Black and Blue. Wolfram Knauer
Bands landete. Armstrong war mit allen Spielorten der Stadt vertraut, vom Lincoln Gardens, der sich vor allem an ein junges schwarzes Publikum richtete, über das Dreamland Café, ein von Schwarzen betriebenes »black and tan«, das also ein gemischtes Publikum anzog, bis zum Sunset Café, einem der teuersten Clubs auf der South Side, das sich vornehmlich an eine weiße Kundschaft richtete.
Aufnahmen mit der Creole Jazz Band
Hier nun beginnt die Geschichte des Jazzmusikers Louis Armstrong, die nicht nur aus Erzählungen und Augenzeugenberichten bekannt, sondern auch durch Aufnahmen dokumentiert ist. Der Jazz als eine improvisierte Musik ist auf die Tonaufzeichnung unbedingt angewiesen. Hätte es diese nicht gegeben, so wäre wahrscheinlich auch der Jazz nicht zu einer so einflussreichen Kunst geworden.
Die ersten Platten der Jazzgeschichte waren 1917 von der Original Dixieland Jazz Band eingespielt worden, einer weißen Kapelle aus New Orleans, deren Engagement im Reisenweber’s Café in New York Schlagzeilen machte. Ihre Musik spiegelt die Brassband-Tradition der Stadt am Delta wider und brachte dabei etwas weitaus Lebendigeres auf die Bühne, als New York es bis dahin gekannt hatte. New Yorks schwarze Kapellen waren zu dieser Zeit eher im Ragtime zu Hause, in einer Mischung aus Polka, Marschmusik, Walzer und Broadwayschlager. Die scheinbar unkontrollierte Polyphonie der Original Dixieland Jazz Band war also etwas Neues und die Tierstimmenimitationen, für die das Quintett bekannt war, willkommene Showeinlagen. Die Musiker behaupteten wie viele spätere Jazzmusiker auch, sie könnten keine Noten lesen und ihre Musik sei jedes Mal neu erfunden. Der Bandleader Nick La Rocca gab Erklärungen ab wie: »Ich weiß nicht mehr, wie viele Pianisten wir ausprobierten, bis wir einen fanden, der keine Noten lesen konnte.«42 Tatsächlich aber belegen verschiedene Aufnahmen derselben Stücke, dass nicht nur der formale Ablauf, sondern auch die einzelnen Stimmen bis ins Kleinste festgelegt waren – vielleicht nicht aufgeschrieben, aber auf jeden Fall eingeübt und gemerkt. 1917 also ging die ODJB, wie sie bald genannt wurde, ins Studio und ihre Aufnahmen von ›
Das Schicksal wollte es also, dass die ersten Tondokumente einer afroamerikanischen Musik von einer weißen Kapelle eingespielt wurden. Der schwarze Trompeter Freddie Keppard, so erzählt man sich, sollte noch vor den Aufnahmen der ODJB von der Plattenfirma Victor Records angeheuert werden. Er weigerte sich jedoch – der Legende nach, weil er meinte, Schallplatten würden es Nachahmern erleichtern, seinen individuellen Stil und seine Stücke zu stehlen. Sidney Bechet, selbst ein begnadeter Geschichtenerzähler, relativierte die Legenden um Keppards Plattenengagement:
Irgendjemand hat mal aufgebracht, dass Freddie die Geheimnisse um seine Musik verstecken wolle. Er deckte beim Spielen oft ein Taschentuch über seine Trompete, so dass man seine Finger nicht sehen konnte, und irgendein Kritiker schrieb dann, Freddie habe Angst, Platten einzuspielen. Dabei hatte Freddie nur Spaß gemacht. Jeder Musiker weiß, daß man gar nichts lernt, wenn man die Finger eines anderen Musikers beobachtet. Man lernt, indem man zuhört, es gibt keinen anderen Weg, nicht, wenn du ein wirklicher Musiker bist. Du kannst die Töne nicht finden, indem du sie beobachtest, du musst sie fühlen, wenn du sie spielst. Wir haben oft über das Schallplattengeschäft gesprochen, und aus seinen Antworten kann ich nur schließen: Freddie meinte, wenn er Platten aufnähme, dann würde die ganze Musikmacherei zu einem regelrechten Geschäft, danach würde es ihm einfach keinen Spaß mehr machen.43
Keppard sah in der Schallplatte, folgt man der Erzählung Bechets, einen Grad an Kommerzialisierung, die dem Jazz seine Ursprünglichkeit nehmen und den direkten Kontakt zwischen Musikern und ihrem Publikum verhindern würde. Der Jazz also lebte schon zu seinen Anfangszeiten von seiner Unmittelbarkeit.
Nach den Aufnahmen der ODJB von 1917 folgten ab 1920 Aufnahmen schwarzer Kapellen. So spielte die Sängerin Mamie Smith mit ihren Jazz Hounds am 14. Februar 1920 zwei Seiten für das Label OKeh Records ein und legte sechs Monate später einen veritablen Hit mit dem ›
Zwischen dem 5. April und dem 24. Dezember 1923 nahm die Creole Jazz Band insgesamt 37 Titel auf – Dokumente eines kunstvollen New Orleans Jazz, die den Reifeprozess eines der wichtigsten Vertreter dieser Musik nachvollziehbar machen und auch den Unterschied in den ästhetischen Haltungen Olivers, des Mentors, und Armstrongs, des Schülers und Vorreiters dessen, was kommen sollte. Viele der Titel sind in mehreren Versionen erschienen, was uns aufschlussreiche Vergleiche der kollektiven Improvisationspassagen, der Solobreaks und der Ausführung der grundlegenden Arrangements erlaubt.
Die ersten Aufnahmen entstanden in Richmond, Indiana, einer Stadt etwa vierhundert Kilometer südlich von Chicago. Dort befand sich eine Klaviermanufaktur, die Starr Piano Company, die um 1915 jährlich 15 000 Klaviere produzierte. Sie beschäftigte allein in Richmond 750 Menschen und hatte die Gennetts, denen die Fabrik mittlerweile gehörte, zu einer den reichsten Familien der USA gemacht. Überall im Land gab es Läden der Firma Starr, in denen man Klaviere und Flügel, auch Walzeninstrumente und die dazugehörigen Klavierwalzen kaufen konnte. 1877 hatte Thomas Edison seinen Zylinderphonographen auf den Markt gebracht, und um 1910 hatte man einen neuen Standard entwickelt, die Schallplatte. Starr war mit den Vertriebsmöglichkeiten eines großen Konzerns ein idealer Mitspieler auf diesem Markt, und ab 1916 stellte die Firma eigene Phonographen her. Da die Produktion von Hardware nur dann Sinn macht, wenn es auch die zugehörige Software gibt, stieg Starr zugleich ins Plattengeschäft ein. 1917 richtete die Firma ein Presswerk in Richmond, ein Aufnahmestudio in Manhattan und ein zweites ebenfalls in Richmond ein. Da Starr Records so deutlich mit der Klavierbaufirma und ihrem großen Vertriebsnetz verbunden war, entkoppelte Henry Gennett die beiden Abteilungen und änderte den Namen des Labels in Gennett. So, hoffte er mit Recht, würden seine Platten auch von unabhängigen Geschäften verkauft werden, nicht nur in den Starr-Klavierhäusern.
Das Studio auf dem Fabrikgelände der Klavierbaufirma hatte allerdings ein Problem: Es lag direkt neben einer Eisenbahnlinie, und wenn die Dampflokomotiven keine 50 Meter von der Hütte vorbeidonnerten, machte nicht nur der Lärm die Aufnahmen unmöglich, sondern die Vibrationen zerstörten zugleich die empfindlichen Wachsmatrizen, mit denen damals aufgezeichnet wurde. Das Studio war etwa 38 mal 9 Meter groß und hatte einen durch Doppelglasscheiben abgetrennten Kontrollraum. Man hatte Sägemehl zwischen die innere und äußere Wand gepackt, um den Raum möglichst schalldicht zu machen. Die Wände waren von der Decke bis zum Boden mit Teppichen behängt, und der Sound dementsprechend so trocken, dass die Musiker sich schon mal beschwerten, sie müssten sich anbrüllen, selbst wenn sie nur Meter voneinander entfernt stünden.44
Das Label schickte Scouts nach Chicago, um Bands zu engagieren, die erfolgreiche Produktionen versprachen. Im August 1922 gingen die weißen New Orleans Rhythm Kings ins Gennett-Studio in Richmond. Paul Mares, der Kornettist der Band, hatte sich viel bei King Oliver abgeschaut, vor allem dessen beeindruckende Dämpfertechnik. Im Juli 1923 kam es in Richmond sogar zur ersten Gemeinschaftsproduktion von schwarzen und weißen Musikern in der Geschichte des Jazz, als die Rhythm Kings zusammen mit dem Pianisten Jelly Roll Morton einige Aufnahmen einspielten.
Am 5. April 1923 aber bestiegen erst einmal die Musiker der King Oliver Creole Jazz Band einen Zug, der sie nach Richmond, Indiana, brachte. Sie gingen in ein Studio voll mit akustischen Aufnahmetrichtern und nahmen mehr als zwei Dutzend Takes auf, bevor sie sich am nächsten Tag wieder auf die Rückreise machten.
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