VON ZEIT ZU ZEIT. Hans Jürgen Kugler

VON ZEIT ZU ZEIT - Hans Jürgen Kugler


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genau zu sein. Kennengelernt habe ich sie ganz klassisch im ›Heuboden‹.«

      »Ach so, ja klar. Du im ›Heuboden‹ …«, unterbrach ich ihn und schüttelte ungläubig den Kopf. Da muss die Not aber groß gewesen sein, wenn Tobias, der Hinterhofgigolo aus Gütenbach, im »Heuboden« wilderte.

      »Nur kein Neid«, gab er zurück. Ein ganz klein wenig selbstgefällig klang er dabei doch. Aber das konnte ich ihm auch nicht verdenken. Tobias war in unserem Freundeskreis der Einzige, dem die Frauen regelrecht nachliefen. Keine Ahnung, was die Mädels an ihm fanden, er war weder besonders groß oder sportlich, sah eher durchschnittlich aus. Geld hatte er eigentlich auch nie – damals jedenfalls. Aber das gewisse Etwas.

      Ich erinnerte mich an eine Szene mit ihm, wo ich nur noch ratlos den Kopf schütteln konnte. Wir hatten uns für einen Kurzurlaub im ICE verabredet, er kam von Ulm, ich von Freiburg, und im ICE für den Flieger nach Frankfurt hatten wir uns verabredet. Natürlich war der ganze Zug vollkommen überfüllt, sodass wir es uns mit unseren Rucksäcken kurzerhand im Türbereich gemütlich gemacht hatten. Und mit uns zwei Mädels, die nach Berlin unterwegs waren.

      Es dauerte nicht lange, da hatte Tobias sich den beiden bereits vorgestellt. In aller Ausführlichkeit und in einem Affenzahn. Ich weiß bis heute nicht, was da eigentlich abging. Tobias vollkommen unter Strom, ganz der Strahlemann und Weltenretter, einfach so drauflos geplappert – dass er beim Radio arbeitete, aber eigentlich Schauspieler sei, im Moment sich eine kleine Auszeit gönnte, zwecks des kreativen Inputs, und so weiter, und so fort. Immer mit diesem charmanten, unergründlichen Lächeln und ständigem Augenkontakt.

      Jedenfalls hatte er es geschafft, zwischen Mannheim und Frankfurt-Flughafen mit der einen, der Hübscheren der beiden, heftig knutschend rumzumachen. Gerade als er drauf und dran war, ihr das T-Shirt auszuziehen, mussten wir am Flughafen aussteigen. Ich hätte schwören können, dass die solcherart Verwöhnte Tränen in den Augen hatte, als er sich hingebungsvoll von ihr verabschiedete.

      »Du, um es kurz zu machen«, unterbrach Tobias meine Gedanken. »Ich bin gerade auf dem Sprung. Können wir uns nicht ganz einfach treffen? Am Samstag bin ich ohnehin Strohwitwer, Laura schiebt Dienst im Labor in Gran Sasso. Wär doch perfekt für einen Männerabend?«

      »Ja, klar«, sagte ich. »Passt. Ich bring Bier mit.«

      Er nannte mir seine Adresse – Vaubanviertel, ausgerechnet. War Tobias jetzt auch noch unter die Ökospießer geraten? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wohl aber, dass seine Teilchenphysikerin auf einer korrekt durchökologisierten Wohnung im angesagtesten Viertel der Stadt bestanden hatte.

      Das Vaubanviertel hatte zumindest den Vorteil, dass ich bequem mit der Straßenbahn fahren konnte. Unterwegs holte ich an der Tanke noch zwei Sixpacks und Knabberzeug. Die Adresse musste ich erst suchen. Tobias und Laura wohnten in einem der energetisch hochoptimierten Plattenbauten mit umlaufenden Balkonen, Dachgeschoss. Es war Schlag halb acht und das Kindergeplärre ringsum auf dem Höhepunkt. »Das sind Lebensäußerungen, kein Geschrei«, wie mich eine verhuschte Siedlungsbewohnerin mal diesbezüglich aufgeklärt hatte. Jedem das Seine.

      Tobias erwartete mich bereits an der Haustür im Erdgeschoss. Vom Balkon aus hatte er gesehen, wie ich etwas verpeilt seine Hausnummer suchte.

      »Hey, altes Haus«, begrüßte er mich. Wow – was war bloß aus dem spindeldürren Kerl mit Mähne und Vollbart geworden? Wampe, Föhnfrisur und – ich fasse es nicht – im Polohemd.

      »Mensch, lange nicht gesehen.« Mehr brauchte ich nicht zu sagen.

      »Komm rein.« Er ging die Treppen zum Dachgeschoss voran. Bevor wir seine Wohnung erreichten, mussten wir noch am hell erleuchteten Küchenfenster der Nachbarwohnung vorbei. Gewöhnungsbedürftig. Oben angekommen wehte ein frischer Luftzug vom offenen Balkon her. Er führte mich in ein geräumiges Wohnzimmer. Nichts mehr von dem dezenten Schmuddelcharme aus unserer WG. Hier hatte eine Putzfrau professionell Hand angelegt – und ein Innenarchitekt, wie es aussah.

      »Hübsch hast du es hier«, sagte ich und konnte einen leicht sarkastischen Unterton nicht ganz unterdrücken.

      Tobias lächelte tiefgründig in sich hinein: »Geht so, hält den Regen ab …« Er klopfte mir wohlwollend auf die Schulter und bat mich, Platz zu nehmen.

      »Doch, gefällt mir, ehrlich. Etwas gediegener als in der Klarastraße.«

      »Den Saustall brauchst du heute aber auch nicht mehr, oder?«

      »Nein, natürlich nicht. Das sind nur die Erinnerungen …«

      »Nun ja«, sagte Tobias.

      »Die ganz wilden Zeiten sind wohl vorbei …«

      »Ist auch besser so. Rein gesundheitlich betrachtet.«

      »Wie man hört, bist du jetzt fest liiert …« Es fiel mir schwer, ernst zu bleiben. Tobias guckte mich erstaunlicherweise nur treudoof an.

      »Wie ist sie denn so, kenne ich die womöglich auch noch von früher?« Ich war einfach nur neugierig.

      »Wie soll ich sagen …«

      »Wie seid ihr denn zusammengekommen?«

      Tobias verdrehte die Augen. »Ach, ich weiß auch nicht mehr genau. War auf irgendeiner Fete. Saturday night fever … Super Stimmung, alle blau, und irgendwie sind wir uns bei ›Nossa‹ dann näher gekommen.«

      Klar, da konnte ich mit meiner damaligen, nahezu fanatischen Zappa-Manie abstinken.

      »Soweit kann ich dir folgen«, sagte ich. »Aber wie kam es denn dazu –?« Mit weit auseinander gestreckten Armen wies ich auf seine neuerdings wie geleckt wirkende Wohnung, die weißen Ledersessel, das dezent in die Wand versenkte Highend-Equipment und den – Hammer! – Weinkühlschrank mit erlesenen und top temperierten edlen Tropfen.

      »Ja, vor zwei Jahren bin ich mit Laura zusammengezogen«, begann er zu erklären. »Die Wohnung war ihre Idee, ist ja auch ganz schön, oder?«

      »Doch, beeindruckend. Ein Weinkühlschrank …«

      »Ist ein Segen, glaub mir. War mir vorher auch nicht bewusst, wie ein perfekt temperierter Chardonnay schmecken kann.«

      »Du scheinst ganz zufrieden zu sein«, bemerkte ich und meinte es ehrlich.

      »Das bin ich auch. Mit Laura habe ich wohl meine häusliche Seite kennengelernt.« Er lachte.

      »Steht dir auch gut«, meinte ich. »Ein bisschen Ruhe, ein bisschen Frieden … Gefällt mir.«

      »Und du?«, fragte Tobias. »Wir haben uns lange nicht gesehen …«

      »Ich weiß auch nicht«, antwortete ich. »Da wohnt man in der gleichen Stadt und läuft sich irgendwie überhaupt nicht mehr über den Weg. Jeder führt so sein eigenes Leben …«

      »Ist halt so«, sagte er. »Ich wollte dich schon ein paarmal anrufen, aber irgendwie hatte ich die Nummer verlegt …«

      »Bin zwischenzeitlich auch öfter umgezogen. Eine Zeit lang habe ich auch auf dem Land gelebt, in Kirchhofen.«

      »Kirchhofen? Kenn ich nicht.«

      »Hast du nichts verpasst. Ist gar nicht mal so weit weg, bei Bad Krozingen um die Ecke.«

      »Dann bist du aber wieder reumütig zurück ins Städtle?«

      »Gerade noch rechtzeitig, jetzt findet man ja gar nichts mehr.«

      »Kannst du laut sagen. Die Wohnung hier haben wir auch nur bekommen, weil ein Bekannter von Laura nach Berlin gezogen ist.«

      Unser Gespräch plätscherte noch eine Weile so dahin. Wir kramten etwas verkrampft in alten Erinnerungen. Drei Jahre waren eine lange Zeit. Wir mussten uns erst wieder ganz neu kennenlernen.

      Nach dem zweiten Bier löste sich die leichte Anspannung. Und irgendwie kam das Thema auch wieder auf den Job. Tobias hatte dank seiner Flamme eine Buchhalterstelle an der Universität in Freiburg ergattern können – und erstaunlicherweise kam er damit gut


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