Die letzte Sinfonie. Sophie Oliver

Die letzte Sinfonie - Sophie Oliver


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sicher sind Sie sich bezüglich der Todesursache, Doktor?« Lord Philip wechselte das Thema.

      Der Fahrtwind pfiff durchs offene Fahrzeug. Sie fuhren an der Themse entlang stadtauswärts, über ihnen leuchtete ein blassgelber Vollmond, der sich auf dem Wasser spiegelte und sie zu begleiten schien.

      »Dass er vergiftet wurde, steht außer Frage. Bei der Art des Giftes bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, da müsste ich ein paar Tests machen. Was mir Scotland Yard mitnichten gestatten wird, wie wir alle wissen. Also wären wir darauf angewiesen, dass uns irgendjemand Einsicht in den Obduktionsbericht gewährt.« Sie saßen eng aneinandergedrängt auf der einzigen Sitzbank des Automobils und Doktor Pebsworth warf Lord Philip einen kurzen Seitenblick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Möchten Sie, dass ich nachhake?«

      »Nein. Wir haben keinen Ermittlungsauftrag. Das kann Woodard sicher prima alleine lösen, lassen Sie ihn nur.«

      Wie falsch er mit dieser Annahme lag, erfuhr Lord Philip gleich am nächsten Tag, als ein erboster Fletcher Markward im Clubhaus vorsprach und sich lautstark über das Unvermögen von Scotland Yard und Chief Inspector Woodard ausließ. Und die Gentlemenermittler bat, sich der Sache anzunehmen.

      »Wie stehe ich denn da?«, klagte er. »Ein spektakulärer und noch dazu dubioser Todesfall in meinem Haus! Während eines Konzerts! Das muss schnellstens aufgeklärt werden.« Er senkte die Stimme. »Lady Tread­well ist in Ohnmacht gefallen und Mister Connelly-Smith hat sich derart aufgeregt, dass ihm seine Herztropfen verabreicht werden mussten. Vor allen Leuten im Salon. Stellen Sie sich das Gerede vor, den Klatsch. Entsetzlich, ganz entsetzlich.«

      Ein Gefühl von Genugtuung ließ Lord Philip lächeln. Die ganze Nacht über hatte er spekuliert, was hinter dem Tod des Trompeters stecken könnte. Sein Dahinscheiden war wahrhaft spektakulär gewesen, das sah Mister Markward richtig. Es würde ein interessanter Fall werden.

      »Wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung«, informierte er sein Gegenüber.

      Kapitel 3 – Westminster – Freddie

      »Ein vergifteter Amerikaner, der erst seit drei Tagen in London ist und außer Fletcher Markward und seinen Orchesterkollegen niemanden kannte. Dazu drängt die Zeit, weil die Musiker weiterreisen wollen. Und Chief Inspector Woodard hat das ganze heute kurzerhand zu einem Unfall erklärt und den Fall zu den Akten gelegt. Kein Wunder, dass Mister Markward uns engagiert hat. Herrlich!« Lord Philip klatschte in die Hände.

      Knifflige Umstände spornten ihren Onkel zu Höchstleistungen an, wusste Freddie. Und die vorliegenden waren exakt nach seinem Geschmack.

      »Ein Unfall?«, Crispin schnaubte. »Lächerlich. Wie erklärt er das?«

      Die vier Ermittler saßen im Schatten einer ausladenden Scharlacheiche neben dem kleinen See des Saint James Parks. Enten schwammen am Ufer vorbei und auch der ein oder andere Schwan. Auf einer karierten Decke stand eine Obstschale, dazu gab es Biskuits und Sandwiches. Auf den ersten Blick wirkte die Szene eher wie ein entspanntes Picknick als eine berufliche Besprechung. Aber der Tag war herrlich sommerlich, so dass die Gentlemen bereitwillig Freddies Vorschlag gefolgt waren, sich im Park zu treffen, anstatt in den Clubräumen. Wohl hauptsächlich deshalb, weil sie versprochen hatte, für einen gefüllten Picknickkorb zu sorgen.

      Doktor Pebsworth, der seine Leibesfülle auf einen bedenklich knarzenden Klappstuhl verteilte, weil er sich nicht wie die anderen auf den Boden setzen wollte, schnaubte laut. »In seinem Bericht steht, dass es keine eindeutigen Anzeichen für Mord gibt. Er behauptet, der Tote wäre rauschgiftabhängig gewesen, hatte zudem Alkohol im Blut und sich wahrscheinlich aus Versehen selbst vergiftet.«

      »Wie bitte?«

      »Seine zweite Theorie lautet, Mister Belami hätte im Alkoholrausch sein Trompetenöl mit Gift verwechselt und sich möglicherweise auf diese Art – Sie ahnen es – irrtümlich ins Jenseits befördert.«

      Betretenes Schweigen war die Folge. Normalerweise gab Woodard keine derartigen Abstrusitäten von sich.

      »Der Sachverhalt eines Mordes wäre nicht zweifelsfrei gegeben. Sagt er«, schloss Doktor Pebsworth.

      Crispin lachte. Er hatte sich auf der Picknickdecke ausgestreckt, rollte auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen. »Das ist absurd und alles an den Haaren herbeigezogen. Der Chief Inspector weiß genauso gut wie wir, dass der Trompeter ermordet wurde. Was ist los mit ihm? Ich finde, er sollte sich aufs Altenteil zurückziehen, wenn er seinen Biss verliert. Hat er keinerlei Ermittlungsantrieb mehr?«

      »Ja und nein. Der gute Woodard ist schlichtweg überlastet. Er hat mit einer Einbruchserie zu kämpfen, die gerade aus dem Ruder läuft. Viele wohlhabende Londoner haben sich wegen der Hitze auf ihre Landsitze zurückgezogen und in den letzten Wochen wurden mehrere Stadthäuser ausgeraubt. An sich nichts für Scotland Yard, wenn nicht kürzlich ein überraschend nach London zurückgekehrter Adelssproß die Räuber überrascht hätte und ermordet worden wäre. Das schlägt natürlich Wellen und Woodard soll die Täter schleunigst dingfest machen. Alles andere interessiert ihn nicht. Am wenigsten ein toter Amerikaner. Niemand wird protestieren, wenn er den Fall zu den Akten legt.«

      »Und Sie sind so gut informiert, Doktor, weil …?«

      » … ich Freunde in gewissen Positionen habe, Miss Westbrook.« Er grinste Freddie an und zog ein Stück Papier aus seiner Tasche, auf dem jemand mit Bleistift eng Zeile um Zeile gekritzelt hatte. »Scotland Yard hat einen neuen Pathologen eingestellt, Doktor Haddock. Dessen Mutter ist meine Cousine dritten Grades und der Junge ein sehr fähiger Arzt, der weiß, was er seiner Familie schuldig ist. Daher war er auch so freundlich, mir gewisse Informationen aus dem Autopsiebericht des Toten zukommen zu lassen.«

      Nun setzte sich Crispin vollends auf und Freddie schob die Obstschale beiseite, um näher an Doktor Pebsworth zu rutschen. Er hatte ihre volle Aufmerksamkeit. Einzig Lord Philip blieb entspannt sitzen, den Rücken an den dicken Eichenstamm gelehnt, und beobachtete seine Kollegen mit wohlwollendem Gesichtsausdruck.

      Um vorlesen zu können, brauchte der Doktor seinen Kneifer, dann strich er den Zettel glatt.

      »Carl Belami wurde mit Arsen vergiftet, wie ich es vermutet hatte. Was Woodards Theorie von Abhängigkeit und Unfall eventuell den Rücken stärkt.«

      »Ich habe noch nie gehört, dass jemand arsensüchtig ist«, sagte Freddie. Soviel sie wusste, war Arsenik Jahrhunderte lang das Mittel der Wahl für Giftmorde gewesen, weil es nicht nachweisbar war. Erst vor etwa sechzig Jahren hatte ein Chemiker, dessen Namen sie sich nicht gemerkt hatte, eine Nachweisreaktion entwickelt. Weshalb sollte jemand freiwillig das Gift zu sich nehmen?

      Doktor Pebsworths Wangen röteten sich. Er war in seinem Element. »Ein wenig bekannter Umstand, aber das gibt es. Vor Jahren hat mir ein Kollege von Arsen­essern in abgelegenen Berggebieten des Österreichischen Kaiserreiches berichtet. Dort nehmen die Leute kleine Dosen des Gifts als Aufputsch- und Allheilmittel. Natürlich hat das langfristig verheerende Folgen, aber es gibt nichts, was sich der Mensch nicht zuführt, wenn es einen Rauscheffekt hat.«

      »Faszinierend«, bemerkte Crispin.

      »Nicht wahr? Aber zurück zu unserem Toten. Dass er vor dem Konzert getrunken hat, ist korrekt, Brandy, um genau zu sein. Aber meiner Meinung nach erfolgte die Vergiftung nicht plötzlich, was einen Unfall ausschließt, sondern über einen längeren Zeitraum, denn in seinem Magen fand der Pathologe Schleimhautdefekte, die Woodard als beginnende Magengeschwüre interpretiert – entgegen Doktor Haddocks Empfehlung. Ich glaube, dass sie auf die Arsenvergiftung zurückzuführen sind. Und bevor Sie fragen – Carl Belami war sicherlich kein Arsen­esser, das wäre abstrus. Wenn er sich berauschen oder anregen wollte, hätte er bequem Zugang zu weniger schädlichen Substanzen. Immerhin lebte er in den Vereinigten Staaten und nicht in einem Bergdorf fernab jeglicher Zivilisation.« Er gestikulierte angeregt. »Vermutlich wurden Carl Belami mehrere Dosen des Gifts verabreicht. Relativ hohe, er hatte sicher Beschwerden. Bis hin zur letzten, tödlichen, am Abend des Konzerts, die sich hätte gut in einem Glas Brandy verstecken lassen.«

      Freddie griff


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