Erste Hilfe für die Künstlerseele. Christina Barandun

Erste Hilfe für die Künstlerseele - Christina Barandun


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nehmen sich in den Theaterbetrieben die Verantwortlichen nach und nach dieser Zustände an. Wir stehen am Anfang eines vorsichtigen Umdenkens und Handelns, insbesondere weil mittlerweile auch die gesetzlichen Bestimmungen z. B. im Arbeitsschutzgesetz zur Gesunderhaltung der Arbeitnehmer verstärkt wurden; eine große Herausforderung für Theaterbetriebe, denn letztlich ist alles im Theater diametral entgegengesetzt zu einer im Gesundheitsschutz gewünschten »Work-Life-Balance«. Diese Tatsache war bislang auch der gerne angebrachte Grund, dass nichts geändert werden könne: »Im Theater geht das nicht. Da ist alles anders.« – Nun. Sicherlich. Es ist anders, was allerdings guten Entwicklungen und neuen Veränderungen nicht im Wege stehen muss. Wo, wenn nicht an dem Ort, an dem in jeder Spielzeit unzählige Neuproduktionen erschaffen werden, sollten konstruktive Veränderungen möglich sein? In der Oper arbeiten bis zu zweihundert Menschen auf und hinter der Bühne zusammen, um in nur acht Wochen eine koordinative, kreative Höchstleistung zu vollbringen. Gerade in einem Umfeld, das komplexe Arbeitsstrukturen gewohnt ist, sollte es doch machbar sein, die Gesamtstruktur des Betriebes kreativ zu optimieren.

      Betrachtet man die aktuelle Arbeits- und Organisationsentwicklung in der Wirtschaft, die sich seit einigen Jahren intensiv mit gesunden, motivierenden Arbeitsformen befasst, ließen sich sicherlich einige Ansätze auf das Theater übertragen. Nichtsdestotrotz müssen für den Kulturbetrieb mit der hohen Fluktuation künstlerischer Mitarbeiter spezifische Lösungen entwickelt werden.

      Wenn das Theater die zunehmende Entmenschlichung der Gesellschaft kritisiert und auch eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllen will, dann sollte es ein lebendiges Beispiel für diese Vision sein.

      Theater als künstlerisch-betriebliches Gesamtkunstwerk.

      Dieses Buch soll Impulse bieten, was wir als Einzelne im Theaterbetrieb dazu beitragen können, um verkrustete Strukturen aufzubrechen und in kreativitätsfördernde Arbeitsbedingungen zu verwandeln. Sicherlich lässt sich ein so komplexes System wie das Theater nur durch kleine aktive Schritte ändern. Umso wertvoller, wenn wir diese Herausforderung annehmen. Denn je mehr von uns diesen Weg gehen, desto größer wird die Wirkkraft. Und jeder Weg beginnt – wie wahr – mit dem ersten Schritt.

      In diesem Buch gebe ich Ihnen Hintergrundwissen, Anregungen und praktische Tipps, wie Sie in Ihrem künstlerischen Alltag für sich sorgen und in Ihrem Rahmen Ihren Arbeitsplatz optimieren und möglicherweise eine neue Haltung zu Ihrer Arbeit finden können. Es geht darum, der künstlerischen Gestaltungskraft in uns einen geschützten Raum zu geben; einen Raum, in dem wir von unseren Ängsten, Eitelkeiten, Unsicherheiten, unserer Konfliktscheu oder Streitlust und sonstigen Schwierigkeiten im Umgang mit anderen lassen können und unserem inneren kreativen Potenzial wieder freie Bahn schenken können.

      Im ersten Kapitel gehe ich auf den »Arbeitsplatz Theater« ein und beschreibe, wo wertvolle Potenziale liegen, um ihn für den Künstler kreativ und gesund zu gestalten. Um diese Potenziale zu entfalten, bedarf es der Selbstwirksamkeit, die im zweiten Kapitel beschrieben wird; dem Wissen darum, dass wir selbst viel mehr in der Hand haben, als wir oft meinen. Und um diese Selbstwirksamkeit zu unterstützen, folgen in den nächsten vier Kapiteln neben Hintergrundinformationen praktische Hinweise, Anregungen und Übungen, wie sich der anspruchsvolle, kommunikationsreiche Alltag entspannter, gesünder und letztlich effektiver gestalten lässt. Ich zeige, welches kreative (Gehirn-) Potenzial wir noch ausschöpfen können, um gekonnt mit Stress umzugehen, beschreibe Techniken zur Stressbewältigung und erläutere, wie Kommunikation gelingen kann und wie Sie Konflikten und Auseinandersetzungen begegnen sollten.

      Im abschließenden Kapitel möchte ich nochmals die Idee des Genies hinterfragen und zu der Haltung eines ganzheitlichen Kunsthandwerks motivieren. Eine Haltung, die ebenso kreativ, umfassend, bewegend, berührend, spirituell und politisch sein kann, allerdings kein sich schnell verbrennendes Künstlerfeuer verlangt, sondern durch kontinuierliche, gesunde Arbeit an sich selbst geprägt ist und die das Geschenk der eigenen künstlerischen Kreativität wertschätzt.

      Neben konkreten praktischen Übungen in den Kapiteln 4, 5 und 6 sind am Ende jedes Kapitels Anregungen und Hinweise aufgelistet, die sich auf die Themen und Inhalte des vorangegangen Textabschnitts beziehen. Bereits an dieser Stelle bitte ich Sie, bloß nicht alle Übungen und Anregungen auf einmal umsetzen zu wollen. Das geht nicht und demotiviert nur!

      Daher ist mein erster Tipp: Lassen Sie sich von Ihren Interessen leiten. Suchen Sie sich zunächst nur eine Übung aus dem Buch heraus und schauen Sie, was sich verändert. Erfahrungsgemäß ergibt sich aus dem ersten Schritt ein logischer zweiter. Da alles miteinander zusammenhängt, wird eine positive Veränderung an einer Stelle sich automatisch auch auf alles andere auswirken.

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      Wege zur Zufriedenheit

      Eine abschließende Anmerkung: Vordergründig beziehe ich mich auf die »ausführenden Künstler« und deren »Kunst«, auch in den Beispielen, da einige inhaltliche Themen etwas anders gelagert sind als in den ebenso wichtigen technischen und Verwaltungsbereichen. Doch für mich steht fest: Alle Mitarbeiter eines Kulturbetriebes sind Kunstschaffende. Alle gehören einer großen besonderen Gemeinschaft an, die Kunst kreiert und ermöglicht, und alle verdienen gleichermaßen Wertschätzung und Anerkennung. Ich bin mir sicher, dass auch die nicht explizit angesprochenen Bereiche die Tipps in diesem Buch aufgreifen und umsetzen können.

      Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Freude bei Ihrer persönlichen Entdeckungsreise!

       Kapitel 1:

       Der Theaterbetrieb – viel Potenzial für Gesundheit

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