Unerschütterlich im Glauben. Fulton J. Sheen
ab, wobei ich immer daran denken muss, was eine alte irische Frau über einen Bischof gesagt hatte, der seine Rede ablas: »Um Himmels willen, wenn er selbst sich nicht daran erinnern kann, wie kann er das von uns erwarten?«
Würde man eine Umfrage unter Zuhörern anstellen, die Rednern zuhören, die ihre Rede ablesen, dann würde wohl entdeckt, dass die meisten an etwas anderes denken. G. K. Chesterton bemerkte nach einem Besuch in Amerika: »Meine letzte amerikanische Reise bestand darin, Menschen, die mir nie irgendetwas angetan hatten, nicht weniger als neunzig Vorträge aufzudrängen.« Auch ich stellte fest: Selbst wenn ich Vorträge ohne Skript hielt, begannen Frauen – sobald ich sagte »Abschließend lässt sich festhalten« – ihre Schuhe anzuziehen. Jedenfalls war die Vortragstätigkeit eine gute Vorbereitung für Rundfunk und Fernsehen.
Wenn ich Vorlesungen oder Vorträge vorbereitete, recherchierte ich zuerst zum betreffenden Thema. Dann ordnete ich das Recherchierte, indem ich, wenn möglich, mich auf einige klare Punkte konzentrierte. Der nächste Schritt bestand darin, mir dieses Material so sehr anzueignen, dass ich es den Studenten oder dem Publikum leicht vermitteln konnte. Das geschah durch einen Lernprozess, der wie folgt beschrieben werden könnte: Ich lernte den Vortrag von innen nach außen, nicht von außen nach innen. Ich eignete mir den Vortrag nicht dadurch an, dass ich meine Notizen über die Recherche durchlas. Ich schrieb aus der Erinnerung das nieder, was ich davon im Gedächtnis behalten hatte. Dann glich ich dies mit den Notizen meiner Recherche ab, um festzustellen, wie gut ich mir die Punkte angeeignet hatte. Das Papier, auf welchem ich vorab die Vorlesung oder den Vortrag zusammengefasst hatte, wurde zerrissen. Ein neuer Entwurf nach dem anderen wurde aufgesetzt und vernichtet. Ich wiederholte diesen Prozess immer wieder, um nicht zuzulassen, dass auch nur das winzigste Stückchen Papier meinen lebendigen Geist an die Kandare nahm.
So wie eine Mutter nicht das Kind ihres Schoßes vergessen kann, so kann auch ein Sprecher das Kind seines Geistes nicht vergessen. Warum sollte ein lebendiger Geist sich Forschungsoder Recherchenotizen unterwerfen? Was ist – abgesehen nur von ihrer Genauigkeit – so heilig an Aufzeichnungen? Der Geist kann ja diese Genauigkeit in sich aufnehmen. Wie häufig ich mir diese Punkte aufschrieb oder sogar mir selbst vortrug, hing von der Schwierigkeit des Themas oder von meinem Gedächtnis ab. Schließlich gelangte ich dann zu dem Punkt, an dem mir das Material wirklich zu eigen war. Es war wie verdaute Nahrung, nicht Nahrung aus dem Supermarktregal. Deshalb habe ich für einen Vortrag, eine Vorlesung oder eine Predigt nie Notizen benutzt.
Es war weniger wahrscheinlich, dass ich eine Sache vergaß, wenn ich diese Methode anwandte. Allerdings erinnere ich mich, dass ich einmal die Bühne für eine Fernsehaufzeichnung betrat und meine Ansprache komplett vergessen hatte. Ich machte ein paar spaßige Bemerkungen über das Vergessen und versuchte währenddessen, mich an das Thema meines Vortrags zu erinnern. Schließlich war es dann wieder da.
Ein tragischer Gedächtnisaussetzer ereignete sich beim Eucharistischen Kongress in Dublin. Wenn es je einen Augenblick in meinem Leben gab, an dem ich alles richtig machen wollte, dann beim Eucharistischen Kongress: weil er in Dublin stattfand, weil es ein Eucharistischer Kongress war und weil meine Großeltern mütterlicherseits nicht aus Bessarabien kamen. Wie üblich sprach ich ohne Aufzeichnungen, und ich war von meinem Thema so erfüllt, dass ich Gedanken benutzte, die in meinem Geist aufblitzten. Ein solcher Blitz, der mir in jenem Augenblick spontan brillant vorkam, war: »Irland hat nie einen anderen König anerkannt als Christus und keine andere Königin als Maria.« Das Publikum brach in nicht enden wollenden Applaus aus. In diesem Augenblick hatte ich eigentlich die Absicht gehabt, ein Gedicht von Joseph Mary Plunkett vorzutragen, ein Gedicht, das ich so gut kannte wie das »Gegrüßet seist du, Maria«:
Ich sah sein Blut auf der Rose,
und in den Sternen den Glanz seiner Augen.
Während ich das Gedicht vortrug, dachte ich nicht an die Worte. Ich gab mir vielmehr selbst innerlich ein paar Ohrfeigen. Ich sagte immer wieder zu mir: Egal wie brillant du eine Bemerkung findest, vermeide alles, was einen politischen Anstrich hat. Das hier ist ein Eucharistischer Kongress! Ich ohrfeigte mich innerlich so kräftig, dass mir, als ich beim neunten Vers des Gedichts anlangte, dieser nicht mehr einfiel. Ich sagte zum Publikum: »Tut mir leid, ich habe das Gedicht vergessen.« Tausende und Abertausende irischer Kinnladen klappten vor Enttäuschung herunter, und wenn eine irische Kinnlade herunterklappt, kracht es. Dann schoss mir eine Zeile von Patrick Henry durch den Kopf. Nicht jene, welche die meisten kennen. Patrick Henry sagte im Laufe seines Lebens auch: »Wenn Sie bei einer Rede Schwierigkeiten haben, dann stürzen Sie sich in die Mitte eines Satzes und vertrauen auf den allmächtigen Gott, dass er Sie zum anderen Satzende bringt.«
Ich fing also einen Satz an: »Ich bin froh, dass ich es vergessen habe. Wenn ich je gewünscht hätte, etwas zu vergessen …« Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte, deshalb begann ich noch einmal von vorne: »Wenn ich je darum gebetet hätte, irgendetwas zu vergessen, dann hätte ich darum gebetet, diese Zeilen von Joseph Mary Plunkett zu vergessen. Ich glaube, diese Vergesslichkeit ist von schöner Symbolik, denn wenn man auf dem Amboss von Irlands Erde steht, dann sollte man fähig sein, die Funken seiner eigenen Dichtung zu hämmern und zu schmieden und nicht einmal von einer so edlen Seele wie Joseph Mary Plunkett abhängig sein.« Als ich die Rede beendet hatte, scharten sich einige Bischöfe um mich und sagten: »Das war ein sehr guter Redetrick, als Sie die Vergesslichkeit vorgegeben haben.« Es war kein Trick. Ich hatte den Vers wirklich vergessen.
Die Erfahrung hat mich gelehrt: Wenn es in einem Hörsaal oder einem Vortragssaal unruhig wird, dann tut der Redner gut daran, auf gar keinen Fall seine Stimme zu erheben, um besser gehört zu werden. Der beste Trick besteht darin, die Stimme zu senken und fast flüsternd zu sprechen. Die Reaktion des Publikums wird dann sein: »Oh, ich verpasse etwas«, und sie widmen ihm wieder ihre Aufmerksamkeit, die kurzzeitig nachgelassen hatte.
Bei Vorträgen – und hier beziehe ich mich auf Reden außerhalb der Seminarräume – in großen Hörsälen, Kongresszentren und in großen Hallen – habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich nie sofort auf das Thema zu stürzen. Die Zuhörer mögen es, wenn sie zunächst einen Blick auf Sie werfen können. Ein wenig Humor am Anfang ist eine gute Einleitung, und am besten wirkt es, wenn der Sprecher sich über sich selbst lustig macht.
Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, dass Menschen es nicht mögen, wenn sie sich dem Vortragenden gegenüber unterlegen fühlen. Eine Geschichte, in welcher der Redner sich kleinmacht, verleiht ihnen ein Gefühl der Gleichheit. So wie ich einen Vortrag mit einer humorvollen Bemerkung beginne, so werden ein- oder zweimal im Laufe des Vortrages humorvolle Ergänzungen eingestreut, um die Stimmung zu heben, die Anspannung zu lösen und dem Publikum Gelegenheit zur Erholung zu geben. Es geht hier nicht um eine humorvolle Geschichte als Selbstzweck, sondern sie sollte sich im Zusammenhang mit dem Vortrag ergeben. Ich erinnere mich an ein Beispiel, als ich über ein bestimmtes Buch sprach, das mit dem zur Diskussion stehenden Thema zusammenhing. Zwei junge Frauen unterhielten sich über Verabredungen mit jungen Männern. Die eine junge Frau sagte, dass sie nie von einem jungen Mann eingeladen würde, während die andere an jedem Abend eine Verabredung treffen konnte. Die zweite erklärte: »Das Problem bei dir ist, dass du nichts liest. Die Männer sind sehr intelligent. Sie sprechen gern über Philosophie, Literatur, Geschichte und Naturwissenschaften. Fang an, Bücher zu lesen! Wenn du mit ihnen ins Gespräch kommst, hast du Stoff zur Verfügung, für den du sie interessieren kannst.« Nach wochenlangem Studium hatte die junge Frau dann endlich eine Verabredung, und als sie sich mit einem jungen Mann zu Tisch setzte, sagte sie: »War das nicht furchtbar, was mit Marie-Antoinette geschehen ist?«
Oft ist die Länge der Zeit, die man mit Reden zugebracht hat, eine Zielscheibe des Humors. Folgender Zwischenfall hat sich wirklich zugetragen. Bei einer Atlantiküberquerung – vor den Tagen, in denen es Flugzeuge gab – kam ein Steward zu mir und fragte: »Sind Sie der Priester, der letztes Jahr am Missionssonntag in der St.-Patrick’s-Kathedrale gepredigt hat?« – »Ja.« – »Ich habe jede Minute dieser eineinhalb Stunden genossen.« – »Guter Mann, ich habe sicher noch nie in meinem Leben eineinhalb Stunden gepredigt.« – Darauf antwortete er: »Mir kam es aber so lang vor.«
Nach meiner Ansicht muss das Ende einer Ansprache stark, inspirierend und erhebend sein – und ich verwende