einer riesigen Tube Leim die Familie Tauner zusammenkleben. Bei Falk hinterließ Pias Verhalten immer das fade Gefühl, als hielte sie ihn für nicht reif genug, um für sich selbst entscheiden zu können. Er kostete von seinem Kaffee, der bitter schmeckte. Genauso bitter wie der Gedanke, dass Pia vollkommen recht hatte. Doch was hätte er diesmal anders machen können? Nichts!

      Pia hatte sogleich den toten Punkt erkannt, an dem dieses Gespräch angelangt war, und wechselte das Thema. »In der Zeitung haben sie geschrieben, die Orang-Utans würden falsch gehalten und dass am Sonntag 30 Prozent mehr Besucher in den Zoo kamen. Ob sie den Affen jetzt einschläfern?«

      Tauner schüttelte den Kopf. »So etwas machen die heutzutage nicht mehr. Das war ein Unfall, und die Pflegerin war selbst dran schuld. Der Fall ist bei Staatsanwältin Diekmann-Wachte angekommen und die hat ihn gleich geschlossen. Die Doktor Rensing hat im Prinzip alles bestätigt.«

      »Im Prinzip?«, fragte Uhlmann.

      Tauner nickte in sich rein. »Sie hat alles bestätigt. Die Frau ist von dem Affen regelrecht erwürgt worden. Er hat ihr nicht nur die Luft, sondern auch die Blutzufuhr zum Gehirn abgeschnitten. Wie lang das Ganze ging, versuchen unsere Leute herauszufinden. Einige Besucher sagen, es hat schon zehn Minuten gedauert, ehe ich eingeschritten bin. Die hätte wahrscheinlich keiner mehr retten können. Letztlich ist das jetzt Sache der Berufsgenossenschaft, alles aufzuklären. Die Rensing lässt im Labor die Blutproben auswerten, ich denke, das wird es dann auch gewesen sein. Wieso denn eigentlich zwei Kinder?« Der letzte Gedanke war Tauner gerade eben erst gekommen.

      Dementsprechend machte Pia eine erstaunte Miene.

      »Die Weigelt, die Tote, die war doch schon 50 oder so.«

      Pia schlug die Zeitung auf und überflog die Zeilen. »Zwei Kinder, steht hier. Vielleicht sind die schon erwachsen. Vielleicht hat sie auch erst spät angefangen.«

      »Vielleicht hat die Zeitung keine Ahnung«, mischte sich Uhlmann ein. Dann kam auch ihm ein Gedanke. »Ich hab übrigens heut Morgen einen neuen ›Tag‹ entdeckt, direkt vor unserer Haustür.«

      Tauner starrte seinen Kollegen eine Weile an und hoffte, der Aha-Effekt setze bei ihm ein, doch Uhlmann wurde die Zeit zu lang. »Dein Sprayer! Der hat wieder zugeschlagen. Direkt hier unten am Stromkasten. Wenn du aus dem Fenster siehst, rechts. Die aus der Abteilung Graffiti sagen, der Typ wäre einer der ganz Fleißigen. Lässt fast jeden Tag einen stehen. Vorausgesetzt, es ist immer derselbe.«

      Tauner zuckte unwillkürlich mit den Achseln. »Was hat er denn davon? Wie ein Köter, der alle Ecken anpinkelt.«

      Uhlmann zwinkerte bestätigend. »Ganz genau das ist es auch. Er hat auch schon zwei große Graffiti abgesetzt, beide an S-Bahn Waggons, das bringt in den einschlägigen Kreisen den meisten Ruhm. Auf einem Abstellgleis beim Hauptbahnhof, dort, wo Polizei und Wachschutz patrouilliert.«

      »Und, glaubst du, er hat das mit Absicht gemacht. Also wegen mir?«

      »Na klar. Du kannst mich mal, soll das heißen.« Uhlmann lachte und machte sich über ein Brötchen her.

      4

      Der nächste Morgen brachte keinerlei neue Erkenntnisse. Tauners Kinder waren weiterhin beleidigt, und die Laboranalyse vom


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