Black and Blue. Wolfram Knauer

Black and Blue - Wolfram Knauer


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Oliver also ging 1918 nach Chicago. Jelly Roll Morton hatte es kurz zuvor an die Westküste gezogen. Kid Ory entschied sich 1919 ebenfalls, nach Kalifornien zu gehen, und er wollte Armstrong mitnehmen. Der lehnte aber ab, weil er fürchtete, fern der Heimat zu stranden. In späteren Jahren kam Ory dann immer wieder mal mit seinem jungen Schützling zusammen. So spielte er zwischen 1925 und 1927 in verschiedenen Besetzungen der Hot Five und Hot Seven. 1930 kehrte er nach Kalifornien zurück und musste über zehn Jahre lang erst auf einer Hühnerfarm, später im Büro einer Eisenbahngesellschaft arbeiten, um sich über Wasser zu halten. In den 1940er Jahren schaffte er ein Comeback und wurde als einer der Veteranen des frühen Jazz gefeiert. Mit Armstrong wirkte er 1947 im Film New Orleans mit, kam außerdem 1957 als Special Guest zu den Armstrong All Stars auf die Bühne des Newport Jazz Festivals und trat schließlich 1962 während eines Engagements in Disneyworld im nachgebauten Schaufelraddampfer »Mark Twain« als Gast der All Stars auf.

      Daisy

      Irgendwann um 1917/18 leistete Armstrong sich den Luxus, ein Grammophon zu kaufen. Er erzählte später, dass er sich vor allem Platten der aus New Orleans stammenden weißen Original Dixieland Jazz Band mit dem Klarinettisten Larry Shields gekauft habe, aber auch Caruso und andere klassische Hits. Er lebte nach wie vor mit seiner Mutter zusammen, bis er im Alter von achtzehn Jahren seine erste Frau heiratete, Daisy, eine 21-jährige Prostituierte. Er hatte sie in einer der Spelunken kennengelernt, in denen er spielte. Sie hatten eine Affäre, die Armstrong später in seiner Autobiographie sehr anschaulich beschreibt.

      Die junge Ehe war von Streit und Handgreiflichkeiten geprägt, die von beiden Seiten ausgingen. Armstrong wird es daher nicht unrecht gewesen sein, dass seine Arbeit ihn immer wieder aus New Orleans fortführte. 1922 trennten sich die Ehepartner endgültig. Daisy fuhr 1925 nach Chicago, wo Armstrong bereits seit zwei Jahren lebte, und versuchte, ihn für sich zurückzugewinnen. Er aber hatte sich vor Gericht die Scheidungspapiere erstritten und war bereits wieder verheiratet. Daisy kehrte nach New Orleans zurück und traf ihren früheren Mann nur noch wenige Male, 1931 etwa, als Armstrong zum ersten Mal wieder in seine Heimatstadt kam, oder bei einem Konzert 1949, als sie mit dem Hinweis um freien Eintritt bat, sie sei schließlich »Mrs. Louis Armstrong«. Dessen vierte und letzte Frau war ebenfalls anwesend, was zu einiger Verwirrung führte. Es ist nicht überliefert, ob die beiden Mrs. Armstrongs sich miteinander unterhalten haben.29 Daisy starb 1950 in Gretna, Louisiana.

      Brassbands

      Neben Engagements in Nightclubs, Bordellen und Spelunken wirkte Armstrong auch in einer der vielen Brass-Bands in New Orleans mit. Diese waren nach dem Bürgerkrieg zu einem lebendigen Teil der afroamerikanischen Kultur in der Hafenstadt geworden und bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten zu hören: bei Umzügen, Paraden etwa zum Karneval, bei öffentlichen Parties im Park oder bei den legendären Jazzbegräbnissen. Armstrong spielte das zweite Kornett in der Tuxedo Brass Band, die vom Kornettisten Oscar »Papa« Celestin geleitet wurde. Die Band, bestätigte er 1954 in seiner Autobiographie über sein Leben in New Orleans, sei neben der Onward Brass Band, in der Joe Oliver und Emmanuel Perez Kornett spielten, »die heißeste in der Stadt« gewesen. Für eine Weile teilten sich diese beiden Bands die lukrativsten Gigs, aber »nachdem Joe Oliver nach Chicago ging, bekam die Tuxedo Brass Band alle Begräbnisse und Paraden«.30 Celestin – geboren 1884 in Napoleonville, Louisiana – hatte bereits mit einigen Brass-Bands gespielt, bevor er 1904 nach New Orleans zog. 1910 übernahm er die Leitung der vom Posaunisten William Ridgley gegründeten Tanzkapelle in der Tuxedo Dance Hall, mit der er bis 1932 auftrat. Die Wirtschaftskrise zwang ihn, die Musik aufzugeben, und er konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine neue Band zusammenstellen, die in New Orleans vor allem als Touristenattraktion gefeiert wurde. Durch seine ursprüngliche Band gingen neben Armstrong auch viele andere später bekannte Musiker, Alphonse Picou etwa oder die Klarinettisten Jimmie Noone und Johnny Dodds, die später in Armstrongs Bands spielen sollten. Neben der Onward und der Tuxedo gab es noch weitere namhafte Brass-Bands in der Stadt, etwa die Eureka, Superior und Excelsior Brass Bands.

      Es existieren keine Tonaufnahmen aus diesen frühen Jahren in New Orleans. Das Tuxedo Orchestra ging erst Mitte der 1920er Jahre ins Studio, und dann ohne Armstrong. In diesen Aufnahmen von 1925 hört man eine lebendige Musik, die allerdings in der Form weit steifer klingt als das, was mittlerweile in Chicago oder New York gespielt wurde. Im ersten Teil des ›Original Tuxedo Rag‹ kann man die Aufgabenteilung der verschiedenen Instrumentengruppen gut nachvollziehen, die Leadfunktion des Kornetts, die Umspielungen der Klarinette, die Basisarbeit der Posaune. Im zweiten Teil hört man Breaks, kurze unbegleitete Solopassagen jeweils zum Ende der achttaktigen Phrasen, die von den Instrumenten abwechselnd genommen werden: ein Tailgate-Posaunenglissando, ein Banjo-, Klavier- und Saxophonbreak sowie ein Duo-Kornettbreak, nicht unähnlich jenen, die Armstrong und Joe Oliver 1923 in der Creole Jazz Band auf Platte gebannt hatten. Der Verlauf der Aufnahme wirkt eher statisch in der Wiederholung der beiden Teile, die einzig durch die Breaks sowie durch Klangeffekte wie Growls, also die raue Intonation des Kornetts, aufgelockert werden.

      »Wenn man in New Orleans keinen Blues spielen konnte, kriegte man die Jobs bei den Schwarzen nicht«, erinnerte sich der Bassist Pops Foster, »und wenn man die Tänze der Cajuns nicht konnte, dann kriegte man bei denen keine Jobs. Den Weißen war es egal, was man spielte«.31 Die Tuxedo Band galt als Ragtime-Band, spielte keine Blues und trat deshalb weniger in der schwarzen Community, eher bei Shows und vornehmen Parties auf. Und doch sind die Aufnahmen von 1925 ein Beispiel dafür, wie die Tanzmusik der Zeit geklungen haben mag, die in größeren Tanzsälen oder auf den Mississippi-Dampfern gespielt wurde. Es ist allerdings das Tuxedo Orchestra, das wir hier hören, eine Besetzung mit Klavier und Banjo, und nicht eine der Marschkapellen, in der auch Armstrong in seiner Jugend durch die Stadt marschiert war.

      Bei den Umzügen und Festen im Park ging es wilder zu, archaischer, Blues-durchtränkter. Um sich zu vergegenwärtigen, wie solche Bands geklungen haben mögen, muss man auf erheblich späteres Material zurückgreifen, Aufnahmen etwa der Eureka Brass Band von 1951 oder der Young Tuxedo Brass Band von 1958. Deren ›Bourbon Street Parade‹ auf der LP JAZZ BEGINS wird von einer Marschkapelle mit drei Trompeten, drei Posaunen, Altsaxophon, Tenorsaxophon, hoher Es-Klarinette, Sousaphon, Snare- und Basstrommel im kollektiv improvisierten Zusammenspiel aller Instrumente vorgetragen. Die Klarinette und die Posaune haben dabei klare Rollenzuweisungen, die ein wenig von dem abweichen, was man sonst in diesem Genre erwarten würde: Insbesondere kommt hier die Leadfunktion der hohen Klarinette zu. Darunter fundiert die Posaune harmonisch oder verziert mit Tailgate-Partien, wirkungsvollen Glissandi, die mit lang ausholendem Posaunenzug gespielt werden. Das Sousaphon liefert die intensive rhythmische und harmonische Grundierung; die Trommler treiben das ganze voran. Die größte improvisatorische Freiheit hat der Trompeter, der sich in einem Solo über diesen kollektiven Klangteppich der Band erheben darf. So ähnlich mag geklungen haben, was Armstrong begeisterte, wenn er die Marschkapellen durch die Stadt ziehen sah.

      Fate Marable

      In New Orleans, kommentiert Tom Stoddard in der von ihm herausgegebenen Autobiographie des Kontrabassisten Pops Foster, ging man durch verschiedene Stadien der Lehre, bevor man als professioneller Musiker ernst genommen wurde. Man begann als Amateur, bis man, wenn es gut lief, einen erfahrenen Musiker fand, der einen unter seine Fittiche nahm. Und wenn man talentiert und hartnäckig genug war, nahm der einen schon mal auf einen Gig mit und zahlte vielleicht sogar einen Dollar dafür. Das konnte eine Chance sein, denn die Bandleader buchten ihre Gigs meist selbst, und sie waren immer auf der Suche nach jungen Talenten. Nur wenige Musiker konnten allerdings von der Musik allein leben; die meisten hatten bürgerliche Berufe, »Friseur wie Buddy Bolden, Gipser wie Johnny St. Cyr, Klempner wie Alphonse Picou, Zigarrenmacher wie Manuel Perez, Schauermann wie Pops Foster«.32

      1919 engagierte der Pianist und Bandleader Fate Marable Armstrong. Der hatte den älteren Musiker schon zuvor oft gehört, wann immer er zum Mississippi ging und der Dampforgel eines der Schaufelraddampfer zuhörte, die von Marable gespielt wurde, um potentielle Fahrgäste zu Ausflügen auf den Booten zu animieren. Die Streckfus-Reederei, für


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