Nur Ja! heißt ja. Machlus

Nur Ja! heißt ja - Machlus


Скачать книгу
hingegen image bist, kreuze jenes Kästchen an. Dieses System beruft sich auf die Denkweise des »entweder oder«, denn es ist nicht erlaubt, beide Kästchen anzukreuzen. Ein weiteres Kästchen irgendwo dazwischen zu zeichnen, käme nicht in den Sinn und wäre unerhört. Dieses strenge System, diese Ordnung, wird als Binarität – als Zweiteilung – bezeichnet, weil es nur zwei Optionen gibt, zwischen denen wir uns entscheiden müssen.

image

      Theoretisch hat eine Person, die in eine bestimmte Schublade gehört, bestimmte Eigenschaften zu erfüllen. Eine image Person ist anfällig für eine bestimmte Krankheit; eine image Person denkt auf dieses Weise; image Personen lieben image Personen. Diese vier Lücken beruhen auf einer Reihe gesellschaftlicher Vorannahmen, die als soziale Konstruktionen – als gesellschaftlich hergestellt – bezeichnet werden. Im Wesentlichen hat hier eine Gruppe von Menschen Entscheidungen darüber getroffen, wie eine Person sein sollte oder nicht sein sollte; und weil das für einige Leute in der Gesellschaft Vorteile brachte, stellten sie sicher, dass diese sozialen Konstruktionen in Kraft blieben. Im Ergebnis wird die Persönlichkeit und Identität von Menschen anhand dieser Kästchen bemessen und von ihnen geprägt, anstatt dass sie diese selbst formen (können).

image

      Es ist logisch, dass ein einzelnes Kästchen nicht die Komplexität eines Menschen enthalten kann. Glücklicherweise zieht die Wissenschaft langsam nach und je mehr wir lernen, desto deutlicher wird, dass wir unendlich viele Kästchen brauchen würden, um Menschen darin zu erfassen. Um einander verstehen zu können, ist es tatsächlich am klügsten, wenn wir uns von der Vorstellung der Kästchen einfach komplett verabschieden. Die Forschung zeigt nicht nur, dass es kein ›normal‹ gibt, sondern dass die Starrheit dieses Systems verhindert, dass das lebendige Spektrum der menschlichen Existenz als solches wahrgenommen wird. Trotz der erdrückenden Beweislast beruhen angloeuropäische Gesellschaften auf diesen unangemessenen und vereinfachten Verallgemeinerungen. Sie verweigern sich weitgehend einer entsprechenden Verschiebung und haben vielleicht sogar ein bisschen Angst davor.

      Diese Übervereinfachung durchzieht jeden Aspekt unseres Lebens. Eine besondere Rolle spielt sie in Bezug auf unser Geschlecht und unsere Sexualität. Je nachdem, welches Geschlecht einer Person zugewiesen wird, werden von ihr bestimmte Verhaltensweisen erwartet – von der Partner*innenwahl über sexuelle Praktiken bis hin zu Kleidung und Haarentfernung. Sogar wenn eine Person außerhalb dieser Schubladen lebt, ist es wahrscheinlich, dass die Welt sie weiterhin auf ein Stereotyp reduzieren will. Um uns von diesen Beschränkungen zu befreien, müssen wir diese Vereinfachungen zunächst verstehen: Wie sind sie entstanden und zu welchem Zweck wurden sie geschaffen?

      Daher bietet ein Verständnis von Geschlecht – wie es bei der Geburt zugewiesen wird (engl. sex) und wie wir es leben (engl. gender) – sowie von sexueller Orientierung, von rassistischen Körpernormen usw. eine gute Grundlage, um nachvollziehen zu können, wie die gegenwärtige kulturelle Gemengelage entstanden ist. Diese Vorstellungen stellen aber weder die Zukunft noch unveränderliche Tatsachen dar.

image

      1.2Geschlecht – sozial und biologisch?

      In welchem Buch, das du gelesen hast, in welchem Film, den du gesehen hast, spielte Geschlecht keine Rolle für die Handlung? Ob in Sachtexten, Romanen, Dokumentar- oder Spielfilmen: Wir finden darin immer Spuren dieses Konzepts. So vieles in der – wenn nicht die gesamte – Geschichte der Menschheit wird entlang von Geschlecht erzählt. Die Theorien zum – ›biologischen‹ und sozialen – Geschlecht würden ein ganzes Bücherregal füllen, doch um es kurz zu halten, erklären wir hier im Schnelldurchlauf, wie wir zu unserem aktuellen Verständnis von Geschlecht gekommen sind. Vielleicht ist besonders interessant, wo wir es falsch verstanden haben.

      Erinnere dich an deinen frühen Biologieunterricht. Da gab es vollkommene, nackte Personen, die zu vollkommen geformten Chromosomen passten. Das Konzept des ›biologischen Geschlechts‹, das bei der Geburt zugewiesen wird, wurde fast immer als wissenschaftliche Tatsache dargestellt und somit als etwas Eindeutiges und Wahres verstanden. Wir lieben die Wissenschaft, weil sie uns vermeintlich genau das liefert: etwas Stabiles. Aber diese Stabilität kann auch zu einer Starrheit führen, in der wenig Raum für Entwicklung bleibt.

      So wie die Wissenschaft sich von der Theorie, die Erde sei eine Scheibe, weiterentwickelt hat, haben sich auch Vorstellungen vom bei der Geburt zugewiesenen ›biologischen Geschlecht‹ weiterentwickelt. Traditionell wurde das ›biologische Geschlecht‹ – oder vielmehr, das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht – als etwas Objektives und Unveränderliches erachtet. Die Wörter »männlich« und »weiblich« wurden hier direkt in Bezug auf Genitalien und Chromosomen benutzt. Mittlerweile haben wir gelernt, dass diese anfänglichen Vorstellungen von Genitalien, Fortpflanzungsorganen und Chromosomen faktisch nicht richtig sind. Das ›biologische Geschlecht‹ ist ein Spektrum; es ist beweglich und es kann sich verändern. Das menschliche Denken wollte etwas vereinfachen, das die Natur aber eher als Mosaik entworfen hat.

      Um die Beweglichkeit des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts zu verstehen, müssen wir ein bisschen tiefer in die Biologie eintauchen – insbesondere hinsichtlich der Frage, inwiefern Genitalien und Chromosomen unveränderlich und miteinander verknüpft sind.

      Lasst uns mit den Genitalien beginnen. Wenn ein Mensch geboren wird, oder bereits bei vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen, schaut sich die medizinische Fachkraft die Genitalien an und weist dem Kind ein ›biologisches Geschlecht‹ zu (deshalb sprechen wir auch vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht): »männlich«, wenn es einen Penis hat; »weiblich«, wenn es eine Vagina hat; und »intergeschlechtlich«, wenn es so genannte »uneindeutige Genitalien« hat – ein Überbegriff, der für alle Genitalien genutzt wird, die außerhalb der begrenzten Definitionen der westlichen Medizin von ›männlichen‹ und ›weiblichen‹ Genitalien liegt. Hierin liegt das erste Problem: Es hat immer Menschen gegeben, deren Genitalien nicht zu den Konstrukten der westlichen Medizin passten. Viele Menschen werden mit inneren oder äußeren Genitalien aller möglichen Formen, Größen und Kombinationen geboren. Expert*innen schätzen, dass 1,7 Prozent der Menschen mit ›intergeschlechtlichen‹ Merkmalen geboren werden, was etwa dem Prozentsatz der Menschen entspricht, die mit rotem Haar zur Welt kommen.1 Das ist eine enorme Zahl vollkommener Körper, denen nur zwei Optionen zur Auswahl gegeben wurden. Sie belegen die Notwendigkeit, die bisherigen Vorstellungen dessen zu hinterfragen, was einen ›männlichen‹ und/oder ›weiblichen‹ Körper ausmacht. Zudem sind die eindeutigen Vorstellungen von ›Penis‹ und ›Vagina‹ selbst Konstrukte. Die Genitalien eines jeden Menschen sind einzigartig – es gibt keine ›normale‹ oder durchschnittliche Form. Abgesehen von der unendlichen Bandbreite an Größen, Formen, Farben usw. hat jede Person das Recht, selbst frei zu benennen, was sie zwischen den Beinen hat – mit allen Wörtern, die dazu gewählt werden mögen. Was wie ein bloßer Akt der Zuweisung eines ›biologischen Geschlechts‹ eines Menschen erscheinen mag, ist jedoch eine folgenschwere Festlegung für das gesamte Leben dieser Person: Es beeinflusst beispielsweise, welche Chancen sie haben wird, wie sie von der Gesellschaft gesehen wird, wie sie medizinisch behandelt wird. Wenn es um so vieles geht, könnte man annehmen, dass die Zuweisung von Geschlecht ein genauer Prozess sei. Doch das Konzept der Zuweisung eines Geschlechts als männlich, weiblich oder intergeschlechtlich bezüglich bestimmter Genitalien ist keineswegs objektiv, denn innere und äußere Genitalien sind überaus vielfältig.

image
Скачать книгу