Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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      –diese räumliche Verlagerung nur gewählt wird, um Zwangsmittel gegen den Zeugen durchzusetzen (Erscheinenspflicht, Vorführung …) und

      –die staatsanwaltliche Vernehmung nur einen äußeren Rahmen bilden soll, in dem eigentlich ein Polizeibeamter die Vernehmung leitet und durchführt,

      stellt sich in der Tat die Frage, ob dies noch eine Vernehmung im Sinne des § 161a StPO darstellt.

      270Eine staatsanwaltliche Zeugenvernehmung im Sinne des § 161a StPO setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt. Eine – über den Staatsanwalt unterstützende Befragung hinausgehende – Zeugenvernehmung durch einen Polizeibeamten in Gegenwart des Staatsanwalts beinhaltet keine zur Sachaussage verpflichtende und bei grundloser Aussageverweigerung ordnungsmittelbewehrte staatsanwaltliche Zeugenvernehmung.60

      271Unbeschadet einer im Einzelfall unglücklichen Aufteilung der Vernehmung auf staatsanwaltliche und polizeiliche Kopfbögen, hinter der sich allerdings möglicherweise ein System verbirgt, sind die Aussagen des OLG inhaltlich zutreffend: Polizeiliche Vernehmungen, die nur im Gewand einer staatsanwaltlichen Vernehmung stattfinden, unterfallen nicht den §§ 70, 161a StPO. Eine staatsanwaltliche Vernehmung setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt; die unterstützende Befragung durch Polizeibeamte ist zulässig, darf aber nicht derart ausarten, dass der Polizeibeamte die Vernehmung führt. Der Senat begründet dies auch anhand der Entstehungsgeschichte der Norm eindrucksvoll. Auf den Punkt gebracht:

       In einer Vernehmung muss auch das drin sein, was draufsteht!

      272Die dargestellte „Notwendigkeit“ staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen hat sich relativiert, da die seit 2017 geltende Neuregelung des § 163 Abs. 3 StPO eine grundsätzliche Erscheinenspflicht des Zeugen auch bei polizeilichen Vernehmungen konstituiert.

       § 163 StPO Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren

      (3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.

      273Aus dieser Norm folgt, dass in den Fällen einer ausdrücklichen staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Vernehmung eines Zeugen dieser (auch) bei der Polizei erscheinen muss und im Weigerungsfalle Zwangsmittel angewendet werden können. Die Regelung hat sich in der Praxis bewährt, zumal die konkrete Anweisung des Staatsanwaltes in Eilfällen auch telefonisch eingeholt werden kann und dann als Vermerk in der Akte notiert wird.

      1Verhör, Vernehmung, Befragung (2016).

      2BGHSt (GS) 42, 139 (145); vgl. auch: Weihmann, Kriminalistische Vernehmung, Kriminalistik 2010, 82 ff.

      3BGH, Beschluss vom 31.2.2011, 3 StR 400/10; vgl. auch BGHSt 52, 11 (15 f.).

      4BGH NStZ 2001, 49 (50).

      5BGH, Beschluss vom 31.3.2011 – 3 StR 400/10.

      6BGHSt 20, 384(385); 29, 230(232); NStZ 2001, 49 (50), vgl. unten Rn 343.

      7Ausführlich dazu: Sommer, Effektive Strafverteidigung, 2016, Rn. 101 ff.

      8Siehe auch Habschick, a.a.O., 96 ff.

      9Kraheck-Brägelmann/Esders/Füllgrabe, Die Beschuldigten- und die Zeugenvernehmung, 1994, 69 ff.

      10Ausführlicher dazu unter Rn. 246.

      11Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren.

      12Lesenswert: Hahn, Gefährderansprache-Vernehmung, der kriminalist 4/2014, 6 ff.

      13BGHSt (GS) 42, 139 (145).

      14Kriminalistik 2008, 672 ff.

      15RR’in Birgit Müller auf: http://www.dvjj.de/sites/default/files/medien/imce/documente/veranstaltungen/dokumentationen/mueller.pdf

      16Dazu ausführlicher Jens Hoffmann/Isabell Wondrak, „Häusliche Gewalt und Tötung des Intimpartners“ 2006, dort Stürmer/Menke/Schilling, S. 153 ff., sowie „Umgang mit Gewalttätern“ 2009, Schenk/Schilling, S. 65 ff.

      17IM Baden-Württemberg 2004, „Polizeiliches Einschreiten bei Erkenntnissen über Bedrohungen im sozialen Nahraum, insbesondere in Paarbeziehungen, zur Verhinderung möglicher Gewalteskalationen bis hin zu Tötungsdelikten.“

      18Strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur zur Vertiefung der Belehrungspflichten bei informatorischen Befragungen und Spontanäußerungen: LG Köln, Urt. v. 7.3.2019 – 101 KLs 7/17; BGH, Beschl. v. 17.7.2019 – 5 StR 195/19; LG Arnsberg, Urt. v. 19.11.2019 – 2 Ks-411 Js 43/19–23/19; Rebler, NZV 2018, 209 ff.; Klaas, JA 2020, 262 ff.; Mosbacher, JuS 2018, 767 ff.; ders., JuS 2020, 128 ff.

      19BGHSt 10, 8 (12); zu einem Extremfall s. Rn. 180.

      20Kriminalistik, a.a.O., 470.

      21Vgl. BGHSt 29, 230 (232); 36, 389.

      22BGH NStZ 1990, 43; vgl. auch Neuhaus, Wider den rein formalen Vernehmungsbegriff, Kriminalistik 1995, 792 i.V.m. Anm. 14.

      23So: Habschick, a.a.O., 174 f.

      24S. Rn. 1627.

      25BGH 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 ff.

      26A.a.O., 3589.

      27OLG Zweibrücken, StRR 2010, 468 m. krit. Anmerkung Burhoff, eda.

      28KG Berlin vom 5.6.2009, 2 Ss 131/09, StRR 2009, 394 (allerdings nur Teilabdruck).

      29BGH, Beschl. vom 22.12.2011 – 2 StR 509/10.

      30BGH, Beschl. vom 22.12.2011 – 2 StR 509/10, Rn. 15.

      31Zum zweiten Beispiel vgl. OLG Saarbrücken, VRR 2008, 193 f.

      32Kritisch dazu: Mitsch, Anmerkung, NStZ 2009, 287 ff.

      33BGH NStZ 1986, 232 f.

      34BGH NStZ 1986, 232.

      35Vgl. dazu Habschick, a.a.O., 251 ff.; Westphal, Der Kriminalistische Beweis, 2010, 133 ff.

      36Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 2020, § 158 StPO Rn. 2 m.w.N.

      37Dazu Rn. 1112.

      38Habschick, a.a.O., 266 m. w. N.

      39Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 158 Rn. 10.

      40Ausführlich dazu: Clages/Nisse, Bearbeitung von Jugendsachen, 2009, 77 ff. (80).

      41Der Rohentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sah eine Neugestaltung vor, die sich auch auf Vertrauenspersonen bezieht. Die §§ 110a bis 110d StPO wurden demgemäß geändert. Von einem Abdruck wird hier aus thematischen Gründen abgesehen.

      42StRR 2009, 221 ff.

      43BGHSt 52, 11 (14 f.).

      44StV 2003, 257 (259).

      45Strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur zur Vertiefung verdeckter Ermittler und Belehrungspflichten: Jäger, JA 2020, 231 ff.; Nowrousian, NStZ 2018, 254 ff.

      46So ausdrücklich BGHSt 52, 11 (23 f.).

      47BGH StRR 2009, 303 f.

      48Vgl. dazu Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft, 2008, Rn. 686 ff; Ahrens, NJW 2018, 2837 ff.

      49BGHSt 34, 362.

      50BGHSt 42, 139.

      51BGH 5 StR 51/10, StRR 2010, 343 ff. m. Anm. Krawczyk.

      52Meyer-Goßner/Schmitt,


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