Unerschütterlich im Glauben. Fulton J. Sheen
erzählte mir ein junger Priester während einer Unterhaltung: »Ich habe in den sechs Jahren meines Priestertums schon zweiundsiebzig Menschen bekehrt, sodass sie konvertierten.« Ich antwortete: »Ich rate Ihnen, damit aufzuhören, sie zu zählen, sonst kommen Sie womöglich auf die Idee, Sie hätten sie bekehrt und nicht Gott.«
Eine dritte Art, auf ein Publikum im Zeitalter der Medien zuzugehen, liegt in der Zukunft. Es wird nicht immer die direkte Vorgehensweise und auch nicht die von mir angewandte indirekte sein. Man könnte sie vielmehr die anthropologische nennen. Ich verwende dieses Wort nicht im Sinne der Wissenschaft vom Ursprung des Menschen. Ich beziehe mich lediglich auf die Wurzel des Wortes – eine Erforschung des Menschen. Die Darstellung von Religion verlief bisher prinzipiell von Gott zum Menschen, aber nun wird sie vom Menschen zu Gott verlaufen. Sie wird nicht mit der Ordnung des Universums beginnen, die auf die Existenz eines Schöpfers des Alls schließen lässt, sondern von der Unordnung im Menschen selbst ausgehen. Sie wird sich sämtlicher Erkenntnisse unseres Zeitalters der Psychologie bedienen und sie als Sprungbrett für die Darstellung der göttlicher Wahrheiten benutzen.
Wir Bischöfe beschlossen kürzlich bei einem unserer Treffen, die Menschen um 10 Millionen Dollar für religiöse Kommunikation in Radio und Fernsehen zu bitten. Der Vorsitzende der Bischöfe bat mich, einen Text von ungefähr fünf oder sechs Minuten auf Band zu sprechen, der dann in jeder katholischen Gemeinde Amerikas abgespielt werden sollte, um die Menschen zum Spenden zu veranlassen. Schließlich war ich bereit, die Sammlung anzukündigen, nicht jedoch, die Menschen um Geld zu bitten, weil wir, die Bischöfe, noch nicht beschlossen hatten, wie das Geld dann angelegt werden sollte. Ich konnte die Gläubigen guten Gewissens darum bitten, Geld für Krankenhäuser, Schulen und Kirchen in Afrika und Asien zu spenden, aber zehn Millionen Dollar von ihnen zu erbitten, ohne ein Programm zu haben, wie dieses Geld ausgegeben werden sollte, erschien mir unklug.
Einmal abgesehen davon, welchen Schaden Fernsehen und Radio in anderen Bereichen anrichten, so sind sie für die Religion sehr nützlich. In jeder Periode des kirchlichen Lebens in Amerika gab es immer ein Publikum, das mindestens so aufgeschlossen war wie die Zuschauer und Zuhörer, an denen ich mich erfreuen konnte, wenn nicht sogar stärker. Ich wünschte mir häufig, dass ich noch jünger wäre und die dritte von mir erwähnte Herangehensweise anwenden könnte, nämlich vom Unglück im Herzen der Menschen auszugehen. Menschen, die man ansprechen kann, gibt es immer: Die Gelegenheiten sind allgegenwärtig. Man muss gequälte Seelen wie Petrus, Skeptiker wie Thomas und Mystiker wie Johannes ergreifen und sie dazu bewegen, in Tränen auszubrechen, in die Knie zu sinken oder am heiligen Herzen Jesu auszuruhen.
Häufig werde ich gefragt, wie ich Predigten vorbereite. Ich kann lediglich von meinen eigenen Erfahrungen nach einem langen Leben als Prediger sprechen.
All meine Predigten werden vor dem Allerheiligsten vorbereitet. So wie man sich am besten und nachhaltigsten in der Sonne entspannt, so wird die homiletische Kreativität am besten von der Eucharistie genährt. Die brillantesten Ideen kommen aus der persönlichen Begegnung mit Gott. Der Heilige Geist, der für die Inkarnation entscheidend war, sorgt auch für die beste Atmosphäre, um den Geist zu erleuchten. Papst Johannes Paul II. hat immer ein kleines Pult oder einen Schreibblock dabei, wenn er sich in der Gegenwart des Allerheiligsten aufhält. Ich habe es mein Leben lang genauso gehalten – ich bin sicher, aus denselben Gründen wie er, denn ein Liebender arbeitet grundsätzlich besser, wenn der Geliebte bei ihm ist.
Wenn der allgemeine Plan für die Predigt ausgearbeitet ist, trage ich meine Gedanken unserem Herrn vor, oder ich meditiere zumindest darüber, wobei ich die Ideen fast flüstere. Es ist erstaunlich, wie schnell man den Wert der geplanten Predigt erkennt. Deshalb sprechen die Franzosen vom esprit de l’escalier – das bedeutet die Besinnung darauf, was man in einer Unterhaltung am zurückliegenden Abend hätte sagen sollen. Im Allgemeinen gibt es für jede Vorlesung oder jede Predigt drei unterschiedliche Abläufe: was geschrieben steht, was vorgetragen wird und was man gern gesagt hätte. Deshalb ist das »Halten der Predigt vor dem Herrn im Allerheiligsten« für mich die beste Art, nicht nur die Schwächen, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeiten einer Predigt zu entdecken.
Nachdem das Material zusammengetragen und die Punkte ausformuliert sind, schließe ich entweder eine Meditation oder eine ruhige Wiedergabe an, ohne mich dabei auf meine Notizen zu stützen. Das Material einer Predigt besteht nicht komplett aus dem, was vom Papier ins Gehirn wandert, sondern aus der Wiedergabe dessen, was von einem kreativen Geist ausgeht und über die Lippen kommt. Ich habe viele Komödianten gefragt, welchen sie für ihren besten Witz hielten, und die Antwort lautete immer: »Derjenige, den ich am häufigsten erzählt habe.«
Sheen freute sich, im Fernsehstudio von DuMont »hinter den Kulissen« zu sein, Mai 1952 (Fulton J. Sheen Archiv).
Ich bin überzeugt, dass die Predigt- und Vortragstätigkeit ohne intensives Studieren und Lesen unmöglich ist. Das ist wohl eine der Schwächen auf heutigen Kanzeln und Rednerpulten: die Vernachlässigung einer fortgesetzten Weiterbildung. Bücher sind großartige Freunde. Immer wenn man sie zur Hand nimmt, haben sie etwas Wertvolles mitzuteilen. Sie klagen nie, zu beschäftigt zu sein, und sind ganz nach Belieben bereit, den Geist mit Nahrung zu versorgen. Wenn man die Bücherregale mancher Priester ansieht, kann man fast das Jahrzehnt oder das Jahr bestimmen, in dem sie geweiht wurden: Einige haben Tanquerey und Wapelhorst in ihrem Bestand, die jüngeren besitzen Bücher über die revolutionären 60er-Jahre, aber es gibt auch jene, die seit Jahrzehnten kein ernst zu nehmendes Buch mehr gekauft haben. Wenn der intellektuelle Vorrat leer ist, wird es schwierig, eine gute Predigt vorzubereiten. Je höher das Gebäude ist, desto mehr Material muss dafür verarbeitet werden. Wenn man ernsthafte Studien betreibt, muss man sich nie Sorgen darüber machen, dass das Material ausgeht.
Nachdem ich ungefähr sechs Jahre lang an der Katholischen Universität von Amerika als Professor tätig gewesen bin, gleichzeitig im überregionalen Radio Sendungen aufgenommen und viele Vorträge im ganzen Land gehalten hatte, bat mich ein sehr guter Freund, der ebenfalls als Professor tätig war – er wurde später als Vertreter des Vatikans Erzbischof in einem anderen Land –, die Radio- und Vortragstätigkeit einzustellen. Folgendes Argument brachte er vor:
»Bei der Geschwindigkeit, mit der du unterwegs bist, gibt es nur eine begrenzte Menge Material, das du verwenden kannst, und dieses wird bald ausgeschöpft sein, und dann wird es keine Einflussmöglichkeiten für dich mehr geben. Ich rate dir daher, dich auf die Lehrtätigkeit an der Universität zu beschränken und diese Aktivitäten außerhalb des Lehrbetriebs aufzugeben.« Ich stellte ihm dieselbe Frage, die der Herr den Pharisäern und Schriftgelehrten gestellt hatte: »Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?« Er antwortete: »Du hast recht. Jemand anders hat mir aufgetragen, dir das zu sagen.« Wir wussten beide, um wen es sich handelte. Wir blieben Freunde bis zu seinem Tod.
Meine Lektüre umfasst Literatur, Wissenschaften, Philosophie und Politik – mit einem Wort alles, was für einen Priester nützlich sein könnte, wenn er unterrichtet oder eine Rede hält oder was als Diskussionsstoff bei Gesprächen mit anderen eingesetzt werden kann. Romane lese ich nie. Als ich am College war, hatte ich große Probleme, sämtliche im Lehrplan vorgeschriebenen Romane zu lesen. Buchbesprechungen von Romanen lese ich jedoch durchaus, ebenso Studien zur Gegenwartsliteratur, die die Trends zusammenfassen. Als ich Jo Mielziner, den berühmten Theaterkünstler, im Glauben unterwies, klingelte ich an einem bestimmten Nachmittag an seiner Haustür und er sagte mir, Humphrey Bogart sei gerade eingetroffen. Jo sagte zu Bogart, ich sei wegen der Unterweisung im Glauben gekommen und er könne, wenn er wolle, mit dabei sein und zuhören. Wenn nicht, könne er auch in ein anderes Zimmer gehen. Bogart sagte: »Warum sollte ich einem Priester zuhören. Ich weiß mehr über die katholische Kirche als jeder Priester.« Ich gab vor, diese Unterhaltung nicht gehört zu haben, aber als ich dann mit einigen anderen den Raum betrat, wurde dort über das Thema Romane diskutiert. Ich gestand, dass ich keinen der Romane, von denen die Rede war, gelesen hatte. »Ob ich das von meinem Vater geerbt habe, weiß ich nicht«, sagte ich, »denn auch er konnte