Jenny Marx. Marlene Ambrosi
und war auch vom Äußeren her eine imponierende Erscheinung. Beide waren am weiblichen Geschlecht sehr interessiert, aber nur einer durfte sich frei ausleben. Aus Sicht mancher Zeitgenossen war Engels ein frivoler Mensch, denn er führte ein unkonventionelles Privatleben; lange Jahre lebte er mit Mary Burns in wilder Ehe zusammen, und auch deren Schwester Lizzie lebte in Manchester in diesem Haushalt.
Die Freundschaft mit Marx wurde im Elternhaus von Engels stets mit größter Skepsis verfolgt, aber die Eltern gaben nicht auf, den Sohn dessen negativem Einfluss zu entziehen; im Gegenteil, der Vater sicherte Friedrichs Existenz durch eine Anstellung in der Baumwollspinnerei Ermen & Engels. Friedrich Engels sen. war zuversichtlich, der Sohn werde seine Hirngespinste mit fortschreitendem Alter aufgeben und ein tüchtiger Kapitalist werden. Diesen Wunsch erfüllte ihm der Sohn tatsächlich – und blieb doch zeitlebens seiner überzeugung treu. Elise Engels, die seinen Weg mit mütterlicher Sorge begleitete, erhielt 1871 hierfür einen Beweis. Sohn Friedrich bat seine Mutter, die in ihrer Zeitung über die Gewaltbereitschaft der französischen Kommunarden gelesen hatte, nicht alles zu glauben, was dort stehe und vor allem solle sie sich nicht aufhetzen lassen. 40.000 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, seien von den Versaillern nach der Entwaffnung massakriert worden; aber darüber spreche in der Presse niemand. Nur über die Gräueltaten der Anderen, zu denen er sich zähle, ereifere man sich. Der Sohn betonte: „Daß ich an meinen Ansichten, die ich seit bald 30 Jahren habe, nichts geändert hatte, wußtest Du, und es mußte Dir auch nicht unerwartet sein, daß ich, sobald die Ereignisse mich dazu nötigten, sie nicht nur vertreten, sondern auch sonst meine Schuldigkeit tun würde. Du würdest Dich meiner schämen müssen, wenn ich es nicht täte. Wenn Marx nicht hier wäre oder gar nicht existierte, so würde das an der Sache gar nichts ändern. Es ist also sehr unrecht, ihm dies in die Schuhe zu schieben, ich erinnere mich aber freilich auch, daß früher Marx’ Verwandte behaupteten, ich hätte ihn verdorben.“9
Nach Ausbruch der Revolution 1848 war Engels in Köln für die „Neue Rheinische Zeitung“ tätig, hielt es allerdings nicht am Schreibtisch aus. Vom Kriegswesen fasziniert, konnte er, wie er Jenny Marx im Juli 1849 schrieb, „der Lust nicht widerstehn, den Krieg mitzumachen. Willich war der einzige Offizier der etwas taugte und so ging ich zu ihm und wurde sein Adjutant. Ich war in vier Gefechten, wovon zwei ziemlich unbedeutend, namentlich das bei Rastatt, und habe gefunden daß der vielgerühmte Muth des Dreinschlagens die allerordinärste Eigenschaft ist, die man haben kann. Das Kugelpfeifen ist eine ganz geringfügige Geschichte und während des ganzen Feldzugs hab’ ich trotz aller Feigheit kein Dutzend Leute gesehn die sich im Gefecht feig benahmen. Desto mehr aber ,tapfre Dummheit‘. Enfin ich bin überall glücklich durchgekommen, und au bout du compte ist es gut daß Einer von der N.RH.Z. dabei war, weil alles demokratische Lumpenpack in Baden und der Pfalz war und nun mit nicht gethanen Heldentaten renommirt. Es würde wieder geheißen haben: die Herren der N.RH.Z. seien zu feig sich zu schlagen. Von allen den Herren Demokraten aber hat sich Niemand geschlagen, außer mir und Kinkel.“10 Engels war mächtig stolz auf sich und hatte auch eine treffliche Begründung für seine freiwillige Teilnahme an den Gefechten. Nur wer an Ort und Stelle mitkämpfe, könne wirklichkeitsgetreu berichten. Im Freundeskreis nannte man Friedrich Engels später „den General“. Im Mai 1849 beteiligte er sich am bergischen Aufstand und nach dessen Scheitern beschloss er, „wenn ich von Hause einiges Geld bekomme, so geh ich wahrscheinlich nach Lausanne oder Genf und seh was ich anfange. Unsre Kolonne, die sich brav geschlagen hat, ennuyirt mich und hier kann man nichts machen. Willich ist im Gefecht brav, kaltblütig, geschickt und von raschem, richtigem überblick, außer dem Gefecht aber plus ou moins langweiliger Ideologe und wahrer Sozialist.“11 Engels ging in seinem Brief an Jenny Marx auch auf Distanz zu den anderen Revolutionären, die er ironisch-überheblich die „wahren Sozialisten“ nannte. Was waren Marx und Engels nach dieser Terminologie? Sie waren Kommunisten; denn „Kommunismus ist eine auf Wissenschaft begründete Lehre gegenüber utopischem Sozialismus und sozialer Quacksalberei wohlmeinender Bürger“12, so Engels’´ Definition im Jahre 1890. Im Rückblick auf die damalige Zeit deutete der Marx-Biograf Banning die Begriffe folgendermaßen: „Sozialismus bedeutete 1847 eine Bourgeoisiebewegung, Kommunismus eine Arbeiterbewegung. … Jener Teil der Arbeiter …, der, von der Unzulänglichkeit nur politischer Umwälzungen überzeugt, eine gründliche Reorganisation der Gesellschaft forderte, nannte sich in jenen Tagen kommunistisch.“13
Engels gelang es, sich im Sommer 1849 in die Schweiz abzusetzen, da er nicht Gefangener der sich formierenden Gegenrevolution werden wollte. Er war, wie er bei Marx verkündete, bereit, sich „vor 10.000 Jurys (zu) stellen, aber im Untersuchungsarrest kann man nicht rauchen und da geh´ ich nicht hinein.“14 Als die Eidgenossenschaft für Asylanten nicht mehr sicher war, plante Engels, sich in die „rote Republik der burgundischen Weinlese“ abzusetzen, aber Marx, dessen Ausweisung aus Frankreich angeordnet war, war damit nicht einverstanden. Er forderte: „Du kannst nicht in der Schweiz bleiben. In London werden wir Geschäfte machen. … Aber noch einmal, ich rechne sicher darauf, daß Du mich nicht im Stich lassen wirst.“15 Der große Egoist hatte gesprochen, und Engels reiste von Genua aus per Schiff nach England und trat 1850 auf Vermittlung seines Vaters bei Ermen & Engels in Manchester ein, arbeitete dort 20 Jahre und richtete sich in der kapitalistischen Welt, die er so kritisierte und die er vernichten wollte, bestens ein.
Für Jenny Marx war diese Freundschaft schicksalhaft. Kaum ein Jahr mit dem Geliebten verheiratet, musste sie erleben, dass ein anderer Mensch für ihren Mann immer wichtiger wurde. Unter Engels’´ Einfluss änderte sich die politische Grundüberzeugung ihres Mannes. Damit hatte sie kein Problem, denn Engels’´ Interesse an dem Schicksal der Unterprivilegierten berührte sie vielleicht mehr als ihren Mann und daher verwundert ihre Distanz. Es kann durchaus sein, dass Frau Marx die Ernsthaftigkeit seines Engagements in Frage stellte, weil er als Fabrikantensohn eigentlich zum Lager der Klassenfeinde gehörte. Sie gönnte ihm seinen Erfolg nicht, solange ihr Mann nicht erfolgreicher war. Marx sollte alles überstrahlen. Vor allem störte sich Frau Marx an der Person Engels. Gänzlich verurteilte sie die kolportierte Liaison à la trois, Mary, Lizzie und Friedrich. Ein Versuch, den Kontakt, mit welchen Mitteln auch immer, zu unterbinden, wäre gescheitert, denn ihr Mann hätte sich jede Einmischung verbeten und sie hätte sich für ihr kleinbürgerliches Verhalten geschämt. Sie wollte doch eine Frau sein, die ihren Mann nicht einengte. Aber in ein herzliches Einvernehmen mit dem neuen Freund ließ sie sich lange Jahre nicht ein, sondern blieb, wie es sich für eine Dame ihres Standes gehörte, reserviert.
Erst mit der Zeit gelang es Frau Marx, freundlicher und milder mit dem Vertrauten ihres Mannes umzugehen. „Wie können Sie glauben, daß ich Ihnen wegen der kleinen Kneiperei gezürnt hätte – es that mir sehr leid Sie vor Ihrer Abreise nicht mehr zu sehn, wo Sie sich denn selbst am besten überzeugt hätten, daß ich nur mit meinem hohen Herrn etwas schmollte“16, versuchte sie sich ins rechte Licht zu setzen. Die Gattin wollte sich nicht nachsagen lassen, sie habe den Freund in ihre Moralpredigt nach einem Neujahrsexzess 1852 einbezogen, sondern es sei nur ihrem Mann, dem hohen „Patient Knackrüge“, eine Lektion erteilt worden. Zu Engels: „übrigens haben solche Extraszenen oft ganz heilsame Folgen; diesmal muß sich aber der père Marx bei seiner nächtlichen philosophischen Wanderung mit dem Neffen des Erzbischofs sehr stark erkältet haben, denn er wurde ernsthaft krank und liegt bis jetzt noch ruhig danieder. … Er phantasierte während 3 Nächten und war sehr schlimm.“17 Marx war nicht so widerstandsfähig wie Engels, der nach einer durchzechten Nacht am nächsten Morgen pünktlich und fit an seinem Schreibtisch saß.
Friedrich Engels war keineswegs nur ein sympathischer Zeitgenosse: er schonte politische Gegner nicht, und für die Realisierung seiner