Erste Hilfe für die Künstlerseele. Christina Barandun

Erste Hilfe für die Künstlerseele - Christina Barandun


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sich ein Dirigent oder eine Regisseurin über eine Sängerin oder einen Schauspieler aufregt, die/der sich vermeintlich zu wenig einbringt, und über Beleidigungen auf verachtende Weise Druck aufbaut, dann zeugt das nicht von Können, sondern schlicht von schlechtem Führungsstil und mangelnder Menschenkenntnis. Die neuere Motivations- und Kreativitätsforschung belegt, wie wenig Ängste und Depressionen förderlich sind. Für kreatives Arbeiten braucht es bei aller Nähe zum grenzüberschreitenden, flexiblen Denken keinen Geist, der von Ängsten oder Anspannung so gelähmt ist, dass er nichts mehr ordnend und strukturierend zustande bringt. Ebenso wenig benötigt es einen Geist, der träge und müde ist.

      Zweifellos gibt es den einen oder anderen Chorsänger oder auch Orchestermusiker, der nicht zum Gelingen des Werkes beiträgt. Doch hier liegt eher ein strukturelles Problem zugrunde. Oftmals fühlen sich Chorsänger und auch Orchestermusiker, die als Solisten ausgebildet wurden, unterfordert und wenig wertgeschätzt. Wenn die Leistung abnimmt, nützen Druck und Beleidigungen auf künstlerischer Ebene wenig. Mit dem Mangel an Motivation umzugehen, ist eine klassische Führungsaufgabe, die zwischenmenschliche Fähigkeiten und grundlegendes Wissen in Organisationspsychologie voraussetzt – Fähigkeiten, die bislang in Theaterbetrieben im künstlerischen Bereich noch zu wenig ausgebildet werden.

      Und ja: Augen auf bei der Berufswahl! Ein Künstlerleben ist ein Leben zwischen den Extremen. Umso mehr erfordert es Techniken der Absicherung; wie ein Bergkletterer, der Seile und Haken mitnimmt, um sein Leben und seine Gesundheit zu schützen. Genau hier sollten wir genauer hinschauen und neue Wege suchen, wenn wir die künstlerische Schaffenskraft in der Gesellschaft erhalten, ja uns Kunst überhaupt leisten wollen. Warum soll es nicht möglich sein, die künstlerischen Rahmenbedingungen derart auszubalancieren, dass die psychische Stabilität unserer Künstlerinnen und Künstler erhalten bleibt und dabei ihre flexible Brillanz nicht verloren geht?

      Leiden ist kein Garant für Erfolg, und wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt, bleibt dem Künstler wenigstens die Gesundheit.

      Ein weiterer gerne verwendeter Machthebel kreativer Führungskräfte ist die vielbeschworene Kunstfreiheit, nach dem Motto: Ein Dirigent oder eine Regisseurin darf sich im Namen der Kunstfreiheit alles erlauben: Pulte werfen, verbal angreifen, den meist negativen Emotionen freien Lauf lassen. Diese zentralen Figuren einer Produktion können ein ganzes Haus von mehreren Hundert Mitarbeitern in Atem, manchmal gar in Schrecken halten. Ob »Stars« oder nicht, den künstlerischen Führungspersonen wird viel Macht gegeben unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit. Und selbst wenn partnerschaftliches Kunstwollen als Ideal behauptet wird, gibt es im Zweifelsfall immer den einen Kunstwillen, dem letztendlich alle zu folgen haben. Denn wie sollte man die Arbeitsweise eines vermeintlichen Genies eingrenzen können?

      Hier werden zwei Aspekte vermischt – das Bühnenwerk und der Proben- bzw. Schaffensprozess. Was auf der Bühne sichtbar wird, ist eine Sache. Das Werk selbst soll künstlerisch frei sein, auch wenn die Kunstfreiheit natürlich durch die anderen Grundrechte wie Unversehrtheit der Person eingeschränkt ist.

      Ganz anders steht es um den Schaffens- und Probenprozess. Diese künstlerische Zusammenarbeit unterliegt eindeutig dem Arbeitsschutz und seinen Bestimmungen. Und an dieser Stelle sticht die Maßgabe, dass keine psychische Gefährdung der Mitarbeiter erfolgen soll. Denn der Arbeitsprozess und der Schutz der körperlichen und vor allem psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer darf auch nicht in den Kunstbetrieben ausgehebelt werden.

      Natürlich darf und soll niemand den künstlerischen Prozess einschränken. Betrachtet man den betrieblichen Alltag, dann wird mit diesem Vorwurf einiges romantisiert. Am Ende des Tages ist Theater oder Oper ein Handwerk, nicht nur hinsichtlich Bühnenbild und Technik, sondern auch hinsichtlich der Erarbeitung von Texten oder Partituren. Dieses Handwerk erfordert klar geregelte Abläufe, zeitliche Fristen und nüchterne Anweisungen. Wenn diese nicht eingehalten oder die entsprechenden Informationen zu spät geliefert werden, wenn im letzten Moment alles verändert wird und ideenreiche Neugestaltungen in der letzten Probenwoche verlangt werden, die einen logistischen Mammutaufwand und personelle Überforderung auf der Bühne und hinter den Kulissen erfordern würden, dann wird die künstlerische Führungskraft, wie beispielweise die Regisseurin, dem Arbeitsbetrieb des Theaters, für den sie etwas kreiert, nicht gerecht. Sie setzt mit diesem Verhalten eine gesamte Organisation unter unnötigen Druck.

      Daher soll hier nochmals ein Bewusstsein geschaffen werden sowohl für die Verantwortung der künstlerischen Führungskräfte als auch für die Rechte und Abgrenzungsmöglichkeiten der Mitarbeiter, die in das feste zeitliche und organisatorische Korsett eines Theaters eingebunden sind.

      Nicht nur die Arbeitsaufgabe des Künstlers an sich, auch die Rahmenbedingungen im Theater haben es in sich. Manchmal staune ich, dass Premieren tatsächlich stattfinden. Wie eine Sisyphusarbeit wird eine Produktion mit viel Anstrengung, unter Druck, Stress, Schweiß und Tränen auf die Bühne gebracht. Solange Außenstehende – und dies ist die Projektionsfläche Theater – nur die in der Vorstellung dargebotene kreative Leichtigkeit sehen, mag noch alles gut sein. Doch leider zeigt sich die Anstrengung oft auch auf der Bühne. Spätestens dann, wenn eine Hauptdarstellerin mitten im Monolog ohnmächtig wird.

      Betrachten wir einmal die äußeren Umstände, unter denen Künstler arbeiten müssen.

      Jede Produktion hat oft nur sechs bis acht Wochen Probezeit. Eine vielfältige Verzahnung von höchst unterschiedlichen Gewerken wie Beleuchtung, Bühne, Ton, Maske und Kostüm gilt es mit den verschiedenen künstlerischen Anforderungen und Gruppierungen in Einklang zu bringen. Es bleibt wenig Zeit, um zu testen, zu optimieren, auszubauen. Kontinuierlich wird mit der heißen Nadel gestrickt. Improvisationskünste sind gefragt, die sicherlich in gesundem Maße gerade Künstler als inspirierend und denkerweiternd empfinden. Ist Improvisation jedoch ein Dauerzustand, um nicht besetzte Stellen, ungünstige Organisationstrukturen und interne Kommunikationsschwächen ausgleichen zu müssen, dann wirkt diese Haltung erschöpfend und ausbrennend. Ständig Terminen hinterherzurennen und nie das Gefühl zu haben, eine Arbeit dem eigenen Qualitätsstandard entsprechend und vor allem bis zum Ende ausgeführt zu haben, unterbindet die Kreativität, wie das Kapitel über Stress zeigen wird. Vor allem verringert sich das tiefe Gefühl der Zufriedenheit, aus dem Kunstschaffende viel Motivation schöpfen, eine Quelle, die besonders wichtig wird, wenn andere Motivationsfaktoren wie Aufstiegschancen oder berufliche Weiterentwicklung fehlen.

      Belastend sind ebenso die wenig sichere, oft nur befristete Vertragssituation und die schlechte Bezahlung bei hohen Überstunden. Ebenso die unsozialen Arbeitszeiten mit den Proben am Vormittag und den Aufführungen am Abend bzw. den Schichtdiensten, vor allem an den Wochenenden. Familie und Freunde werden oft vernachlässigt, Hobbys können nur bedingt gepflegt werden. Es kommt zu einer theaterinternen Kultur, die wiederum die belebenden Impulse von außen damit ausschließt.

      In


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