Erste Hilfe für die Künstlerseele. Christina Barandun
Klugheit walten lassen
Ein ewiger Prozess – Geduld und Gelassenheit
Kapitel 7: Meisterschaft des Selbst
Das künstlerische Talent schmieden
Die japanische Tradition der Künste und des Kunsthandwerks
Jenseits des Sichtbaren und der Perfektion – yugen und wabisabi
Rituale als Formen der Vertiefung
Der »gelöste« Künstler – ein Wegbereiter
Vorwort
»Ich fühle mich nicht mehr so hilflos allen Widrigkeiten des Lebens ausgeliefert! Es ist ein gutes Gefühl, ›Werkzeuge‹ zu haben und damit die Chance, etwas zu verbessern, sich das Leben einfacher und freudiger zu machen!«, schrieb mir eine Chorsängerin nach einem Seminar, das ich in einem Theater zum Thema »Stressbewältigung« gegeben hatte.
Diese Rückmeldung machte mich sehr glücklich. In meinem Leben und in meiner Arbeit als Trainerin und Coach erlebe ich täglich im Umgang mit den verschiedensten Menschen, wie wir allein durch unser Denken, unsere inneren Sichtweisen und – in der Folge – durch unsere Ausstrahlung und unser Verhalten vieles bewirken können, auch wenn die Rahmenbedingungen noch so starr und widerborstig sein mögen. Dass Künstlerinnen und Künstler innerhalb der hierarchisch-starren Strukturen des Theaterbetriebs diese Wirkung erfahren konnten, bestätigte und beflügelte mich, mich noch intensiver auf die Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen zu konzentrieren.
Denn: Wenn wir unsere »deutsche Theater- und Orchesterlandschaft« erhalten wollen, müssen wir auch die künstlerischen Strukturen ins 21. Jahrhundert übertragen. Beneidet und bewundert von vielen, und von Deutschland für die internationale UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes nominiert,1 ist unser deutsches Theatersystem – schaut man genauer hin – seit Längerem in der Krise: Unterfinanzierung, hohe Krankheitsquoten und das Gefühl knirschender Überlastung – als würde es von einem Moment zum nächsten zusammenbrechen.
So radikal und zum Teil beängstigend der gesellschaftliche Wandel sich derzeit vollzieht, so spannend sind die neuen Perspektiven, die sich für die Gestaltung von kreativen Arbeitsplätzen auftun, wie beispielsweise sich selbst organisierende Unternehmen. Das Theater könnte hier Vorreiter für den kulturellen Bereich sein.
In den großen theaternahen Verbänden wird derzeit über Wege der Veränderungen intensiv nachgedacht. Auch in einzelnen Häusern werden erste strukturelle Veränderungen vorgenommen. Doch bis sie tatsächlich spürbar werden, leiden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Künstlerinnen und Künstler in den Theatern weiter.
Mit diesem Buch möchte ich Kunstschaffenden praktische Hilfen bieten, um jetzt und heute in den aktuell schwierigen Strukturen zu einer größeren Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit zu finden. Gleichzeitig hoffe ich, dass diese wachsende Selbstwirksamkeit aller Teilnehmenden an den künstlerischen Prozessen im Theater den Wandel von innen heraus vorantreibt und als fruchtbarer Boden für die notwendigen Veränderungen dient.
1Im April 2018 wurde der Antrag zur Nominierung der »Deutschen Theater- und Orchesterlandschaft« als Immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO eingereicht. Die Entscheidung fällt im Jahr 2020. Bisher hat Deutschlands Theater- und Musiklandschaft nur einen Eintrag auf der deutschen Liste des Immateriellen Kulturerbes. (Siehe https://www.unesco.de/)
Einleitung: Warum ertragen, wenn ich gestalten kann?
Talentierte junge Künstlerinnen und Künstler1, die frisch von den Hochschulen ihr erstes Engagement im Theater antreten, bekommen meist einen regelrechten Kulturschock. Im Tagesbetrieb eines Theaters angekommen, ist die heilige Aura und der hehre Anspruch gemeinschaftlicher künstlerischer Kreationen rasch dahin, spätestens wenn kurz vor der Premiere komplette Szenen umgestellt werden, wenn die Älteren im Ensemble die eigene Machtposition subtil oder auch weniger subtil ausspielen, wenn gute neue Ideen nicht gehört oder im Keim erstickt werden, sich die ersten Ermüdungserscheinungen nach monatelangen durchgetakteten Probe- und Aufführungsterminen ohne Pause einstellen, man sich nur noch von Fast Food ernährt, wenn erste Versagensängste aufkommen, die ersten Blackouts eintreten und man nicht mehr weiß, wann man das letzte Mal die beste Freundin kontaktiert hat.
Der Betrieb »saugt einen langsam auf«, wobei man nicht, wie gehofft, auf der Wolke der kreativen Glückseligkeit lebt, sondern in der permanenten Überforderung irgendwie »überlebt«.
Die aktuelle Situation für Künstler an Theaterbetrieben kann nicht dramatisch genug geschildert werden. Das Argument »Augen auf bei der Berufswahl« hat sicherlich seine Berechtigung, wenn es um die künstlerspezifischen Anforderungen geht wie der Umgang mit Lampenfieber oder die abendlichen Arbeitszeiten, die einem regulären Familienleben eher im Wege stehen. Dennoch darf dieses Argument nicht als Freibrief für alle Missstände herhalten, wie schlecht belüftete, enge Proberäume, ungünstiges Führungsverhalten oder unnötige Zusatzarbeiten, weil die interne Kommunikation nicht funktioniert und kurzfristige Änderungen nicht bei allen angekommen sind.
Eine Flucht in die Selbstständigkeit ist keine Lösung, denn zum einen ändert das nichts am Theatersystem, das sich vor allem von innen her wandeln muss, zum anderen kennt auch in der freien Szene die Selbstausbeutung kaum Grenzen.
Wir als Gesellschaft, die Kunst erleben wollen, sollten nicht zulassen, dass sich Kunstschaffende für uns und um der Kunst willen ausbeuten und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Der volkswirtschaftliche Schaden wäre enorm. Sowohl die Theaterbetriebe als Arbeitgeber als auch die Künstlerinnen und Künstler selbst sollten deshalb zu einem gesunden Selbstverständnis gelangen, dass auch sie Arbeitsbedingungen und -strukturen benötigen,