VON ZEIT ZU ZEIT. Hans Jürgen Kugler

VON ZEIT ZU ZEIT - Hans Jürgen Kugler


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bei dieser Druckerei …?«

      »Ach, längst Geschichte. Seit 2011 bin ich selbstständig. Im Jahr davor haben die Chefs in ihrer unendlichen Weisheit beschlossen, unsere Abteilung aufzulösen. Betriebsbedingte Kündigung nennt sich das. Hast du keine Chance. Aber immerhin Anspruch auf eine Abfindung.«

      »Kein Absturz?«

      »Du, ich war nicht einen Tag arbeitslos. Bereits am ersten Tag hatte ich meinen ersten Kunden an der Strippe. Irgendwie hatte ich ziemlich viel Glück.«

      »Das Glück des Tüchtigen«, sagte er und meinte das auch so.

      »Irgendwie wohl schon, denke ich.«

      »Und wie läuft dein Tag so?«

      »Nun, ich verdiene mein Geld mit erotischer Frauenliteratur …« Ich ließ den Satz erst mal sacken. »›Ihr entschlüpfte ein hungriges Stöhnen der Lust, als sein dicker Schaft mit köstlich langsamen Stößen ihren Körper eroberte‹ …«

      Tobias verschluckte sich an seinem Bier. »Wie bitte? So was schreibst du?«

      »Nicht schreiben. Lesen. Ich werde fürs Korrekturlesen bezahlt. Der Verlag produziert wie der Teufel.«

      Tobias gluckste: »Du wirst fürs Pornolesen bezahlt? Respekt! Wie war das noch mit dem ›glühenden Schaft‹?«

      »Glaub mir, es zieht sich. Wenn du auf jeder zweiten Seite so einen Käse liest, ödet es dich mit der Zeit nur noch an. Aber genau dafür wird man ja bezahlt. Und das gar nicht mal so schlecht.«

      »Du Glückspilz.«

      »Stimmt schon – es gibt schlimmere Jobs.«

      »Wem sagst du das?«

      »Ganz schlimm sind die Vampirromane.«

      »Vampire?«, fragte Tobias. »… so mit riesigen, glühenden – äh – Schäften?«

      »Du sagst es. Frauen lieben Vampire – übernatürlich aufregende, hinreißend schöne Männer. Immer heiß. Groß, ›bernsteinfarbene Augen‹, lange schwarze Haare, zu einem Pferdeschwanz gebunden …«

      »Klar, was auch sonst«, griente Tobias.

      »Genau. So Supermachos, aber alle mit butterweichem Kern, wie du dir denken kannst.«

      »Und die wollen natürlich alle nur das Eine …«

      »Die Eine, um genau zu sein. Bei aller Unsterblichkeit, bei all ihren übernatürlichen Kräften … Wenn die Richtige kommt, sind sie dann aber so was von Softie … Das Konzept sollte dir eigentlich bekannt sein.«

      »Nun mal langsam.« Das bittersüße Lächeln verrutschte ihm doch ein wenig. »Dir täte eine Frau auch mal wieder gut«, sagte er. »Ich weiß, es ist nicht immer so leicht. Ich habe da vielleicht mehr Glück, aber …«

      »Ja, schon gut. Hast ja recht. Aber darüber wollte ich mich mit dir eigentlich nicht unterhalten.«

      »Ist aber ein unerschöpfliches Thema«, sagte er.

      »Aber auch sehr erschöpfend«, sagte ich und wechselte unvermittelt das Thema. »Was anderes – nimmst du gelegentlich noch Speed oder so was?«

      Tobias sah mich etwas irritiert an. Ein leichtes Misstrauen glomm in seinen Augen. »Schon lange nicht mehr. Wieso fragst du?«

      »Ist schwer zu erklären. In letzter Zeit musste ich immer an das eine – und einzige – Mal denken, als wir zwei uns mal einen Trip eingeworfen haben.«

      »Warte, ich erinnere mich dunkel. Klar, Klarastraße – meine Güte …« Tobias verdrehte die Augen. »Aber das war’s dann auch schon«, sagte er. »Auf Dauer war mir das zu anstrengend. Dann lieber Stoff Marke Eigenbau.«

      »Ich kann mich noch genau daran erinnern«, sagte ich. »Erst habe ich gar nichts gespürt. Dachte schon, du hättest mir irgendso’n Placebo untergejubelt.«

      »Von wegen. Daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Du hast den ganzen Trip eingeworfen. Ich hab dir extra noch gesagt – immer langsam, für den Anfang nur eine halbe …«

      »Genau. Bis ich dann gemerkt hab, dass der Anstrich der Raufasertapete sich irgendwie selbstständig machte. Als ob er lebendig wäre, so seltsame Fließmuster in schillernden, pulsierenden Wellenbewegungen. Richtig unheimlich.«

      »Halluzinogen induzierte Wahrnehmungsstörungen«, sagte Tobias. »Genau deswegen nimmt man das Zeug ja.«

      »Ja, ich wollte es einfach mal probieren. Aber hinterher …«

      »Flashback?«, fragte Tobias besorgt.

      »Nein, das nicht. Aber der, äh, Kater …« Mir fiel kein besseres Wort dafür ein. Nach einer aufwühlenden Nacht unter Speed war ich zu absolut nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Ich kam tagelang nicht aus dem Bett, als ob ich krank gewesen wäre.

      »Verstehe«, sagte Tobias. »Genau deswegen habe ich es auch bleiben lassen. Ist einfach zu anstrengend auf Dauer.« Er blickte vielsagend auf sein kleines Bäuchlein, zuckte mit den Achseln und nahm sich noch ein Bier.

      »Du hast doch irgendetwas auf dem Herzen, oder?«, fragte er dann ohne Umschweife.

      Bisher hatte ich niemandem etwas von den merkwürdigen Ereignissen erzählt, die mich vor einigen Monaten heimgesucht hatten. Wenn ich über meinen Albtraum mit jemandem sprechen konnte, dann mit Tobias.

      Ich nahm mir noch ein Bier. Tobias bemerkte meine Anspannung.

      »Was ist mit dir?«, fragte er. »Die alten Zeiten sind vorbei. Alles längst verjährt.« Um seine Hände zu beschäftigen, holte er eine silbern beschlagene Teedose vom Regal, Aufschrift »Dimbula High Grown Blend«, nahm eine kleine Handvoll Gras und baute in aller Ruhe erst einmal einen Joint.

      »Auch was?«, fragte er und drehte das Gras sorgsam in ein Zigarettenpapierchen.

      »Nein, danke«, wehrte ich ab. »Ich hab’s mir abgewöhnt.«

      »Echt jetzt? Hätte ich, glaube ich, nicht geschafft. Aber ich hab’s auch nie ernsthaft versucht.«

      »Wenn du schon fragst«, unterbrach ich ihn und nahm all meinen Mut zusammen. »Mir macht ganz was anderes zu schaffen. Ich weiß nicht, ob ich darüber überhaupt mit jemandem sprechen kann.«

      »Du machst mich neugierig«. Routiniert drehte er den Joint zu einer formvollendeten Tüte und bastelte mit den Fingernägeln aus der Spitze der Papiere ein kleines Hütchen. Gewissermaßen die Krönung des Ganzen.

      »Komm schon, so schlimm kann es doch gar nicht sein?« Allmählich schlich sich ein Ausdruck echter Sorge in Tobias’ Gesicht. »Es ist doch wirklich nichts Schlimmes, oder?« Mit seinem Feuerzeug brannte er das Jointhütchen ab und sog genießerisch den ersten Zug ein.

      »Das nicht …«, druckste ich noch ein wenig herum.

      »Also kein …«, er hüstelte leicht. Ich weiß nicht, ob wegen des unerwartet starken Stoffs, den er sich gerade reinzog, oder ob er unsicher war, ob er weiterfragen sollte. »Kein Krebs oder so was …?«

      Ach Gott, Tobias! Aber klar, was sollte er denn sonst vermuten, wenn ich so komisch rumdruckste?

      »Nein«, sagte ich. »Das ist es nicht, da kann ich dich vollkommen beruhigen. Keine bösartige Krankheit oder so was. Es ist nur …«

      »Was jetzt?« Er schlug sich mit der Faust auf die Brust und nahm noch einen Schluck Bier. Allmählich wurde er ungeduldig. Kein Wunder.

      »Es ist nur so …« Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Mir ist etwas wirklich Unglaubliches passiert.« Ich ließ den Satz erst einmal sacken.

      »Aha«, sagte er. Sonst keine Reaktion. Tobias blickte mich interessiert an.

      »Das war jetzt keine rhetorische Wendung. Es ist wirklich nicht zu glauben, was ich erlebt habe.«

      »Was Abartiges?« Tobias grinste und zog an seinem Joint.

      »Abartig


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