DRECKIGES GOLD. Robert Blake Whitehill
zum Meer erbaut worden und stand auf tief in den Boden getriebenen Pfosten. Im Sommer beherbergte sie flache Wasserbecken, in denen Blaukrabben bis zu dem perfekten Moment ihrer Häutung aufbewahrt wurden. Dann, wenn ihre Panzer am weichsten und ihr Fleisch am schmackhaftesten war, fischte Ben die kleinen Delikatessen heraus, legte sie auf Eis und brachte die Butterkrebse zusammen mit seinem Krustentierfang zum Markt.
Außerhalb der Saison diente die Bude eher als Schuppen. Ben sammelte dreißig Meter Leine zusammen, zwei Schaufeln, vier weitere Gemüsekisten und seine alte Tauchlampe, die neue Batterien hatte. Dann legte er alles ab und kreuzte zu Knocker Ellis' Haus hinüber.
Ellis hätte die etlichen Stege, die sein kleines Grundstück mit dem von Ben verbanden, zu Fuß bewältigen können. Er wartete zu Hause, weil es ein Marsch von einem knappen Kilometer quer durch die Bülte und Inselchen war, und er wollte LuAnna nicht über den Weg laufen. Ellis konnte Bens Steg und ihr Boot von seinem Fenster im zweiten Stock sehen. Außerdem wollte er um diese Uhrzeit keinem seiner Nachbarn begegnen. Er lag um diese Zeit normalerweise längst im Bett und jeder, der ihn sähe, würde stutzig und vielleicht neugierig werden. Obwohl er sich beinahe sicher war, dass die weiße Gemeinde seine Gegenwart nach fünfzehn Jahren letztendlich, wenn auch widerwillig akzeptiert hatte, ahnte Ellis, dass die sprichwörtliche dunkle und stürmische Nacht nicht der geeignete Zeitpunkt war, Rassenbeziehungen zu testen.
Außerhalb der Grenzen der Ströme, Bäche und Durchgangsrouten von Smith Island fiel das Ufer steil in die Bucht ab, wo kurze, heftige Wellen mit vereinzelter Gischt brandeten. Der Wind drehte hier häufig und die Böen wiesen manchmal Geschwindigkeiten von bis zu zwanzig Knoten auf. Die Gischt spritzte über Miss Dotsys Bug. Das Wetter war schlecht und konnte noch viel schlimmer werden, hielt sich aber für den Moment. Als sie unterwegs waren, band Ellis die Leinen um die Gemüsekisten. Dann inspizierte er den Luftkompressor, dessen Dichtungen, den Motor, den Auspuff, den Luftschlauch und den Atemregler. Knocker Ellis fragte: »Miss LuAnna in Ordnung?«
Ben erstickte das Thema im Keim. »Prima. Und nein, ich habe ihr nichts davon erzählt, kein bisschen.«
»Kam mir vor, als hättest du's ihr heute Abend 'ne ganze Weile lang besorgt. Kein Bettgeflüster?«
Ben konterte. »Wie steht's bei dir? Keine spät nächtlichen Anrufe bei Ex-Freundinnen, um anzugeben, was für ein toller Fang du bist?« Es war boshaft, ihm sein einsiedlerisches Leben unter die Nase zu reiben, aber Ben war sauer.
»Wem sollte ich was erzählen? Meiner Katze?«
»Du hast 'ne Katze?«
Ellis fauchte: »Da hast du's.«
Ben konzentrierte sich aufs Navigieren und machte lange, tiefe Atemzüge. Bevor er reingefahren war, um ihren Fang zu verkaufen, hatte er sich an mehreren Funktürmen am Ufer orientiert. So hässlich sie auch tagsüber waren, nachts waren die Türme praktisch. Sobald ihre Lichter sich korrekt anordneten, würde Miss Dotsy wieder über dem Austernfelsen, dem Wrack, dem Gold und der Leiche liegen. Ben und Ellis verfielen in ihr übliches Schweigen. Die Tour dauerte etwas länger als eine halbe Stunde. Als die Ausrichtung der Lichter perfekt war, warf Ben den Anker aus und quälte sich in den kalten Taucheranzug. Knocker Ellis warf den Luftkompressor an. Bevor Ben sich über das Seitendeck ins Wasser fallen ließ, klopfte Ellis ihm auf die Schulter. »Viel Glück.«
Ben nickte ihm zu.
Dann sagte Ellis: »Was ist mit den Schlüsseln?«
Ben zeigte auf seine Brust.
Ellis hielt die Hand auf. »Mächtig kalt heute. Nachts zu tauchen, kann gefährlich sein. Vor allem allein.«
Ellis hatte nicht unrecht, aber Ben gefielen weder die Andeutung noch der Ton. Er gab die Schlüssel an Ellis. »Nicht auf meinen Luftschlauch setzen.« Dann schlüpfte er in die tiefschwarze Bucht.
Ben hasste es, nachts zu tauchen. Für ihn war die Dunkelheit voller düsterer Augen und scharfzähniger Schlünde, die sich gerade außerhalb seines Lichtkegels aufhielten. Seine Angst war nicht unbegründet. Manchmal verirrten sich Haie nach einer langen Odyssee des Hungerns in die Chesapeake Bay.
Sollte ein Hai doch ruhig versuchen, Ben zu beißen. Er würde sich nichts weiter einhandeln als ein Maul voll Knorpel und Furcht. Er schwenkte die Lampe hin und her. Immer noch verschlammt, aber die Sichtweite betrug nun passable eineinhalb Meter.
Nach ein paar Sekunden, in denen er in die dunkle Leere hinabfiel, versanken seine Tauchstiefel im Boden. Doch kein Boot in Sicht. Er war sich seiner Position sicher. Vielleicht hatten die Sturmwogen es verlagert. Das Wrack war fort und alle Probleme mit ihm. Nun könnte er nach Hause gehen und sich dem Schlaf oder seiner Trauer hingeben. Er hatte am Nachmittag keine Boje hinterlassen wollen, um die Stelle zu markieren, falls jemand neugierig geworden wäre. Die Zeiten waren hart und das Austernfischen schwere Arbeit. Gerade jetzt schien das Versäumnis entweder übertrieben vorsichtig oder Glück im Unglück zu sein.
Ben machte einen Schritt zurück. Etwas tippte ihm auf die Schulter. Er wirbelte herum. Sein Herzschlag setzte aus. Das Monster hatte ihn gefunden. Der Anblick des Leichnams seines Vaters, der am Boot festgebunden war, half in keiner Weise, den Presslufthammer in seiner Brust zum Schweigen zu bringen.
Die Leiche hatte immer noch den vagen Umriss eines menschlichen Wesens. Nach ein paar Tagen im Wasser war er ansonsten kaum wiederzuerkennen. Fetzen von Fleisch. Büschel von Haaren. Knochen und zerfledderte Kleidung. Das Auge, das Ben bereits am Nachmittag angestarrt hatte, strahlte mit unverfälschter Reinheit. Bevor er die Highschool abgebrochen hatte, hatte er Poes Das verräterische Herz gelesen. Ungeachtet des Titels war es das kalte starrende Auge eines alten Mannes, wie Ben sich erinnerte, das den Erzähler zum Mörder werden ließ. Ben war sich nicht sicher, was ihn vorantrieb, aber er streckte seinen Arm aus und berührte das Auge des Toten. Sehr eigenartig. Es war hart, kalzifiziert. Unfähig, seinem bizarren Drang Einhalt zu gebieten, wühlte er um den Augapfel herum. Das Auge flutschte in einer kleinen Wolke verdickten Blutes aus seiner Höhle. Es war kleiner als ein Golfball und eigenartig rau wie ein Bimsstein. An der Vorderseite der knochigen Kugel war eine glatte Stelle mit der perfekten Darstellung einer Iris, einer Pupille und dem weißen Hintergrund, zerklüftet von verblüffend natürlich aussehenden, dünnen, roten Äderchen. Es starrte ihn aus seiner behandschuhten Handfläche an. Dann begriff er endlich. Dies war eine Prothese, die das Auge ersetzte, das Paps in einem Messerkampf verloren hatte. Jenem Kampf, der seinen Vater veranlasst hatte, von Smith Island zu fliehen.
Ben ließ das makabre Memento in seinen Sammelbeutel fallen. Gefühlsdichte Schottenverschlüsse, die in seinem Inneren für einen Moment aufgestemmt worden waren, schlugen wieder zu. Zurück an die Arbeit.
Als Erstes war die Leiche aus dem Weg zu räumen. Ben löste den Spanngurt, der den Fuß mit dem Boot verband. In dem Moment streifte er gegen etwas Schweres in der Jackentasche. Er öffnete die Tasche. Ein amerikanischer Aal von einem halben Meter Länge wand sich heraus und schlüpfte in die Finsternis.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Tasche nicht noch weiteren Meereskreaturen als Schlupfwinkel diente, griff Ben hinein und zog einen Goldbarren hervor. Er leuchtete im Wasser auf, als ihn der Lichtkegel traf. Ben drehte sich um und legte ihn in die nächste Gemüsekiste. Als er sich wieder umwandte, war die Leiche verschwunden. Sie war weg, wie ein Phantom. Ben leuchtete mit der Lampe im Kreis herum. Nichts als Schlick.
Dann richtete er die Lampe nach oben. Wie eine Unterwasserauferweckung trieb Bens Vater zur Oberfläche, nun nur noch körperlose Hosen, die im trüben Wasser über ihm entschwanden. Ben streckte sich, griff nach einem Schuh und zerrte ihn nach unten. Der verweste Fuß löste sich am Knöchel. Schuh und Fuß blieben in seiner Hand zurück.
Er schnappte sich ein Hosenbein und zog die Leiche behutsam nach unten. Es war, als würde er einen grausigen Heliumballon hüten. Ben entfernte die Plane von der Ladung und wickelte die Leiche zusammen mit dem losen Fuß darin ein. Dann band er mehrere Meter des Spanngurts um das improvisierte Leichentuch und befestigte das gesamte Paket am Bug der Nantucket Lance. Es war ein hastiges Stück Arbeit. Er zerrte ein paar Mal daran, um sich zu vergewissern, dass die Leiche vorerst gesichert war.
Auf dem