Nur Ja! heißt ja. Machlus
Bevor dieses Buch zum Buch wurde, war es ein Fanzine und davor ein Artikel. Doch zuallererst, und vielleicht am bemerkenswertesten, war es ein gefährlich leerer Raum. Ähnlich der leeren Seite, die ich gerade anstarre, während ich diese ersten Worte schreibe.
In der queeren Community, zu der ich in meiner Heimat in den USA gehörte, war Konsens ein ziemlich verbreitetes Konzept. Nachdem ich ein paar Jahre in Barcelona gelebt hatte, in feministischen Kreisen unterwegs war und ein wenig Recherche betrieben hatte, wurde mir klar, dass die Idee vom sexuellen Konsens – vom ausdrücklich einvernehmlichen Sex – in der spanischen Sprache keinen Platz gefunden hatte. Ich saß also in meiner kleinen Wohnung in Sant Antoni in Barcelona und blickte auf eine riesige klaffende Leerstelle. Der erste Artikel, den ich auf Spanisch über Konsens veröffentlichte, war ein Versuch, diese Lücke zu füllen. Er erwies sich jedoch lediglich als Reparaturversuch mit unzureichenden Mitteln: Der Artikel wurde kaum beachtet – es gab keinerlei Reaktionen darauf.
Der Misserfolg des Textes überzeugte mich erst recht von der Notwendigkeit, mit so vielen Leuten wie möglich über Konsens zu sprechen. Als Frau habe ich selbst zahlreiche Erfahrungen gemacht, in denen mein »Nein« nicht gehört wurde: Situationen, in denen die andere Person dennoch beharrlich blieb, was zu kleinen bis wirklich erschütternden Übergriffen führte. Ich hatte auch schon großartige sexuelle Begegnungen voller Erkundungen, in denen wir immer wieder unser gegenseitiges Einverständnis einholten. Diese Offenheit war auf die bestmögliche Weise bewegend. Die Gegensätzlichkeit dieser Erfahrungen machte mir deutlich, dass sexuelles Einvernehmen – sexueller Konsens – zu unglaublich gutem Sex führt. Dabei ist Konsens an sich wirklich unkompliziert. Er ist leicht zu verstehen und zu praktizieren. Zugleich verhindert Konsens nicht nur Vergewaltigungen, sondern er ermutigt und stärkt Menschen darin, Sex zu genießen.
Ich dachte also über verschiedene Möglichkeiten nach, wie ich die Wichtigkeit von Konsens im großen Stil an die Leute bringen konnte. Nachdem ich ein paar vage Nachrichten in den Chat meines Gemeinschaftsbüros geschickt hatte, ereilte mich das größte Glück: Petra Eriksson. Aus Gründen, die ich wahrscheinlich nie verstehen werde, erklärte sich Petra bereit, meinen Artikel zu etwas wunderbar Sichtbarem, Druckbarem und leicht Verständlichem zu machen. Wir trafen uns fast drei Jahre lang wöchentlich, um gemeinsam ein Fanzine zu gestalten. Nebenbei freundeten wir uns miteinander an. Aus dieser Begegnung und mit Unterstützung der herausragenden Lektorin Marta Delatte, der Übersetzerin Nuria Curran und dem kurzfristig eingesprungenen Zweitübersetzer Cristian Pallejà sowie mit Lucia Lijtmaer und Marisa Kurk entstand das Fanzine »La palabra mas sexy es… Sí« (dt. »Das sexyeste Wort ist … Ja«). Wir wollten, dass es von allen, überall und immer genutzt werden könnte, also stellten wir es auf consentzine.com kostenlos zum Herunterladen zur Verfügung. Dann warteten wir auf eine Reaktion.
Diesmal klappte es. Leider hing die erhöhte Aufmerksamkeit mit dem Gerichtsverfahren zusammen, das bezüglich der Gruppenvergewaltigung einer 18-jährigen Frau in Pamplona, Spanien, durch eine Gruppe Männer namens »La Manada« (dt. »Das Rudel«), stattfand. Das Gericht bezog sich bei seinem Urteil weder auf fundierte Quellen noch auf Gesetze zu Konsens (die es im spanischen Kontext auch kaum gab). So wurde geurteilt, dass das Schweigen der Frau bedeutete, sie habe zugestimmt, von fünf Männern oral, vaginal und anal penetriert zu werden. Aus diesem Grund suchten nun viele Menschen – jetzt mehr denn je – nach Informationen über Konsens. Und da es auf Spanisch so wenig Material gab, stießen sie auf unser Fanzine.
So auch eine Praktikantin der Verlagsgruppe Penguin/Random House, die zu beiden Präsentationen des Fanzines kam und es ihren Vorgesetzten zeigte. Es geschieht selten, dass eine einzige Person, in nur einem einzigen Moment, den Verlauf des Lebens einer anderen grundlegend verändert. Doch Clara tat genau das und ich bin ihr ewig dankbar für ihren beharrlichen Einsatz für dieses Projekt!
Mein Traum, ein Buch zu schreiben, wurde wahr. Es nahm schnell Form an, und nun dachte ich genauer über die Lesenden nach. Für wen war dieses Buch bestimmt? Mit Menschen zu sprechen, deren Meinung, Werte und Geschichten den eigenen ähneln, kann heilsam und enorm stärkend sein. Mir persönlich hat es dabei geholfen, mich von einigen meiner Traumata zu erholen. Doch je mehr Vorträge ich über Konsens hielt, die vornehmlich von Frauen mit ähnlichen Gedanken und Lebensgewohnheiten besucht wurden, desto bewusster wurde mir, dass ich mit meiner Botschaft eigentlich vor allem jene Menschen erreichen will, die anders denken als ich.
Ich versuchte also, dieses Buch auf eine Weise zu verfassen, dass sich so viele Menschen wie möglich damit auseinandersetzen könnten – auch wenn sie vielleicht nicht allem zustimmten. Das Buch ist so aufgebaut, dass ein Einstieg in den Text an jeder Stelle möglich ist und Lesende sich die Informationen heraussuchen können, die sie gerade am dringendsten brauchen. Ich träume davon, dass Menschen aller Altersgruppen, Hintergründe und Lebensweisen dieses Buch lesen und es einander schenken. Ich stelle mir vor, wie Partner*innen, im Bett auf Kissen gestützt, ihre Exemplare lesen; Eltern es ihren Kindern geben; Kinder es ihren Eltern geben; wie es in der sexuellen Bildung in Schulen zum Einsatz kommt; in den Wartezimmern von Ärzt*innen ausliegt; wie Fußballtrainer*innen es im Team verteilen; Oberschüler*innen in den Schulfluren darüber sprechen; abgegriffene Exemplare in besetzten Häusern und Behördengebäuden herumliegen. Damit will ich sagen: Dieses Buch soll eine Anleitung zum Konsens für alle sein. Es ist mit der Absicht geschrieben, einen geschützten Raum für alle Menschen zu bieten; egal, was dein Geschlecht ist; egal, welchen familiären Hintergrund du hast, was Rassismus und Klassenverhältnisse angeht; egal, welche Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen du mitbringst; egal, wie du sonst verortet und unterwegs bist: Es geht hier darum, dass du (ja, du!) es verdienst, wahrgenommen zu werden. Das Buch bietet einen unendlich weiten Raum, in dem alle Platz finden, die hereinkommen wollen. Doch das ist nur der Rahmen, der allererste Anfang eines Gesprächs über Konsens.
Durch ein breites Verständnis von Konsens kann so viel Leid beendet werden – und ich bleibe weiterhin zuversichtlich, dass die Mehrheit der Menschen daran interessiert ist. Aber bitte versteht meinen freundlichen Ton nicht als Naivität oder reine Nettigkeit: Ich bin wütend, schockiert und außer mir über den Zustand der Welt. Wie könnte irgendwer das nicht sein? Im Text stelle ich meiner eigenen Meinung Tatsachen aus zitierten Quellen und Beschreibungen in der dritten Person voran, um dem Material mehr Stichhaltigkeit zu verleihen – eine solide Grundlage, auf der wir uns bewegen können. Westliche Gesellschaften haben eine besonders dogmatische Perspektive auf wissenschaftlich fundierte ›Fakten‹. Obwohl ich nicht so begeistert von dieser institutionellen Verehrung bin, die so offensichtlich die Ideen jener ignoriert und entwertet, die sich eine höhere Bildung nicht leisten können oder wollen, erkenne ich an, dass es wichtig ist, eine stabile Wissensgrundlage zu haben, auf der wir die Debatte für ein Ende von Vergewaltigungen und Vergewaltigungskultur führen können.
Zu dieser Grundlage gehört eine gemeinsame Sprache, damit wir einander verstehen können – und das trotz verschiedener Bildungshintergründe, politischer Parteinahmen, unserer Klassenunterschiede und weiterer gesellschaftlich hergestellter Trennlinien. Am Ende dieses Buchs gibt es ein Glossar mit Begriffen und Definitionen. So sprechen wir dieselbe Sprache, egal ob eine Person hier zum ersten oder zum tausendsten Mal das Wort »cis« im Zusammenhang mit Geschlecht liest.
Das Buch ist ursprünglich für den spanischen Kontext verfasst worden, wo es eines der ersten Bücher war, die sich mit Konsens beschäftigen. Darin liegt sein Verdienst. Lücken warten darauf, gefüllt zu werden. Es erscheint also sinnvoll, von Anfang an zu versuchen, über Konsens auf eine Weise zu sprechen, die geschlechtsneutral, dekolonisiert, alle einbeziehend, antirassistisch, enthindernd (statt beHindernd), sex-positiv, nicht heteronormativ, nicht cisnormativ ist.
Trotz meiner Bemühung, aus einem intersektionalen Bezugspunkt heraus zu schreiben, habe ich auf dem Weg sicherlich viele Fehler gemacht. Gruppen von Menschen nicht auf dem Schirm zu haben und/oder ihnen nicht mit ausreichend Respekt zu begegnen, ist eine erschreckende und zugleich beinahe gewisse Wirklichkeit. Stolpern und Fallen ist wohl ein notwendiger