Mein Überlebenslauf. Eva-Maria Admiral

Mein Überlebenslauf - Eva-Maria Admiral


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und den Fotografen ab. Wir gehen in meine Garderobe. Ich bin 24 Jahre alt. An meiner Tür hängt ein goldenes Schild mit dem eingravierten Namen: Eva-Maria Admiral.

      Nach der Fotosession – der Fotograf hat sich zum nächsten Termin verabschiedet – beginnt das Interview. Der Journalist arbeitet für eine große Zeitung in Österreich. Das Gespräch dauert zu meiner Überraschung ziemlich lang. Er ist nicht in Eile und mir kommt es sehr gemütlich vor. Ich fühle mich wohl. Er nimmt sich Zeit und fragt mich aus – über das Stück, meine Rolle, den Burg-Direktor Claus Peymann, wie es mir so gehe im Ensemble, wie die Kollegen seien und so weiter. Ich gerate ins Plaudern.

      Ein erster kurzer Artikel erscheint am Vortag der Premiere. Als ich am nächsten Morgen, dem Tag der Premiere, ins Theater komme, gehe ich ins sogenannte Konversationszimmer. Das ist eine Art Aufenthaltsraum für Schauspieler und Theatermitarbeiter. Auch die Tageszeitungen und Kulturmagazine liegen dort aus.

      Mit einer Tasse Kaffee in der Hand blättere ich durch die heutige Zeitung. Auf Seite 18 finde ich dann den zweiten, ausführlicheren Artikel über mich. Auf zwei Seiten mit großem Aufmacherfoto. Erst schwer krank, jetzt ein Star: Eva-Maria Admiral, titelt das Blatt. Und der erste Satz: Eva-Maria Admiral hebt ab. Das Porträt beschreibt Stationen meiner Schauspielkarriere und lässt auch tragische Momente meines Lebens nicht aus.

      Na ja, denke ich. Ein Star? Ich sehe mich nicht so. Eher glaube ich, der muss sich irren. Dennoch freue ich mich über den Artikel. Das Stück wird erwähnt und ich denke: Gute Werbung! Andererseits ahne ich instinktiv auch Unheilvolles. Die Rivalität unter den Kollegen am Theater ist groß. Jeder will der Star sein. Ich fürchte, dass diese Headline ein Feuer unter den Kollegen entfacht hat – von dem Druck auf meine schauspielerische Leistung ganz zu schweigen.

      Nachdenklich gehe ich in meine Garderobe. Schon von Weitem sehe ich den Zettel an meiner Tür. Frau Admiral, bei Ankunft bitte zum Gespräch in die Direktion. Er ist von Theaterdirektor Claus Peymann. Meine Knie werden weich. Ich bin unsicher. Ich habe doch nichts falsch gemacht. Oder doch? Angespannt grüble ich, während ich ins Büro des Direktors gehe. Peymann war es, der mich fürs Burgtheater entdeckte.

      Er sitzt am Schreibtisch, vor ihm die aufgeschlagene Zeitung. Jetzt ist mir klar, dass es um den Artikel geht. Möglicherweise freut auch er sich nicht über meine mediale Erhebung zum neuen Star.

      „Setzen Sie sich“, sagt er ernst und wendet den Kopf zur Seite. Dann schaut er mir direkt in die Augen. Peymann brüllt nicht, aber er wird laut. „Was haben Sie sich denn dabei gedacht? Wie können Sie vor der Presse über Ihren Kollegen Ulrich Wildgruber sagen, er hatte schon zwei Herzinfarkte?“ Entsetzt schlägt der Direktor mit dem Handrücken auf das Aufmacherfoto. „Das liest doch jetzt jeder! Wie können Sie es wagen, Ihre persönliche Meinung der Presse mitzuteilen!“

      Aber, was habe ich denn …? Schlagartig wird mir die Konsequenz meiner naiven Plauderei bewusst. Am liebsten wäre ich auf der Stelle im Boden versunken. Mist, ich hab’s verpatzt, denke ich. Stimmt! Wie konnte ich das alles ausplaudern? Warum konnte ich nicht den Mund halten?

      Meine Gedanken überschlagen sich. Ich schäme mich. Was für eine Dummheit. Ulrich Wildgruber spielt die Hauptrolle in Die Vögel. Frei von der Leber weg plauderte ich vor dem Journalisten über seine seelische Verfassung nach seinem zweiten Herzinfarkt. Das hätte das Ende seiner Karriere bedeuten können. Ich hatte mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass er so etwas nicht im Feuilleton lesen wollte. Mir hätte während des Interviews klar sein müssen, dass das Business ist. Da hat Privates nichts zu suchen, außer man spricht über sich selbst oder tratscht mit Kalkül über Kollegen. Die Trennung zwischen Privat und Beruf hatte ich bis dahin nicht gelernt. Bei uns zu Hause saß auch immer die Firma meines Vaters mit am Tisch.

      Claus Peymann atmet tief ein und blickt aus dem Fenster. Dass ich ihn in dem Interview als irren Perfektionisten charakterisiere, bei dem die Schauspieler am Ende der Proben völlig fertig seien, spricht er nicht an. Dann wendet er sich mir wieder zu.

      „In Zukunft wird jedes Interview vorher mit der Direktion abgesprochen“, ordnet er an. „Alles muss künftig von mir autorisiert werden!“ Und noch einmal: „Haben Sie sich irgendetwas dabei gedacht, Frau Admiral? Irgendetwas?!“

      Nein, hatte ich nicht. Das sollte ich nun ehrlicherweise sagen. Aber ich schweige. Ich komme mir vor wie ein Gartenzwerg. Klein, lächerlich, ohne Stimme. Warum hast du nicht nachgedacht, Eva-Maria? Hatte mich das Interesse der Presse so geblendet? Die Komplimente des Journalisten? War ich so stolz auf meine eigene Garderobe, die tollen Kostüme? Nein, nein, nein! Ich habe schlichtweg nicht überlegt, dass es für einen erfolgreichen Schauspieler katastrophal sein kann, wenn bekannt würde, dass er schwer krank ist. Er könnte nicht mehr besetzt werden. Das Risiko wäre zu groß, dass er während einer Produktion wegstirbt. Keine Versicherung übernimmt das. Doch mit 24 Jahren habe ich das noch nicht kapiert.

      Zusammengerollt wie ein Programmblatt nach der Vorstellung sage ich kleinlaut zu Peymann: „Ja, ich verstehe“ und schleiche aus dem Büro.

      Als ich zur Probe komme, bleibt auch das Kollegenecho nicht aus. „Ja, da kommt ja der Star.“ „Bist jetzt der Starvogel“, sind nur einige spöttische Kommentare. Ich will nur noch eines: Mich bei meinem Kollegen entschuldigen. Ihm sagen, dass ich es vermasselt habe. Doch der Arme steht ununterbrochen auf der Bühne.

      Erst eine Woche nach der Premiere haben wir die Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Er ist nicht sauer und ich unendlich erleichtert. Natürlich führte der Artikel nicht zum Ende der Karriere dieses großartigen und wahnsinnig begabten Schauspielers. Er hat später seinem Leben ein Ende gesetzt, wie viele Schauspieler.

      Dennoch: Wann werde ich lernen, business like zu denken? Denn das hier ist Business. So werde ich nie Karriere machen.

      Wieso erzähle ich das alles? Ich hätte es gegenüber dem Journalisten wenigstens bei den positiven Aspekten der Arbeit mit dem berühmten Regisseur Claus Peymann belassen sollen. Aber doch nicht meine private, persönliche Meinung mitteilen. Warum kann ich Business und Privat nicht trennen? Warum kann ich mit einem Journalisten nicht einfach press like sprechen und mich gut verkaufen? Ich habe so ein entsetzliches Bedürfnis, immer echt und authentisch zu sein. So unpassend!

      KAPITEL 1

      „Du hattest es immer schon so eilig“

      Eine schaffe ich noch. Nur noch eine! Ich hole Luft und grabe weiter mit Beinen und Armen durchs Wasser. Ich spüre, wie mein Körper langsam müde wird. Halt durch, Eva-Maria. Du schaffst das! Als ich kurz aus dem Wasser auftauche, um Luft zu holen, sehe ich mein Kindermädchen. Traudl steht am Rand des Schwimmbeckens unseres Hauses. Sie formt mit den Händen vor ihrem Mund einen Trichter und ruft mir etwas zu. Dann geht sie wieder aus dem Schwimmbad. Das Wasser reflektiert die Abendsonne und blendet mich. Noch eine Bahn!, hämmert es in meinem Kopf.

      Traudl kommt zurück. Ich sehe, wie sie mich aus dem Wasser winkt. Nicht, Traudl, nicht! Ich muss es schaffen. Dann wird alles gut. Jetzt läuft Traudl aufgeregt zur anderen Seite des Schwimmbeckens. Sie kniet nun, will mich mit der Hand packen. Ich höre das ängstliche Zittern in ihrer Stimme. „Eva-Maria, bittschön, komm aus dem Wasser“, fleht sie. „Du musst ins Bett. Komm raus.“

      Ich weiß, dass Traudl nicht ins Wasser springen wird, drehe um und lasse sie hinter mir. Noch eine Bahn. Dann sind die hundert Längen voll. Erschöpft steige ich aus dem Wasser und greife zum Handtuch. Traudl ist fort.

      Mit nassen Füßen und tropfenden Haaren tapse ich über den langen Flur und suche sie. Ich finde mein Kindermädchen im hinteren Badezimmer. Sie sitzt heulend auf dem Fliesenboden.

      „Ach, Traudl, warum weinst du denn?“, frage ich erschrocken. Es tut mir leid, dass ich sie zum Weinen gebracht habe. Dann setze ich mich neben sie auf den kalten Boden. „Wein doch nicht“, sage ich und schlinge die Arme um sie.

      „Ach, es ist so schrecklich, Evemy. Was hast du dir denn dabei gedacht?“, will sie wissen und schnieft in ihr Taschentuch. „Warum hast du dich so verausgabt? Du bist noch viel zu klein für solch eine Anstrengung.“

      „Na, ich habe gedacht, wenn ich hundert Bahnen schwimme,


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