Black and Blue. Wolfram Knauer

Black and Blue - Wolfram Knauer


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Chorus sein Instrument lautmalerisch »zum Lachen« bringt. Keppard sei halt ein Clown gewesen, urteilte Armstrong später, der schnelle Beifall sei ihm wichtiger gewesen als die Musik.64 Unter eigenem Namen existieren vom September 1926 nur zwei Titel Freddie Keppards auf Schallplatte, in denen er einen markant-kraftvollen, von stakkato-phrasierten Tönen geprägten Stil zeigt (etwa in ›Stock Yard Strut‹), eine antreibende Ensemblemusik, die jedoch meilenweit von den melodischen Erfindungen entfernt ist, die Armstrong zur selben Zeit spielte. Immerhin sei er in seinen besten Momenten ein »soul musicians« gewesen, attestiert Armstrong, ein Musiker mit emotionaler Tiefe also.65 ›Stock Yard Strut‹ und ›Salty Dog‹ vom September 1926 allerdings waren zugleich Keppards letzte Aufnahmen. Der Erfolg weit jüngerer Musiker und die verpassten Chancen einer größeren Karriere mögen ihn immer mehr deprimiert und zum Alkohol gezogen haben. Im Sommer 1933 verstarb er mit gerade einmal 44 Jahren an den Folgen einer Tuberkuloseinfektion.

      Die junge Chicagoer Szene

      Neben den Tänzern im Lincoln Gardens waren auch junge weiße Musiker auf Armstrong und die Oliver-Band aufmerksam geworden. Sie nahmen sich die schwarzen Profis aus New Orleans zum Vorbild, schlichen in die Tanzsäle oder hielten sich hinter der Bühne auf, um möglichst jeden Ton mitzukriegen. Zugleich besorgten sie sich die Platten und spielten viele der Stücke mit der Dringlichkeit nach, die sie im Lincoln Gardens erlebt hatten. Neben Oliver orientierten sie sich auch an weißen Kapellen wie der Original Dixieland Jazz Band oder den New Orleans Rhythm Kings. Ihre Nachahmung betraf die Themen, die Art und Weise kollektiv zu improvisieren, betraf aber erstmals auch die Nachahmung einzelner Vorbilder. In die Jazzgeschichte ging vor allem ein Kreis von Freunden ein, die gemeinsam die Austin High School besuchten und insbesondere von Olivers Band begeistert waren. Die »Austin High School Gang« bestand aus Musikern wie dem Trompeter Jimmy McPartland, dem Klarinettisten Frank Teschemacher, dem Saxophonisten Bud Freeman, dem Gitarristen Eddie Condon und dem Schlagzeuger Dave Tough. Wie stark der Einfluss Olivers und Armstrongs auf diese jungen Musiker war, zeigen ihre eigenen ersten Aufnahmen, die sich am Ideal der Creole Jazz Band orientierten.

      ›Buddy’s Habits‹ etwa – ein Stück in klassischer Ragtime-Form (AA BB A CCCC) mit einem Slide-Whistle-Solo Armstrongs im ersten C-Teil und einem Duo-Break der beiden Kornettisten im zweiten C-Teil – wird im Februar 1924 von der Bucktown Five eingespielt, einer Besetzung junger weißer Chicagoer Musiker um den Kornettisten Muggsy Spanier und den Klarinettisten Volly De Faut, und die Aufnahme entspricht erkennbar dem Vorbild des Oliver-Arrangements. Der Platz des Slide-Whistle-Solos kommt bei der Aufnahme der jungen weißen Chicagoer dem Posaunisten zu. Und in Spaniers Spiel hört man deutlich, dass dieser sich Phrasen aus Olivers Band abgeschaut hatte, und zwar beim gleich alten Armstrong und nicht etwa beim Bandleader. Vor allem aber wird in diesen Aufnahmen deutlich, dass die rhythmische Energie der Creole Jazz Band die jungen weißen Musiker beeindruckt haben musste, etwa im B-Teil, den sie weit swingender vortragen als die Oliver Band und in dem man ahnt, welche Spuren die neue rhythmische Grundhaltung hinterlassen hatte, die sich insbesondere in Armstrongs Spiel widerspiegelte.

      Übrigens suchten nicht nur die jungen Chicagoer Musiker Olivers Band im Lincoln Gardens auf, sondern auch national bekannte Stars kamen vorbei. Baby Dodds etwa erinnert sich an Paul Whiteman, Guy Lombardo oder Paul Ash, die in den Lincoln Gardens kamen, wenn sie anderswo in Chicago ein Engagement hatten.

      Ende der Creole Jazz Band

      Warum die Creole Jazz Band Anfang 1924 auseinanderging, ist nicht bekannt, aber Geld mag eine Rolle gespielt haben. Dabei ging es sowohl um die Honorare für Aufnahmesitzungen als auch um die Aufteilung der Gage im Lincoln Gardens. Dort habe Oliver Ende 1923 95 Dollar pro Musiker und Woche erhalten, aber nur je 75 Dollar ausgezahlt. Johnny und Baby Dodds, erzählte Lil Armstrong später, hätten das herausgefunden, ihm Prügel angedroht und die Band verlassen.

      Olivers Aufnahmen von 1923 gelten als Musterbeispiel des New Orleans Jazz, auch wenn Experten immer wieder bezweifelten, ob diese so kunstvoll durchgeformte Musik wirklich der in ihrer Vorstellung weit archaischer gedachten Musik in New Orleans entsprach. Schlagzeuger Baby Dodds immerhin bezeugt: »Die Oliver-Band war da ganz traditionell. Joe machte alles gemäß der Tradition in New Orleans.«66 Und selbst Armstrong war schon damals der Tradition so stark verbunden, dass er seinen Bandkollegen bald auf die Nerven fiel, wenn er immer wieder von den Brassbands seiner Heimatstadt schwärmte.67 Zwischen April und Dezember 1923 hatte die King Oliver Creole Jazz Band insgesamt 37 Tracks eingespielt, 30 verschiedene Titel. Es ist eine Musik, die im Geiste des New Orleans Jazz lebt, in der Blues, Ragtime und die populären Schlager der Zeit verarbeitet werden, die eine kollektive Energie zu erzeugen vermag und doch in Ansätzen schon andeutet, was daraus wohl mal werden kann. King Oliver ist der Chef der Band, aber Armstrong der virtuose Star, bestaunt, bewundert, gefeiert.

      King Oliver war auch nach Auflösung der Creole Jazz Band weiterhin ein gefragter Musiker. Als er 1927 nach New York ging, hatte er einen gefeierten Auftritt im Savoy Ballroom, der ihm das Angebot eines festen Engagements im Cotton Club einbrachte. Oliver lehnte ab, weil er die Gage als unter seinem Wert empfand. Duke Ellington war die zweite Wahl, und für ihn war der jahrelange Gig im Cotton Club der Start seiner weltweiten Karriere. Oliver tourte und nahm bis 1931 Platten mit seinen Dixie Syncopators auf, deren Musik nun viel stärker arrangiert war als zuvor. Gesundheitsprobleme ließen ihn die Soli an jüngere Kollegen abgeben, und als ihm nach einer Zahnfleischvereiterung fast sämtliche Zähne gezogen wurden, konnte er überhaupt nicht mehr spielen. Er ließ sich in Savannah, Georgia, nieder und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Aufseher in einem Billardsalon. Er sparte auf ein Gebiss, mit dem er hoffte, wieder spielen zu können. Armstrong hatte ihn noch einmal gesehen, als er im September 1937 auf Südstaaten-Tournee in Savannah Station machte. Auf der Straße wollte er etwas bei einem der Straßenhändler kaufen und erschrak, als er in diesem seinen früheren Mentor erkannte. Er gab ihm alles Geld, das er bei sich hatte, sammelte bei seinen Bandkollegen und lud ihn zum Konzert an dem Abend ein. Oliver ging in ein Leihhaus, kaufte sich einen Anzug und einen Hut und sah, wie Satchmo sich erinnert, »so scharf aus wie der alte Joe Oliver von 1915«.68 Wenig später, am 10. April 1938, starb Oliver mit 52 Jahren an einer Gehirnblutung. Armstrong bestand zeitlebens darauf, Oliver sei an einem gebrochenen Herzen gestorben. Sein Leichnam wurde nach New York überführt, und beim Trauergottesdienst, der vom späteren Bürgerrechtler Adam Clayton Powell Jr. geleitet wurde, spielte Armstrong Trompete. »Es wäre schön gewesen«, wird er zitiert, »wenn es eine Parade für ihn gegeben hätte.«

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