Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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sich aus der Strafanzeige allerdings ein Anfangsverdacht auch gegen eine strafmündige Person, so ist eine reguläre Strafanzeige aufzunehmen.

       Beispiele:

      222Neben zwei Kindern soll auch ein Jugendlicher an der Tat beteiligt gewesen sein.

      Der Anzeigeerstatter trägt vor, dass das 12-jährige Kind „von seinen Alten zum Klauen geschickt wurde“. Er hatte beobachtet, wie die Mutter das Kind in den Laden geschickt und ihm nach dem Diebstahl eine Flasche Parfum abgenommen hatte.

       2.11Einsatz verdeckter Ermittler

      223Der Einsatz verdeckter Ermittler wirft aufgrund einer jüngeren Entwicklung in der Rechtsprechung insbesondere bei Beziehungstaten Probleme auf.41

       Beispiel:

      224Die Beschuldigte hatte in den Jahren 2001 und 2004 drei leibliche Kinder im Alter zwischen zwei und 20 Monaten durch sanfte Bedeckung – jeweils mit einem Kissen – erstickt. Nachdem sie 2004 im Rahmen einer verantwortlichen Vernehmung durch die Polizei zunächst zu zwei Taten keine Angaben gemacht und die dritte Tat in Abrede gestellt hatte, erklärte sie, dass sie fortan vollständig von ihrem Einlassungsverweigerungsrecht Gebrauch machen wolle.

      Ab 2005 wurde ein verdeckter Ermittler eingesetzt, der sich unter einer Legende – Verfassung eines Buches über Chatgewohnheiten – in den folgenden 18 Monaten insgesamt 28-mal mit der Beschuldigten traf; daneben gab es umfangreiche Kontakte per SMS, E-Mail und Telefon. Der verdeckte Ermittler erklärte Anfang 2006 wahrheitswidrig, er selbst habe schon einen jungen Menschen getötet. Nach einem fingierten Zusammentreffen mit dem die Ermittlungen führenden Kriminalbeamten, bei dem dieser bekundete, er sei weiterhin von der Tatbegehung durch die Beschuldigte überzeugt, gestand diese gegenüber dem verdeckten Ermittler eine der Taten, machte Angaben zu ihren Motiven und offenbarte originäres Täterwissen.

      In einer danach erfolgten erneuten Beschuldigtenvernehmung – die Legende des verdeckten Ermittlers war zuvor gegenüber der Beschuldigten offengelegt worden – räumte sie sämtliche Taten ein und erklärte in der nachfolgenden richterlichen Vorführung, dass der Inhalt des Haftbefehls, der auf ihren Angaben in der polizeilichen Vernehmung beruhte, zutreffend sei. Sie wiederholte später bei der Exploration durch eine psychiatrische Sachverständige diese Angaben und bestätigte dies im Rahmen der Hauptverhandlung; im Übrigen machte sie dort von ihrem Einlassungsverweigerungsrecht Gebrauch.

      225Der 4. Strafsenat des BGH42 führt die vorangegangenen Entscheidungen des 3. Senates des BGH43 und des EGMR44 zum verdeckten Ermittler unter Geltung des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ fort. Wörtlich: „Die Vorgehensweise des Verdeckten Ermittlers war verfahrensrechtlich unzulässig, weil er der Angeklagten unter Ausnutzung des im Verlauf seines fast anderthalb Jahre dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes geschaffenen Vertrauens selbstbelastende Angaben entlockt hat, obwohl sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung … für das Schweigen zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfe entschieden hatte …. Das Gespräch mit dem Verdeckten Ermittler …, in dem die Angeklagte die Tötung ihres Sohnes … einräumte, stellt sich wegen der vorausgegangenen Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Angeklagten ‚als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung‘ dar.“

Praxistipp:
226 Hat sich der Beschuldigte bereits auf sein Einlassungsverweigerungsrecht berufen, darf der verdeckte Ermittler ihn nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Erklärungen zum Tatgeschehen entlocken.45

      227Zum anderen sind nicht nur die Angaben des Beschuldigten gegenüber dem verdeckten Ermittler unverwertbar, sondern grundsätzlich auch unmittelbar nachfolgende Vernehmungen, sofern „bei der Vernehmung die rechtsstaatswidrige Beweisgewinnung durch den Verdeckten Ermittler“ fortwirkt.46

      228Offen bleibt dabei, ob hier nicht der Vernehmende durch eine qualifizierte Belehrung – Hinweis auf die Unverwertbarkeit der gegenüber dem verdeckten Ermittler gemachten Angaben vor erneuter Beschuldigtenvernehmung – diese Fortwirkung unterbrechen kann. Der 3. Senat hat diese Möglichkeit angedeutet, aber nicht weiter verfolgt, da in dem damals zu entscheidenden Sachverhalt – quasi entgegengesetzt – der vernehmende Polizeibeamte gegenüber der Beschuldigten der objektiven Rechtslage zuwider behauptet hatte, die Angaben gegenüber dem verdeckten Ermittler seien gerichtsverwertbar.

       2.12Heimliches Aufzeichnen von Gesprächen mit Besuchern während der Untersuchungshaft

      229Teilweise versuchen die Ermittlungsbehörden, Informationen von dem inhaftierten Beschuldigten dadurch zu erhalten, dass sie seine Besuchskontakte überwachen. Regelmäßig (aber nicht immer) geschieht dies offen, indem ein Beamter an dem Besuchsgespräch teilnimmt.

       Beispiel:

      230Gespräche des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten mit seiner Ehefrau wurden entsprechend einem Beschluss des Gs-Richters in einem separaten Besuchsraum ohne erkennbare optische und akustische Besuchsüberwachung ermöglicht. Allerdings hatte das Amtsgericht zugleich antragsgemäß die verdeckte Abhörung und Aufzeichnung dieser Gespräche angeordnet.

      231Die Maßnahmen beinhalten keine Verstöße gegen die §§ 100f, c StPO: Haft- und Besuchsräume unterfallen nicht dem Schutz des § 100c StPO, da sie keine Wohnung darstellen und das Abhören daher keinen „großen Lauschangriff“ darstellt.47

      232Rein formell und auch materiell lagen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 100f StPO, der die akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen ermöglicht, vor. Trotzdem gelangte der 1. Strafsenat zu einem Verwertungsverbot. Gemäß § 119 Abs. 3 StPO a. F. in Verbindung mit Nr. 27 UVollzO waren Besuche während der Untersuchungshaft regelmäßig erkennbar zu überwachen; in der Praxis waren Vollzugs- oder Polizeibeamte und Dolmetscher anwesend.

      233Die Besonderheit des Falles besteht darin, dass bewusst ein separater Besuchsraum verwendet wurde, der bei dem Beschuldigten den Eindruck erwecken musste und sollte, hier ungestört und unüberwacht mit seiner Ehefrau sprechen zu können.

      234Die nach strafprozessualen Vorgaben zulässige Maßnahme tangiert daher einerseits den Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare; sie dürfte – da aktives Tun durch die Zuweisung des separierten Raumes vorliegt – die Grenzen der kriminalistischen List in Richtung einer Täuschung im Sinne des § 136a StPO überschreiten. Zu Recht stellte der BGH klar, dass jedenfalls die Gesamtumstände zu einer staatlichen Totalüberwachung des Beschuldigten – ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit in eine Privatsphäre – führen, die mit einem fairen Verfahren nicht zu vereinbaren sind. Genau betrachtet wird aber eine derartige Rückzugsmöglichkeit durch die durch die Strafverfolgungsbehörden geschaffene Situation vorgespiegelt.

Praxistipp:
235 Täuschen die Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die Überwachung von Besuchen während der Untersuchungshaft, so liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz des „fair trial“.

       2.13Hörfallen


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