Drug trail - Spur der Drogen. Matthias Kluger
unentschieden. Ich schließe mich den Argumenten von William an. Ein Vergleich zwischen Prohibition und harten Drogen – ich bitte dich. Der hinkt nicht nur, er sitzt vom Kopf an gelähmt im Rollstuhl.“
Einige Augenblicke überlegte Bob Thompson, wog die genannten Für und Wider gegeneinander ab. Dann traf er seine Entscheidung: „William, ihr bekommt alle notwendigen Ressourcen. Sagt mir, was ihr braucht, was erforderlich ist, und ich werde die Budgets hierfür freigeben. Stellt euch ein Team zusammen – einen wohlgemerkt kleinen Stab vertrauenswürdiger Personen. In einem Monat will ich Ergebnisse sehen. Das Pro und Contra des Plans, bis ins Detail ausgearbeitet. Dann werden wir entscheiden. Also, verlieren wir keine Zeit. Eines noch: Das Thema ist topsecret. Bevor nicht alle Fakten auf der Hand liegen, kein Wort zu niemandem! Macht euch an die Arbeit.“
Robert nickte zustimmend und verließ daraufhin mit seinem Vater William das Oval Office. Als Julia mit Ashton den beiden folgen wollte, hielt der Präsident sie zurück: „Julia, bleib noch kurz. Wir müssen reden.“ Dabei deutete Bob Thompson mit seinem Zeigefinger auf die Titelseite der Washington Post.
Frage und Antwort
„Und, meine Damen und Herren?“ Erwartungsvoll blickte Philipp in die Runde.
Um einen Besprechungstisch saßen sechs Mitarbeiter der Marketingabteilung, gekrönt vom Marketing-Vorstand, Frau Grossmann, sowie dem CEO von American-British-Tobacco, Dr. Fischer. Bedächtiges Schweigen breitete sich in dem modern möblierten Besprechungsraum in der vierten Etage des Berliner Verwaltungstrakts aus.
Bestrebt, der Situation gerecht zu werden, faltete der CEO seine Hände, betrachtete diese, als zeichnete sich auf ihnen die Antwort ab, lehnte sich anschließend nach vorn und setzte ein charmantes, doch gekünsteltes Lächeln auf. „Herr Baker, deswegen sind Sie doch hier, um uns diese Frage zu beantworten, oder?“
„Sicher, Dr. Fischer. Aber sehen Sie nun den Zusammenhang dieser simplen Frage mit Ihrer geplanten Werbekampagne? Die perfekte Werbung kann Ihre Kunden nur dann überzeugen, wenn sie die meist unbewusst wahrgenommenen Gründe für das Rauchen wirklich trifft. Deshalb muss im Vorfeld der Grundnutzen des Rauchens geklärt werden. Denn jedem Konsumenten ist klar, dass Rauchen ungesund ist, übel riecht und viel Geld kostet. Also muss es doch Gründe geben, die für den Raucher noch wichtiger sind, und die müssen wir in der Kampagne ansprechen – sonst sind die Millionen für die Schaltung von Werbung rausgeschmissenes Geld! Anders ausgedrückt: Wenn Sie uns für eine Feldforschung beauftragen, dann können wir fundiert die relevanten Bedürfnisse ansprechen und – dessen bin ich mir sicher – Ihre Marke wieder in die Gewinnzone bringen.“
„Was würde diese Feldforschung Ihrer Meinung nach kosten?“ Dr. Fischer runzelte die Stirn, als wolle er die Antwort gar nicht hören.
Philipp ging um den Tisch herum zu seinem Platz, blätterte in seiner Ledermappe, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. „Ich habe mir erlaubt, den Auftrag bereits vorzubereiten.“ Mit dem wohl freundlichsten Lächeln dieses Tages schob er das Papier vor die gefalteten Hände des CEO.
Die Furchen gruben sich noch tiefer in Dr. Fischers Stirn. „Und bis wann können wir mit einem Ergebnis rechnen, sollte ich Ihnen das hier gegenzeichnen?“ Dabei nickte Dr. Fischer in Richtung des Auftrags.
Ein Auge zusammengekniffen, betrachtete Philipp seine Armbanduhr, jene, die die Einbrecher nur wenige Monate zuvor nicht gestohlen hatten. „Sollten Sie unserer Agentur das Budget hierfür geben, dann liefern wir Ihnen die Feldstudie …“, Philipp legte eine Denkpause ein. „Wäre Ihnen nach der Kaffeepause recht?“
Nun war es an ihm, eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen und die Reaktion Dr. Fischers abzuwarten.
„Sie meinen, Sie haben die Studie dabei?“
„Die Feldstudie, wie auch einen groben Ausblick auf die Kampagne. Voraussetzung …“ Philipp tippte auf den Auftrag.
„Was meinen Sie?“ Dr. Fischer blickte fragend in die Runde. Das beeindruckte Nicken der Mitarbeiter, vereinzelt mit einem Schmunzeln durchsetzt, gab letztendlich den Ausschlag. „Gut, Herr Baker. Sie haben uns wieder mal gewonnen – zumindest für die Ergebnisse der Feldforschung. Die Umsetzung – na, sehen Sie zu, dass Sie auch hier so überzeugend auftreten. Frau Grossmann, können wir das im Budget noch unterbringen?“ Dabei deutete Dr. Fischer auf die Endsumme des Auftrags.
Frau Grossmann drückte ein wenig ihr Kreuz durch, nahm die Schultern zurück und stupste mit dem Zeigefinger die elegante Lesebrille in Richtung Nasenwurzel.
Philipp kannte Frau Grossmann schon seit einigen Jahren und wusste, dass sie die fünfzig bereits überschritten hatte. Sollte man ihr allerdings im schummrigen Licht einer Bar begegnen, so würde man sie aufgrund ihrer schlanken, durchtrainierten Figur um mindestens zehn Jahre jünger einschätzen. Einzig feine Fältchen um Augen und Mundpartie sowie erste hellbraune Altersflecken an ihren schlanken Händen gaben Hinweise auf ihr tatsächliches Alter. Neben dem CEO war sie die „Blonde Eminenz“ des Marketings und mit erheblicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet. Philipp wusste das und ballte seine Linke hinter dem Rücken zur Faust.
„Bekomm ich hin, Dr. Fischer“, antwortete die Marketingchefin mit einem süffisanten Lächeln.
Philipp atmete innerlich auf, schenkte Frau Grossmann sodann ein kurzes Augenzwinkern, während der CEO den Auftrag unterschrieb.
„Und jetzt, Herr Baker“, Dr. Fischer schubste Philipp den Auftrag über den Tisch, „in knappen Worten das Ergebnis der Feldstudie, bevor wir nach dem Mittagessen ins Detail gehen.“
„Okay. Im Wesentlichen, Herr Dr. Fischer, geht es um zwei zentrale Themen: Das Nikotin im Tabak wirkt beruhigend auf das vegetative Nervensystem – denken Sie an das HB-Männchen der Konkurrenz. Stress führt bei ihm zur Überforderung, das HB-Männchen geht in die Luft, um nur kurz nach dem Zug an einer Zigarette wieder herunterzukommen: ‚Komm, mein Freund, rauche, dann geht alles wie von selbst!‘“
„Aber wir können doch nicht die alten Kamellen der Konkurrenz nachahmen“, warf Dr. Fischer ein.
„Nein, natürlich nicht! Wir brauchen eine neue, zeitgemäße Umsetzung des gleichen Inhalts. Und da kommt das zweite Thema ins Spiel.“
„Und welches?“ Dr. Fischer blickte neugierig.
„Das Selbstbild des Rauchers. Faktisch sind fast alle Produkte austauschbar. Warum, Herr Dr. Fischer, haben Sie so viel für Ihre schöne Uhr ausgegeben? Eine billigere hätte die gleiche Zeit angezeigt! Verbraucher entscheiden sich bewusst für bestimmte Marken – zum Beispiel bei Uhren, Brillen, Kleidung – und auch bei Zigaretten. Und warum? Um ihr ganz individuelles, persönliches Profil zu formen. Heutzutage verkauft sich jede Person selbst als Marke und drückt dadurch ihr Image aus.“
„Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Baker, bedient Ihr Kampagnen-Ansatz nicht nur den Grundnutzen für Zigaretten, sondern darüber hinaus das Verwender-Image. Somit bieten wir eine positive Identifikationsfläche“, resümierte der CEO Dr. Fischer und nickte Frau Grossmann zu.
Der Nachmittag verlief ganz nach Philipps Geschmack. Nachdem sämtliche Themen behandelt waren, schüttelte er zum Abschied allen Anwesenden die Hand.
„Frau Grossmann, wenn Sie so nett wären und Herrn Baker zum Ausgang begleiten würden? Die Vorstandssitzung beginnt in wenigen Minuten.“
„Natürlich, Dr. Fischer. Herr Baker, folgen Sie mir bitte.“
Wortlos schritt Philipp neben der Marketingchefin den Korridor entlang zu den Aufzügen. Als sie in die Kabine getreten waren, kündigte ein „Ping“ im Stakkato an, dass sich die Türen des Fahrstuhls schlossen.
„Nochmals herzlichen Dank, Frau Grossmann. Mit Ihrer Budgetfreigabe ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.“
„Wer hoch pokert, sollte belohnt werden, meinen Sie nicht auch, Herr Baker?“
Philipp grinste und Frau Grossmann erwiderte das Lächeln. Ihre weißen Zähne saßen kerzengerade und Philipp überlegte flüchtig, dass sie dafür gewiss ein Vermögen ausgegeben hatte.