Big Ideas. Das Film-Buch. John Farndon
faschistischen Italien bekommt Ossessione, ein früher neorealistischer Film von Luchino Visconti, Probleme mit der Zensur.
1946
Die besten Jahre unseres Lebens von William Wyler zeigt die Probleme von US-Soldaten, sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder im zivilen Leben zurechtzufinden.
1948
Fahrraddiebe von Vittorio De Sica bietet eine neorealistische Alternative zu Hollywood, mit einer kraftvollen Geschichte, gespielt von Laiendarstellern.
Ein Kind spielt 1931 auf einer Straße in Berlin. Aus dem Schatten erklingt eine unheimliche Melodie, gepfiffen von einem Mörder.
Der erste Auftritt des Tonfilms lag schon vier Jahre zurück, doch dies ist wohl die Szene, mit der die Tonfilmära wirklich beginnt. Es geht um M – Eine Stadt sucht einen Mörder, ein düsterer Thriller des deutschen Regisseurs Fritz Lang. Dieser ergänzte bei seinem Werk die Bilder nicht einfach um Ton – er spielte mit ihm, benutzte ihn. Er machte ihn zum Erkennungszeichen einer Figur.
Anfänge des Tonfilms
Die ersten Jahre der Tonfilmära brachten der Filmindustrie zahlreiche Umbrüche. Die Karrieren vieler Stars, deren Stimmen sich als ungeeignet erwiesen, waren zu Ende und zeitweise bereitete die neue Technik derartige Probleme, dass manche Filme besser stumm geblieben wären. Doch die technischen Schwierigkeiten wurden gemeistert, neue Stars folgten nach und die Magie des Films kehrte zurück. Selbst heute sind für viele die Filme der 1930er- und 1940er-Jahre, dem Höhepunkt der klassischen Hollywood-Ära, unerreicht. Allen Traumata des Weltgeschehens – wie der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg – zum Trotz waren die Filme elegant, selbstbewusst und massentauglich. Sie waren glamourös und eskapistisch. Und sie brachten ihr Publikum zum Lachen. Während Charlie Chaplin niemals ganz zum Tonfilm überging (und Buster Keaton noch weniger), perfektionierten ihn andere. Das Publikum vergnügte sich an der verbalen Virtuosität der Marx Brothers und den schlagfertigen Screwball-Komödien.
»Wir versuchen nicht, die Kritiker zu unterhalten. Ich probiere mein Glück beim Publikum.«
Walt Disney
Monsterspektakel
Was M – Eine Stadt sucht einen Mörder für die Tonfilmära bedeutet, ist King Kong (1933) für das klassische Hollywood. Dieses monumentale Kinospektakel zeigte, dass die Studios bereit waren, die Dimensionen der Filme im Dienste aufregender Unterhaltung ins Gigantische zu steigern. King Kong erhielt seinen Platz in der Ruhmeshalle der Monster, nach den Horror-Kultfilmen Frankenstein und Dracula (beide 1931), Die Mumie (1932) und Der Unsichtbare (1933) der Universal Studios, alles beliebte Unterhaltungsfilme und brillante Filmkunst.
King Kong war großartig, aber darauf gab es kein Monopol. 1939 verblüffte Der Zauberer von Oz (mit dem gelben Ziegelsteinweg in sattem Technicolor) und begeisterte Vom Winde verweht, eine epische Romanze vor dem Hintergrund des Amerikanischen Bürgerkriegs.
Doch Europa stand wieder am Rande eines Kriegs. Ende der 1930er-Jahre bewirkte das brutale Regime der Nationalsozialisten einen Massenexodus von Regisseuren und Schauspielern nach Hollywood, darunter einige der größten Talente Europas.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Erfahrungen des Kriegs verdüsterten die Filme der Nachkriegszeit, sogar Großbritanniens seichte Ealing-Komödien wie die Mordgeschichte Adel verpflichtet (1949), mit Alec Guinness in gleich mehreren Rollen. Noch finsterer war Der dritte Mann (1949) nach Graham Greene mit seinem einzigartigen Netz aus Intrige und Verrat im Nachkriegswien.
In den USA prägte der Krimi ein neues Genre aus – den Film noir. Sein stilisiertes Spiel mit Licht und Schatten war stark vom deutschen Expressionismus der 1920er-Jahre beeinflusst und seine Femmes fatales und fatalistischen Detektive beherrschten die Kinos.
Italien brachte eine andere Sorte Film hervor. Regisseur Vittorio De Sica drehte 1948 in Rom mit Laiendarstellern Fahrraddiebe, eine Geschichte vom täglichen Überlebenskampf. Diese Art Film zündete einen Funken in allen, die ihn sahen. Doch das vielleicht einflussreichste Werk jener Zeit existierte bereits: Citizen Kane von 1941, das ehrgeizige Porträt eines Zeitungsmoguls, von der Kritik mal gelobt, mal verdammt. Orson Welles, Ko-Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Star, war 25, als er ihn schuf.
Wie auch im Jahrzehnt darauf wurde der Film von jungen Leuten neu definiert, die von seinen Möglichkeiten begeistert waren und die Vergangenheit hinter sich ließen.
WILL NICHT! MUSS!
M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER / 1931
IM KONTEXT
GENRE
Thriller
REGIE
Fritz Lang
DREHBUCH
Fritz Lang, Thea von Harbou
STARS
Peter Lorre, Otto Wernicke, Gustaf Gründgens
FRÜHER
1927 Langs Science-Fiction-Epos Metropolis ist im Ausmaß seiner futuristischen Vision bahnbrechend.
SPÄTER
1935 Karl Freund, Kameramann bei Metropolis, führt Regie bei Mad Love, einem Hollywood-Horrorfilm mit dem heute berühmtem Lorre.
1963 In dem letzten Film, an dem er mitwirkt, erscheint Lang vor der Kamera: In Jean-Luc Godards Die Verachtung spielt er sich selbst.
Viele so einflussreiche Klassiker wie Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder, ohne den es weder Psycho noch Das Schweigen der Lämmer oder Se7en gäbe, mögen enttäuschen, wenn man sie erstmals sieht. Sie wurden so oft nachgeahmt, dass sie heute abgedroschen wirken. Nicht so M – Langs meisterhafter, erfindungsreicher Thriller geht bis heute unter die Haut. Als M im Mai 1931 in die Kinos kam, waren dem Publikum die Verbrechen von Peter Kürten, in der Presse »Vampir von Düsseldorf« genannt, noch frisch im Gedächtnis. Lang verneinte später, dass Kürten ihn zu seinem Drehbuch inspiriert hätte, doch behandelte dieses ein Thema, das im öffentlichen Bewusstsein stark präsent war. Allerdings war sein Porträt eines Mörders alles andere als vorhersehbar.
Die erste Überraschung bot das Casting. Den Kindermörder mit dem wenig bekannten ungarischen Schauspieler Peter Lorre, einem kleinen Mann mit hervortretenden, seltsam unschuldigen Augen zu besetzen, verwunderte. Auch überraschte die indirekte Erzählweise des Films. M thematisiert Gerechtigkeit, ist aber keine einfache Geschichte über Verbrechen und Strafe und trotzt von Beginn an den Erwartungen.
Das einprägsame Filmplakat zeigt das »M«, das jemand dem Mörder auf den Rücken schreibt, damit er gefasst werden kann.
Bilder der Abwesenheit
Der Mord zu Beginn des Films vollzieht sich mit herzzerreißender Intensität: Während sich Beckert, nur als Silhouette