Black and Blue. Wolfram Knauer

Black and Blue - Wolfram Knauer


Скачать книгу
zugestandenen Privilegien entzogen wurden. Creole zu sein, bedeutete eine gesellschaftliche Besserstellung, eine Unterscheidung, die von den Creoles auch nach der Emanzipation 1865 eingefordert wurde.6 Nach dem Bürgerkrieg waren viele kreolische Musiker Musiklehrer geworden, die den nunmehr freien Schwarzen das Spiel auf europäischen Instrumenten beibrachten. Der Komponist Louis Moreau Gottschalk, der im 19. Jahrhundert erfolgreich Salonpiecen schrieb, war ein weißer kreolischer Musiker. Und auch im frühen Jazz gab es etliche Musiker, die sich ihres kreolischen Backgrounds sehr bewusst waren. Insbesondere bei Musikern mit französischen Namen kann man sich ziemlich sicher sein, kreolische Wurzeln zu finden – Achille und George Baquet oder Armand Piron sind bekannte Beispiele, aber auch Sidney Bechet, Honoré Dutrey und Barney Bigard, die zu verschiedenen Zeiten mit Louis Armstrong spielten. Der Pianist Jelly Roll Morton hieß ursprünglich Ferdinand Joseph La Menthe und hatte ebenfalls kreolische Wurzeln. Und natürlich gab es The Creole Band, in der Armstrongs großer früher Trompetenkonkurrent Freddie Keppard spielte und die 1921 in King Oliver’s Creole Jazz Band aufging, mit der Satchmo 1923 seine ersten Plattenaufnahmen machen sollte. Die Creoles lebten meist »downtown«, und die Schwarzen mit vornehmlich afrikanischen Vorfahren (»Black-Blacks«) »back o’ town«, in der ärmsten Gegend der Stadt.7

      All die musikalischen Traditionen der Einwanderer wurden in New Orleans weiter gepflegt: die französische Oper, irische und schottische Volksmusik, das deutsche Liedgut (es gab etliche deutschsprachige Liedertafeln), dazu die spanisch-lateinamerikanische Habanera, mexikanische Mariachi-Bands und viele andere Formen von Musik. Die Schwarzen hatten auf dem Congo Square die einmalige Gelegenheit, ihre eigene Musik und ihre eigenen Tänze unter Polizeiaufsicht zu zelebrieren. Dabei spielten sie auf Pfeifen und Fideln, Banjos und Triangeln, Trommeln und Tamburinen. Die freien Schwarzen passten sich bald der weißen Tradition formeller Bälle an, zu denen vor allem europäische Tanz- und Salonmusik gespielt wurde. Bei Bällen für die Weißen konnten freie Schwarze sich in der Regel in einem abgetrennten Teil des Saales aufhalten. In der Oper war der zweite Rang für Schwarze reserviert. So hatten sie Zugang sowohl zu den nach wie vor gepflegten Überresten der afrikanischen Musiktradition auf dem Congo Square als auch zu allen Formen europäischer Musiktradition. Es war also nichts Besonderes, einen Schwarzen auf der Straße Opernmelodien singen zu hören. Natürlich spielten die Marschkapellen eine wichtige Rolle, die im Bürgerkrieg die Truppen angefeuert hatten und deren Instrumente zum Ende des 19. Jahrhunderts oft in Trödelläden billig verscherbelt wurden, was vielen Schwarzen ihr erstes Instrument bescherte. Schließlich waren unter den freien Schwarzen eine ganze Reihe ausgebildeter Musiker – zum Teil auch solche, die ihre Ausbildung in Europa erhalten hatten. In den 1830er Jahren gab es gar eine Negro Philharmonic Society mit mehr als hundert Mitgliedern.8 All das war Teil des musikalischen Schmelztiegels, aus dem heraus der Jazz entstand.

      Der Congo Square übrigens, der lange als Synonym für eine der wenigen kulturellen Freiheiten der Schwarzen in New Orleans galt, wurde um die Jahrhundertwende umbenannt in Beauregard Square. Anfang der 1970er Jahre entstand um ihn herum der Louis Armstrong Park, in dem eine Statue des Trompeters steht. Den ursprünglichen Ort darin nennt die Stadt inzwischen wieder Congo Square.

      Geburt und Jugend

      Louis Daniel Armstrong wurde am 4. August 1901 in der Jane Alley geboren, einer Art Durchgangsweg zwischen Perdido und Poydras Street nahe dem French Quarter. Seine Mutter wohnte in einem kleinen, heruntergekommenen Holzhaus, das aus einem vielleicht 60 Quadratmeter großen Raum bestand, der durch senkrechte Holzbohlen in so etwas Ähnliches wie »Zimmer« aufgeteilt war. Das Viertel war »back o’ town«, eine arme, eher anrüchige Gegend der Stadt, in der viele Tagelöhner, Kleinkriminelle und Prostituierte lebten. Ein Jazzenthusiast wollte das Haus 1964 vor dem Abriss bewahren, kaufte es für 50 Dollar und schenkte die baulichen Überreste dem New Orleans Jazz Museum. Dessen Mitarbeiter allerdings schafften es nicht, den Termin der Abbruchfirma einzuhalten und kamen erst zum Abtransport, als die Hütte bereits verbrannt war.9

      So sahen die Häuser in der Jane Alley aus, in der Louis Armstrong geboren wurde. Dieses Foto stammt aus den 1950er Jahren; 1956 wurde der gesamte Block abgerissen. (Fotoarchiv, Jazzinstitut Darmstadt)

      Armstrongs Mutter Mayann war gerade mal fünfzehn Jahre alt, als Louis geboren wurde. Sein Vater William (Willie) Armstrong verließ die Familie kurz nach der Geburt des Sohnes. Zwei Jahre später kamen er und Mayann noch einmal zusammen und hatten ein zweites Kind, Armstrongs Schwester Beatrice, die Louis zeitlebens immer »Mama Lucy« nannte. Willie Armstrong fand 1902 einen Job in einer Terpentinfabrik, in der er bis zu seinem Tod 1933 arbeitete. Kurz nach der Geburt von Beatrice ließen sich die Eltern endgültig scheiden.

      Mayann hatte Louis in den ersten Jahren seines Lebens in der Obhut seiner Großmutter Josephine gelassen. Die war gläubige Katholikin und sorgte dafür, dass der Junge getauft wurde und regelmäßig in die Kirche und die Sonntagsschule ging. In der Kirche, sagte er später, habe er sein Gesangstalent entwickelt.10 Mit fünf Jahren kam er zur Mutter zurück, die ihr Geld als Haushaltshilfe bei weißen Familien verdiente und wahrscheinlich auch als Prostituierte arbeitete. Armstrong selbst erzählte später: »Wenn sie denn anschaffte, dann tat sie es stets im Verborgenen. Jeder, ob Kirchenmann oder Raufbold, behandelte sie mit dem angemessenen Respekt.«11

      Erste musikalische Eindrücke

      Überall war Musik in New Orleans, und Armstrong war schon als Kind davon begeistert. In einem Interview mit Richard Meryman sagte er 1966:

      Als ich 4 oder 5 Jahre alt war, trug ich noch Kinderröcke und lebte mit meiner Mutter in der Jane Alley in einem Ort, den man Brick Row nannte – viel Zement, Mietzimmer, ein wenig wie ein Motel. Gleich um die Ecke auf der Perdido Street war die Funky Butt Hall – ein alter Schuppen, heruntergekommen, mit Löchern in den Wänden. An den Samstagabenden konnte meine Mutter uns nie finden, weil wir diese Musik hören wollten. Vor dem Tanz spielte die Band eine halbe Stunde vor dem Saal. Und wir Kinder legten unsere kleinen Tänze hin. Wenn ich jemals Buddy Bolden gehört habe, dann muss es dort gewesen sein.12

      Buddy Bolden ist ein Stück Jazzlegende. Er war schon um die Jahrhundertwende ein in New Orleans gefeierter Kornettist, dem man nachsagte, er könne so laut spielen, dass man ihn noch auf der anderen Seite des Lake Pontchatrain hörte (der allerdings bei New Orleans etwa 38 Kilometer breit ist). Um 1905, also etwa zu der Zeit, von der Armstrong berichtet, war Bolden eine Berühmtheit in seiner Heimatstadt. Er spielte in den Kneipen der Stadt, bei Umzügen, privaten Festen, in Tanzsälen und Parks. Mehr und mehr aber hatte er Anflüge geistiger Umnachtung, und 1907 übernahm der Posaunist Frank Dusen seine Band. Bolden wurde in eine geschlossene Psychiatrie in Jackson, Louisiana, eingewiesen, wo er 1931 starb. Wie der Kornettist Bolden wirklich klang, ist nicht durch Tondokumente überliefert. Zeitgenossen lobten seinen Sound, seinen rhythmischen Drive, die emotionale Kraft seiner Musik, einen gewissen archaischen Ansatz, insbesondere im Vergleich zu den braveren Tanzkapellen der Stadt.13 Bolden hatte viele Musiker beeindruckt, unter ihnen die Kornettisten Freddie Keppard und Bunk Johnson, die ein wenig älter als Armstrong waren und Boldens Stil sehr bewusst auf ihre eigene musikalische Vorstellung übertrugen. Für Armstrong war das alles später eine Traditionslinie, in der er auch sich sah: »Ich denke immer an diese alten großartigen Cats in New Orleans – Joe (Oliver) und Bunk (Johnson) und (Lorenzo) Tio und Buddy Bolden – und wenn ich meine Musik spiele, dann höre ich sie. Sie haben immer so schön phrasiert, konzentrierten sich immer auf die Melodie«14. Was Armstrong allerdings aus dieser Tradition machte, wenn er sich später in seinen Hot Five und Hot Seven aus dem Kollektiv des New-Orleans-Ensembles löste, um mit seinem eigenen Solokonzept zu glänzen, das hat neben der Tradition auch etwas Zukunftsweisendes und ist neben Fortführung gewiss auch ein Bruch mit den Traditionen aus New Orleans.

      Seine musikalische Karriere allerdings begann Armstrong erst einmal als Sänger. Schon als Junge hatte er Kohlen auf der Straße angepriesen: »Steinkohle, meine Damen, fünf Cents pro Wassereimer.« Die Verkaufsgesänge waren damals so üblich wie es hierzulande die Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt sind. Man hörte sie überall, wo Straßenhändler ihre Ware feilboten, Fisch, Wassermelonen, Obst, Gemüse, Shrimps, Holz oder eben Kohle. Man nennt diese


Скачать книгу