Grundriss Schopenhauer. Peter Welsen

Grundriss Schopenhauer - Peter Welsen


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ist, als Uebereinstimmung mit ihnen, folglich ihre eigene Gewißheit nicht wieder aus andern Sätzen erhellen kann.« (G 38) Freilich bedeutet dies nicht, daß Schopenhauer über keine Argumente verfügt, um den Satz vom Grunde zu verteidigen, sondern es besagt lediglich, daß eine deduktive Herleitung – also eine Herleitung aus anderen Sätzen – zum Scheitern verurteilt ist. Vielmehr ist Schopenhauer überzeugt, daß der Satz vom Grunde deshalb wahr ist, weil er bei jeder Begründung vorausgesetzt wird, sogar dann, wenn man die Frage nach der Begründung des Satzes überhaupt erst aufwirft: »Wer nun einen Beweis, d. i. die Darlegung eines Grundes, für ihn fordert, setzt ihn eben hiedurch schon als wahr voraus, ja, stützt seine Forderung eben auf diese Voraussetzung. Er geräth also in diesen Cirkel, daß er einen Beweis der Berechtigung, einen Beweis zu fordern, fordert.« (G 38)

      Ist im Titel von Schopenhauers Dissertation von einer »vierfache[n] Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« die Rede, so ist damit gemeint, daß sich dieses eine Prinzip in vier unterschiedliche Gestalten aufgliedert, je nachdem auf welche Art von Vorstellungen es sich gerade bezieht. All diesen Formen ist die folgende, von Schopenhauer als die »Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund« (G 41) bezeichnete Struktur gemeinsam, die sowohl das Verhältnis von Subjekt und Objekt wie auch das Verhältnis der Objekte zueinander betrifft: »Unser erkennendes Bewußtseyn, als äußere und innere Sinnlichkeit (Receptivität), Verstand und Vernunft auftretend, zerfällt in Subjekt und Objekt, und enthält nichts außerdem. Objekt für das Subjekt seyn, und unsere Vorstellung seyn, ist das Selbe. Alle unsere Vorstellungen sind Objekte des Subjekts, und alle Objekte des Subjekts sind unsere Vorstellungen. Nun aber findet sich, daß alle unsere Vorstellungen unter einander in einer gesetzmäßigen und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung stehn, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes und Unabhängiges, auch nichts Einzelnes und Abgerissenes, Objekt für uns werden kann. Diese Verbindung ist es, welche der Satz vom zureichenden Grund, in seiner Allgemeinheit, ausdrückt.« (G 41) Damit geht Schopenhauer zunächst von einer apriorischen Korrelation von Subjekt und Objekt aus, wie das auch schon Reinhold und Fichte getan hatten, und er setzt darüber hinaus Objekt und Vorstellung gleich, nimmt also, ohne dies zunächst näher zu begründen, eine idealistische Position ein. Was aber die Objekte bzw. Vorstellungen anbelangt, so ist er davon überzeugt, daß keines von ihnen isoliert bestehen könne, sondern daß ein jedes nach dem Satz vom zureichenden Grunde durch andere, derselben Klasse von Objekten bzw. Vorstellungen angehörende, bedingt sei.

      Angesichts der Identifizierung der Objekte mit Vorstellungen erstaunt es keineswegs, daß der Satz vom zureichenden Grunde lediglich für diese, nicht jedoch für das Ding an sich gilt. Deshalb stellt Schopenhauer fest: »Nun ist aber der Satz vom Grunde in allen seinen Gestalten a priori, wurzelt also in unserm Intellekt: daher darf er nicht auf das Ganze aller daseienden Dinge, die Welt, mit Einschluß dieses Intellekts, in welchem sie dasteht, angewandt werden. Denn eine solche, vermöge apriorischer Formen sich darstellende Welt ist eben deshalb bloße Erscheinung: was daher nur in Folge eben dieser Formen von ihr gilt, findet keine Anwendung auf sie selbst, d. h. auf das in ihr sich darstellende Ding an sich.« (G 175) Vergegenwärtigt man sich, daß sich der Satz vom Grunde auf die Relationen zwischen den Objekten bzw. Vorstellungen bezieht, so kann man nachvollziehen, daß schließlich auch das Subjekt, dem sie gegeben sind, sowie die Beziehung, in der es zu den Objekten steht, nicht unter ihn fallen. Deshalb weist Schopenhauer das Ansinnen zurück, das Subjekt vom Objekt oder das Objekt vom Subjekt nach dem Satz vom Grund abzuleiten: »Der Realismus setzt das Objekt als Ursache, und deren Wirkung ins Subjekt. Der Fichte’sche Idealismus macht das Objekt zur Wirkung des Subjekts. Weil nun aber, was nicht genug eingeschärft werden kann, zwischen Subjekt und Objekt gar kein Verhältniß nach dem Satz vom Grunde Statt findet; so konnte auch weder die eine, noch die andere der beiden Behauptungen je bewiesen werden, und der Skepticismus machte auf beide siegreiche Angriffe.« (W I 41)

      Schopenhauer unterscheidet zwischen vier Klassen von Objekten bzw. Vorstellungen, die jeweils unter eine eigene Gestalt des Satzes vom zureichenden Grunde fallen. Dies sind die anschaulichen, vollständigen, empirischen Vorstellungen bzw. Objekte, die abstrakten Vorstellungen bzw. Begriffe, die formalen Vorstellungen bzw. die apriorischen Anschauungen des Raumes und der Zeit sowie das Subjekt des Wollens oder – präziser formuliert – die affektiven, emotionalen und volitionalen Erlebnisse desselben. Diesen vier Klassen der Vorstellungen entsprechen der Satz vom zureichenden Grunde des Werdens, des Erkennens, des Seins und des Handelns. Hat die Erkenntnis lediglich Vorstellungen zum Gegenstand, nicht aber dasjenige, was jenseits der Vorstellung angesiedelt ist, so kann Schopenhauer von der »Immanenz unserer […] Erkenntniß« (W II 715) bzw. ihrer Untauglichkeit »zum transscendenten Gebrauch« (W II 338) sprechen.

      Mit dieser Festlegung tritt Schopenhauer für einen – auf Kant zurückgehenden – erkenntnistheoretischen Ansatz ein, der unter dem Namen »transzendentaler Idealismus« bekannt geworden ist. Inhaltlich läuft der transzendentale Idealismus darauf hinaus, daß sich die Erkenntnis nicht etwa auf vorstellungsunabhängige Dinge an sich, sondern auf Erscheinungen bzw. Vorstellungen bezieht und daß ihre Gegenstände sowie deren apriorische Eigenschaften (Raum, Zeit, kategoriale Bestimmungen) ebenfalls Erscheinungen bzw. Vorstellungen sowie Eigenschaften derselben sind. Freilich grenzt Schopenhauer den transzendentalen Idealismus gegen den – z. B. von Berkeley vertretenen – »absoluten Idealismus« (W II 554) ab, der mit seiner These, die gesamte Wirklichkeit erschöpfe sich in Vorstellungen, einem »theoretischen Egoismus« gleichkomme: »Das angeschaute Objekt aber muß etwas an sich selbst seyn und nicht bloß etwas für Andere: denn sonst wäre es schlechthin nur Vorstellung, und wir hätten einen absoluten Idealismus, der am Ende theoretischer Egoismus würde, bei welchem alle Realität wegfällt und die Welt zum bloßen subjektiven Phantasma wird.« (W II 226) Was den transzendentalen Idealismus vom »absoluten Idealismus« unterscheidet, ist die Annahme der Existenz eines Dinges an sich. Darüber hinaus betont Schopenhauer im Einklang mit Kant, daß der transzendentale Idealismus mit einem empirischen Realismus einhergehe. Dies bedeutet, daß sich die Gegenstände der Erkenntnis – trotz ihrer Idealität – nicht etwa als »Lüge« oder »Schein« (W I 43), sondern als empirisch real darbieten. Vor dem Hintergrund des transzendentalen Idealismus leuchtet ein, daß Kant und Schopenhauer die empirische Realität im Bereich der Erscheinung bzw. Vorstellung ansiedeln: »Der transscendentale Idealismus macht inzwischen der vorliegenden Welt ihre empirische Realität durchaus nicht streitig, sondern besagt nur, daß diese keine unbedingte sei […]; daß mithin diese empirische Realität selbst nur die Realität einer Erscheinung sei.« (P I 99)10 Innerhalb dieses Bereichs siedelt Schopenhauer dann auch den Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Vorstellungen an, also zwischen Phantasmen und Träumen auf der einen Seite und Vorstellungen von empirisch Realem auf der anderen, ohne freilich ein Kriterium angeben zu können, das es in jedem einzelnen Fall gestatten würde, beides auseinanderzuhalten.11 Zwar ist er sich darüber im klaren, daß sich die empirische Wirklichkeit tendenziell durch ein höheres Maß an Kohärenz auszeichnet als der Traum und daß zwischen beiden Bereichen in der Regel eine Kluft besteht, aber nichtsdestoweniger gibt er zu bedenken: »[W]enn nun aber […] der kausale Zusammenhang mit der Gegenwart, oder dessen Abwesenheit, schlechterdings nicht auszumitteln ist, so muß es auf immer unentschieden bleiben, ob ein Vorfall geträumt oder geschehn sei.« (W I 45)

      Versichert Schopenhauer bei anderer Gelegenheit, der transzendentale Idealismus beinhalte, daß die empirische Wirklichkeit in gewisser Hinsicht einem Traum gleiche (W I 45 ff.), so ist darin kein Widerspruch zu seiner Konzeption des empirischen Realismus zu erblicken. Während der empirische Realismus innerhalb der Welt als Vorstellung angesiedelt ist und dort allein die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Vorstellung stattfindet, stellt die Rede von der »traumartigen Beschaffenheit der ganzen Welt« (W I 516) das Resultat einer vom Standpunkt der Welt als Wille durchgeführten metaphysischen, über die Welt als Vorstellung hinausgehenden Reflexion dar. Solch eine Deutung des transzendentalen Idealismus geht natürlich über Kant hinaus und reiht sich eher in die Tradition des indischen Denkens ein.

      Während letzterer diese Lehre in der transzendentalen Ästhetik – also im Ausgang von den Anschauungsformen des Raumes und der Zeit – zu begründen versucht, glaubt Schopenhauer, dieses Ziel auf einem einfacheren, von Berkeley gebahnten Weg erreichen zu können: »Es ist allerdings auffallend, daß er [Kant] jene bloß relative


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