Die letzte Sinfonie. Sophie Oliver

Die letzte Sinfonie - Sophie Oliver


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      »Und weshalb sendet er dir Rosen?«

      Sie hielt ihm die Karte hin, die dabei gewesen war.

      »Musik und Schönheit gehen Hand in Hand. In aufrichtiger Bewunderung, Laurence Verbier«, las Lord Philip vor. Es war unschwer zu erraten, was er dachte, als er die Karte zerknüllte und nach Freda klingelte, damit sie die Vase entfernte.

      »Mir scheint, Sie haben einen neuen Bewunderer, Mrs Arnholtz«, merkte Doktor Pebsworth an. »Mister Verbier scheint über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zu verfügen.«

      »Ich schlage vor, dass sich zwei von uns morgen den ganzen Tag über im Great Eastern aufhalten und die Musiker nicht aus den Augen lassen. Für diese Aufgabe melde ich mich gern freiwillig«, brummte Lord Philip. »Die anderen beiden Ermittler dürfen ein Ausflug aufs Land unternehmen.« Er deutete auf Crispin, der rasch den letzten Bissen seines Scones hinunterschluckte und einen großen Schluck Tee nahm, bevor er sprach.

      »Was die Nachforschungen bezüglich Professor Brown betrifft – die wir natürlich nicht vernachlässigen wollen – ich habe herausgefunden, wo Ridgeway House liegt. Es ist der Landsitz von Colonel Ellingford, Professor Browns früherem Freund aus Indien. Wer möchte sich zusammen mit mir dorthin auf den Weg machen? Die Adresse habe ich notiert.« Aus der Innentasche seines Jacketts zauberte er flugs einen gefalteten Zettel hervor, den er eingeklemmt zwischen Zeige- und Mittelfinger in Richtung Freddie hielt. Seine Mundwinkel zuckten, als sie sofort nach dem Papier griff.

      Kapitel 5 – Middlesex – Freddie

      »Wie großzügig von deinem Onkel, uns alleine ermitteln zu lassen. Für gewöhnlich passt er auf wie ein Schießhund, damit ich dir nicht zu nahe komme.« Crispin beugte sich in der schaukelnden Kutsche zu Freddie und küsste sie. Als sie durch ein Schlagloch rumpelten, wurden sie auseinandergeschleudert und mussten lachen.

      »An seiner Stelle wäre ich auch vorsichtig«, antwortete sie neckisch. »Wo wir doch bei jeder Gelegenheit übereinander herfallen.«

      »Wenn es nur so wäre!« Er verdrehte theatralisch die Augen und sah dabei sehr jungenhaft aus. »Aber mal ehrlich, Freddie. Wir wissen beide, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Irgendwann werde ich eine ehrbare Frau aus dir machen müssen.«

      Sie spürte einen nervösen Stich im Magen, wie immer, wenn das Thema auf ihre unkonventionelle Beziehung kam. Crispin machte zwar gern Scherze darüber, doch ginge es nach ihm, wären sie längst verheiratet. Freddie wusste, dass er lediglich aus Angst vor Zurückweisung die alles entscheidende Frage noch nicht gestellt hatte und dafür war sie ihm dankbar. Das Schlimmste, was sie sich vorstellen könnte, wäre nicht mehr ermitteln zu dürfen. Und wer hatte je von einer verheirateten Frau gehört, die einen Beruf ausübte? Noch dazu unter Männern?

      Sie ließen die belebten Straßen der Stadt hinter sich und fuhren hinaus nach Harrow, wo sich auf einer Anhöhe eine bekannte Privatschule samt Nebengebäuden breit machte.

      Ein Schaudern durchfuhr Crispin, der selbst äußerst ungern im Internat gewesen war und Freddie allenthalben Geschichten von rüden Erziehungsmethoden in derartigen Instituten erzählte. Sie drückte seine Hand.

      »Die Harrow School muss sich neben Eton nicht verstecken. Wusstest du, dass Lord Palmerston, ein früherer Premierminister, hier war?« Seine Stimme klang betont forsch. Mit spitzem Finger wies er auf das rote Ziegelgebäude im neugotischen Stil, das die Bibliothek beherbergte und aussah, als wäre es einem düsteren Traum entsprungen. »Das stand zu seiner Zeit noch nicht, es scheint neu zu sein. Gruselig.«

      Beide atmeten auf, sobald sie das weitläufige Gelände mit Kapelle und Schülerwohnheimen passiert hatten. Ein kleiner Laubwald trennte es vom benachbarten Anwesen. Als sie in den Waldweg einfuhren, schien noch die Sonne, beim Verlassen erwarteten sie düstere Gewitterwolken und Wind kam auf.

      »Der Wetterumschwung kam aber schnell«, murmelte Freddie und war froh, als der Kutscher sie darüber informierte, dass sie so gut wie am Ziel seien. Vorbei an brach liegenden Pferdekoppeln, deren Zaunbretter morsch und zerbrochen waren, führte sie ihr Weg eine von Pappeln gesäumte Allee entlang zum Landsitz von Colonel Ellingford, von dem sie sich Informationen über Professor Brown erhofften.

      Genau in dem Augenblick, als sie das Gebäude erblickten, zuckte ein grellgelber Blitz darüber hinweg, der die Kutschpferde zum Scheuen brachte.

      »Gütiger Gott, wer will hier wohnen?«, entfuhr es Freddie. »Das sieht noch schlimmer aus als das Internat.«

      Die Fassade mit den kleinen Fenstern wurde von treppenartig auf- und absteigenden Dachgiebeln gekrönt, die an eine Zackenkrone erinnerten. Am grauen Stein hatten sich Flechten festgesetzt, was einen verwahrlosten Eindruck machte. Links und rechts des Eingangsportals standen verwitterte Adlerstatuen, ebenfalls grau. Unter dem Dachgesims spähten bröckelnde Gargoyles auf sie herab und Freddie befürchtete, dass jederzeit ein Stück von den Wasserspeiern abbrechen und auf sie herunterfallen könnte.

      Da starker Wind über die Vorfahrt blies und kleine Steinchen mit sich fegte, fuhr der Kutscher mit den Pferden um die schützende Hausecke, nachdem sie ausgestiegen waren, und überließ die beiden Detektive ihrem Schicksal.

      Niemand öffnete auf Crispins Klopfen. Erst als er den Klingelzug mehrmals betätigt hatte, hörten sie, wie drinnen der Riegel aufgeschoben wurde.

      Das Gesicht eines alten Mannes erschien im Türspalt, mit eingefallenen Wangen und einer Nase, spitz wie ein Rabenschnabel.

      »Sie wünschen?«

      »Mein Name ist Crispin Fox und das ist Miss Westbrook. Wir würden gern Colonel Ellingford sprechen.«

      »Haben Sie sich angemeldet?«

      »Ja«, log Crispin.

      »Das glaube ich nicht. Sonst wüssten Sie, dass der Colonel nicht hier weilt.«

      »Was? Oh nein!« Freddie trat vor und rief gegen den Wind an. »Wir müssen ihn sehen. Es handelt sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit. Bitte, guter Mann, wo finden wir ihn?«

      Ihr flehentlicher Blick rührte wohl den Alten, denn er trat beiseite und ließ sie aus dem losbrechenden Sturm in die Eingangshalle treten. Auf dem Steinboden lagen ausgeblichene Teppiche, an denen deutlich Nagespuren von Mäusezähnen erkennbar waren. Die Tür knarzte beim Schließen und verschluckte das ohnehin spärliche Licht fast gänzlich.

      »Der Colonel leidet an der Schwindsucht und hat sich in ein Sanatorium zurückgezogen. Hier in Ridgeway House sind nur noch die Köchin, der Gärtner und ich. Viel zu viele Leute für ein leer stehendes Gebäude«, brummte er.

      »Haben Sie eine Adresse für uns? Dann suchen wir Colonel Ellingford dort auf, falls sein Gesundheitszustand dies erlaubt. Sie würden uns sehr weiterhelfen.« Freddie brachte ein Lächeln zustande, obwohl sie in den muffigen Räumen Beklemmung verspürte.

      »Hm. Ich muss nachsehen. Warten Sie hier.« Er deutete auf den Boden, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass er exakt diese Stelle meinte, an der sie verharren sollten.

      Dann schlurfte er davon, warf nach ein paar Metern einen misstrauischen Blick über die Schulter zurück, als wolle er sichergehen, dass seine beiden Besucher nicht heimlich etwas einsteckten.

      Sobald er verschwunden war, durchquerte Freddie die Eingangshalle und stieg die große Freitreppe hinauf, die in die oberen Stockwerke führte.

      »Was machst du denn?«, zischte Crispin hinter ihr, folgte ihr aber auf dem Fuß.

      Sämtliche Möbel waren mit Tüchern verhängt. Nur die Gemälde an den Wänden nicht. Vor dem lebensgroßen Porträt einer Dame stoppte Freddie. Die blonde Schönheit trug ein weißes Kleid mit ausladendem Reifrock. In Händen hielt sie einen Strauß Kornblumen, deren Blau sich in der Farbe der Augen widerspiegelte. Ihr Haar war zu einer Flechtfrisur gesteckt, wie sie zu Zeiten der jungen Königin Victoria in Mode gewesen war. Im Hintergrund hatte der Künstler eine Pferdekoppel gemalt, auf der Fohlen spielten.

      »Was erlauben Sie sich! Sie sollten im Eingang warten!«


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