Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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mit der dann eine Bewertung wahrgenommener Informationen als unbedeutend korreliert.11 Der Bestätigungsfehler oder die Bestätigungstendenz führen also dazu, dass auch vom Vernehmenden schon

      –konsistente Informationen bevorzugt gesucht und

      –stärker gewichtet werden als inkonsistente Informationen,

      –ambivalente Informationen als Bestätigung interpretiert und

      –inkonsistente Informationen – wenn sie überhaupt wahrgenommen werden – als unbedeutend eingeschätzt werden.

       3.7.3Inertia-/Perseveranzeffekt

      318Inertia- und Perseveranzeffekt sind mit dem Prinzip der bestätigenden Informationsverarbeitung teilweise identisch; sie beschreiben den Mechanismus der Selbstbestätigung oder den Trägheitseffekt für den Fall einer bereits vorhandenen und als zutreffend eingeschätzten Hypothese oder Version.12 Das alte Sprichwort „es kann nicht sein, was nicht sein darf“, taucht hier als menschliche Reaktion auf und führt in Extremfällen dazu, dass der Betroffene geradezu verbohrt auf seiner Meinung beharrt, obwohl nicht nur vieles, sondern alles dafür spricht, diese Auffassung zu revidieren.

       3.7.4Primacyeffekt

      319Nach dem Primacyeffekt der Gedächtnisforschung13 werden früh eingehende Informationen besser gespeichert. Früher erhaltene Informationen werden besser erinnert.

      320Diesem Primacyeffekt steht der Recencyeffekt gegenüber, nach dem später eingehende Informationen stärker gewichtet werden, beide Effekte sind existent und situationsabhängig vorhanden.

      321Eine weitere Facette des Primacyeffekts beschäftigt sich mit dem Einfluss der Reihenfolge der Beweismittel: „Die ursprüngliche Hypothese, die die Wahrnehmung und/oder Gewichtung von Beweismitteln betrifft, muss erst einmal generiert werden. Nicht in allen Fällen hat der Urteilende von vorneherein eine Meinung zu dem Thema; …. Die Forschung zum Primacyeffekt legt nahe, dass die Hypothese, die von dem oder den ersten Beweismitteln favorisiert wird, zur Arbeitshypothese wird und die Bewertung der weiteren Beweismittel beeinflusst.“14 Arbeitshypothesen werden zwangsläufig bestätigt.

       3.7.5Ankereffekt

      322Der Ankereffekt stellt ein Phänomen dar, das sich in neueren Untersuchungen bestätigt hat und als Wirkung der ersten Zahl in der Psychologie anerkannt ist: Zur Entscheidungsfindung werden teilweise völlig irrelevante Informationen herangezogen und an dieser beteiligt: Die Vorgabe von Zahlenwerten und deren Höhe wirkt sich etwa auf Schätzungen, aber auch auf Preisvorstellungen selbst dann aus, wenn diese Zahlen mit der zu treffenden Entscheidung erkennbar in keinem Zusammenhang stehen: So hat die Höhe einer visualisierten Zahl entscheidenden Einfluss auf die nachfolgende Schätzung, wie viele afrikanische Länder Mitglied der Vereinten Nationen sind.15 Umgebungsinformationen wirken sich selbst dann auf die Entscheidung aus, wenn diese Informationen für eine rationale und professionelle Entscheidung evident irrelevant sind. Das Phänomen des Ankereffektes spielt insbesondere dann eine ausschlaggebende Rolle, wenn Entscheidungen zu einem Zahlenwert getroffen werden (müssen) und führt – durch die nachweisbare Anpassung – zu wahrnehmbaren Entscheidungsverzerrungen.

       3.7.6Auswirkungen auf das Strafverfahren

      323Im Folgenden gilt es, die Auswirkungen der vorgenannten Phänomene auf das Strafverfahren exemplarisch an einigen Beispielen darzustellen.

       3.7.6.1Bestätigung kriminalistischer Arbeitshypothesen

      324Im Rahmen der Bestätigung kriminalistischer Arbeitshypothesen führt

      –die Kenntnis des Ermittlungsstandes zu einer höheren Tatverdachtsquote (bestätigende Informationsverarbeitung/Primacyeffekt/Inertia- und Perseveranzeffekt),

      –mit dem vorläufigen Ermittlungergebnis kongruente Informationen werden besser wahrgenommen (bestätigende Informationsverarbeitung/Inertia- und Perseveranzeffekt),

      –die Anzahl der Fragen ist von der (vorhandenen) Aktenkenntnis abhängig (bestätigende Informationsverarbeitung).

       3.7.6.2Antragsgemäße Beschlüsse im Ermittlungs- und Zwischenverfahren

      325In vielen Fällen erlassen Gerichte in erstaunlich schneller Zeit antragsgemäß Beschlüsse im Ermittlungsverfahren; die Anträge sind häufig bereits von Polizeibeamten vorformuliert und vom Staatsanwalt – mit seiner Unterschrift versehen – durchgereicht worden. Wissenschaftler haben im Hinblick auf TÜ-Maßnahmen die richterlichen Beschlüsse untersucht und gelangten – vereinfacht ausgedrückt – dazu, dass die Gerichte ihre Prüfungspflicht nicht hinreichend ernst nehmen.

      326Auch der Eröffnungsbeschluss im Zwischenverfahren ist der Regelfall und die Ablehnung der Eröffnung und/oder eine geänderte Eröffnung eine in der Praxis eher seltene Ausnahme. Die Theorie des sozialen Vergleichsprozesses tätigt ihre Wirkungen, in dem sie die Entscheidungsfindung durch den Richter beeinflusst; sowohl die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 1 StPO als auch die des Richters nach § 203 StPO unterliegen einem identischen Maßstab, der Beurteilung eines hinreichenden Tatverdachtes. In dem bei Schünemann insoweit geschilderten Versuch waren die Beurteilungsergebnisse beider Berufsgruppen – bei identischen Akten – höchst unterschiedlich: Zusammenfassend waren die Staatsanwälte überwiegend geneigt, einen hinreichenden Tatverdacht zu verneinen, während die Richter – insbesondere nach fiktiver Anklageerhebung – diesen mehrheitlich bejahten. Zutreffend stellt Schünemann daher fest: „Wenn der Staatsanwalt in einer ambivalenten Beurteilungssituation (scil.: die Akte ließ sowohl eine Anklage als auch eine Einstellung als Entscheidung gut vertretbar sein) eine zweifelhafte Entscheidung trifft, wird diese anschließend vom Richter in der Regel nicht korrigiert, sondern fortgesetzt.“16

       3.7.6.3Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung

      327Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ist geprägt von der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden, der – allein oder mit seinen hauptamtlichen Richterkollegen – im Vorfeld bereits die Eröffnung beschlossen und damit einen hinreichenden Tatverdacht bejaht hat. Die Hauptverhandlung fängt daher nicht bei Null an, sondern, um es mit den Begrifflichkeiten von Schweizer auszudrücken, geht bereits von einer Hypothese, die Verurteilung(swahrscheinlichkeit) lautet, aus: „Die Forschung zum primacy-effect legt nahe, dass die Hypothese, die von dem oder den ersten Beweismitteln favorisiert wird, zur Arbeitshypothese wird und die Bewertung der weiteren Beweismittel beeinflusst“.17

      328Aufschlussreich sind auch hier die Untersuchungen von Schünemann,18 die eindrucksvoll belegen, dass auch bei Richtern alle vorgenannten Phänomene relevant werden.

      329Im Gerichtsverfahren führt

      –die Kenntnis der Ermittlungsakten zu einer höheren Verurteilungsquote (bestätigende Informationsverarbeitung/Primacyeffekt/Inertia- und Perseveranzeffekt),


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