Mein Überlebenslauf. Eva-Maria Admiral

Mein Überlebenslauf - Eva-Maria Admiral


Скачать книгу
Großmutter steht mir sehr nahe. Sie ist wie meine zweite Mutter. Sie hat rotbraunes, kürzeres Haar und tiefbraune Augen. Ihre buschigen Augenbrauen fallen jedem besonders auf. Ihr Gang ist leicht und beschwingt. Jedes Mal, wenn sie mich begrüßt, blickt sie mich mit ruhigen und stolzen Augen an. Sie registriert alles Liebenswerte, das man ihr zukommen lässt. Obwohl sie neun Enkelkinder hat, ist sie zu allen gleich lieb.

      Eine Eigenschaft, die mir besonders auffällt, ist, dass sie mich immer fragt, ob ich auch die Nägel sauber habe. Sie hat ein fröhliches, aber empfindsames Gemüt. Wenn sie abends in ihr Bett schlüpft, löst sie mit zufriedenem Gesicht Kreuzworträtsel. Dann schläft sie müde, aber glücklich ein.

      Ihr Mann ist vor vier Jahren gestorben, darum besucht sie ihre Enkel oft, damit sie ihren Alltagstrott vergisst. Aber manchmal ist sie auch gerne allein und versinkt in ihren Gedanken. Mit mir (ihrer ältesten Enkelin) spricht sie sehr oft über das, was sie bedrückt oder glücklich macht. Wenn ihr Sohn sie besucht, fangen ihre sonst etwas trüben Augen fröhlich zu leuchten an. Man merkt, dass sie dann alles richtig machen will, und sie zündet hastig eine Zigarette an. Sie spricht gelassen und ruhig, dennoch färben sich ihre blassen Backen rosig. In diesen Augenblicken sieht sie aus wie ein kleines Mädchen vor seiner ersten Prüfung. Sehr oft geht sie mit mir abends in die Oper. Dort genießt sie die Musik und ihr sonst etwas angespanntes Gesicht wirkt schön und jung.

      Ohne ihren Kopfstand am Morgen kommt sie nicht aus. Sogar auf unserer Schiffsreise verzichtete sie nie auf ihre für sie sehr wichtigen Übungen. Sie fährt gerne mit ihren „Schützlingen“ auf Reisen. Dabei spürt man deutlich, wie sie wieder jung und vital wird.

      Ich liebe meine Oma über alles und möchte sie (nie verlieren) nicht so bald verlieren.

      Zeit ihres Lebens hatte Mumi, wie es ihrer Generation und Prägung entsprach, ihrem Mann den Rücken gestärkt. Sie erfüllte diese Aufgabe gewissenhaft. Mein Großvater leitete in Wien eine noble Firma. Mumi fühlte sich in ihrer Rolle nicht eingeengt wie in einem Korsett. Obwohl sie eine der ersten Frauen Wiens war, die sich die Augen liften ließen, und sie Hosenanzüge wie Marlene Dietrich trug, blieb sie dennoch traditionell. Sie stand uneingeschränkt hinter ihrem Mann, war Mutter von vier Kindern und ohne Frage sah sie in all dem ihre Lebensaufgabe, ihre Bestimmung – bis ihr Mann starb.

      Die Kinder waren aus dem Haus und hatten schon eigene Familien. Eine Leere machte sich breit. Doch Mumi trotzte ihr nicht nur: Sie suchte sich eine neue Aufgabe. Von all ihren neun Enkelkindern erwählte sie mich, das älteste. Durch das Internat war ich in ihrer Nähe und sie kümmerte sich um mich. Sie wurde meine Begleiterin und Freundin. In meinen Augen war sie keine Oma. Omas waren uralt und weißhaarig. Meine Mumi war schick und sportlich. Überall wurde sie mit Frau Direktor begrüßt.

      Mumi war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Sie hörte zu, nahm mich ernst. Wenn wir uns nicht sahen, schrieben wir uns. Sie war auch die Einzige, die mir schrieb. In unseren Briefen sah Mumi mich erwachsen werden.

      Liebe Mumi,

      verzeih, dass ich erst jetzt schreibe, aber im Moment bin ich im Stress. Wir haben ja jetzt eine einstündige Ausgangszeit-Erlaubnis. Nach der Schule gehe ich dann in ein Café in der Auhofstraße. Um dem täglichen Trott zu entrinnen, versuche ich, meinen Tagesablauf etwas zu ändern. Statt nach der Schule ins Internat zu gehen und dort den ganzen Tag herumzuhocken, mache ich einen kleinen Spaziergang zum Café. Dieser ewige Trott im Internat ist grauenhaft. 7 Uhr aufstehen, 8 Uhr Unterrichtsbeginn, 14 Uhr Schulschluss, 16 bis 19 Uhr Studierzeit, 19 Uhr Abendessen, 22 Uhr Schlafen. Bei uns ist es schon richtig wie im tiefsten Winter. Man muss sich schon sehr warm anziehen. Im Internat wird nicht geheizt.

      Ich vermisse Dich.

      Deine Evemy

      Liebe Mumi,

      heute hatten wir Lateinschularbeit. Gott sei Dank haben wir in der zweiten Pause vorher „verdächtige“ Stellen rausgesucht. Wir haben etwa 20 Stellen flüchtig und schnell übersetzt. Die schwersten Sätze haben wir genauer gemacht. „Verdächtig“ heißt, dass Vokabeln drin sind und Satzstellungen, die wir gerade gelernt haben. Natürlich haben wir in unserem Cäsar-Buch nur Auszüge aus allen seinen Werken. Normalerweise ist die Stelle für eine Schularbeit nicht aus unserem Lehrbuch, sondern aus irgendeinem Cäsar-Werk. Diesmal hatten wir Glück. Sie war aus unserem Buch. Aber leider habe ich eine Konstruktion nicht erkannt, doch bis jetzt keine anderen Fehler. Ich hoffe auf einen Zweier. Am Montag hatten wir Mathe-Schularbeit. Leider habe ich mich beim letzten Beispiel so oft verrechnet, dass ich nicht fertig geworden bin. Aber ich bekomme entweder eine 2 oder eine gute 3. Wahrscheinlich eine 3, wie ich Frau Direktor kenne. Mittwoch haben wir Englisch-Schularbeit.

      Viele Bussi, Evemy

      PS: Meiner Figur geht’s so ganz gut. Ich glaube und hoffe, dass ich am Schul-Skikurs abnehmen werde.

      Liebe Mumi,

      vielen, vielen Dank für Deinen lieben Brief. In der Schule gab es kein Faschingsfest mehr, aber am Wochenende viele Partys. Papa hat mir schon fest versprochen, dass ich dorthin darf. Doch heute hat Mutti angerufen und gesagt, dass sie mich nicht gehen lassen will!

      Jetzt habe ich gemeint, sie solle Papa ausrichten, dass er mich anrufen soll, damit ich das mit ihm berede. Da hat sie den Hörer aufgelegt. Mit Mutti verstehe ich mich überhaupt nicht mehr. Aber langsam bin ich gegen ihre Feindseligkeiten immun. Ich sag ja nicht, dass ich unschuldig bin, aber manchmal merkt sogar Papa, dass Mutti nicht fair ist. Mit Papa verstehe ich mich ausgezeichnet. Ich glaube, er ist so feinfühlig wie ich und versteht mich daher besser, so wie Du.

      Am Samstag war ich mit meiner Freundin tanzen. Dort habe ich einen sehr netten Burschen namens Christian kennengelernt. Zum Schluss gab es auch ein paar Küsse und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Natürlich sagte ich zu. Doch ich konnte nicht kommen, da Papa nicht wollte, dass ich so oft weggehe. Aber es wird schon wieder, schließlich ist das ja kein Weltschmerz. Trotzdem tut es mir sehr leid. Ich hoffe, Du verstehst mich.

      Bussi, Evemy

      PS: Ich habe mir die Haare 5 cm schneiden lassen!

      Liebe Mumi,

      weißt Du, dass Du als Datum Samstag, 28.2.1980 angegeben hast? Das kann nicht ganz stimmen. Heute ist Mittwoch, der 27.2.1980. (Du bist wie immer deiner Zeit voraus.) Ich habe mich sehr gefreut, dass Du „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gelesen hast. Stell Dir vor, ich hab letzten Montag den Film zum Buch gesehen; verfilmt von Volker Schlöndorff. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, dieses Buch zu verfilmen. Sehr gut finde ich die Problematik der Pressefreiheit dargestellt. Im Großen und Ganzen gefiel mir der Film schon, aber er war natürlich nicht so gut wie das Buch. Dieses Buch ist für die Leseliste nicht vorgeschrieben, aber ich glaube, dass es gut wäre, ein Buch von Heinrich Böll dabeizuhaben. Noch besser als die „Katharina Blum“ gefällt mir das Buch „Ansichten eines Clowns“ von Böll. Es ist im Stil bedeutend besser, soweit ich das beurteilen kann. Diese Bücher werden hier nicht besprochen, aber wenn wir einen bestimmten Themenbereich besprechen, lässt Frau Professor Bemerkungen über dazu passende Bücher fallen. Das schreibe ich mir auf und wenn mich ein Buch dem Titel nach interessiert, lese ich es.

      Viele Bussi, Evemy

      Liebe Mumi,

      letzte Woche war ich auf der Uni-Berufsberatung. Es war wirklich sehr interessant. Wir sind also in die Uni hineingegangen – kamen uns dabei ganz erwachsen vor. Schilder mit der Aufschrift „Studienberatung“ führten uns zu einem wunderschönen großen Saal. Wer von uns sollte als Erster „hineinschreiten“? Natürlich wollte niemand zugeben, dass einem irgendwie mulmig zumute war. Man wusste ja nicht, wer da drinnen auf einen wartete. Vielleicht ein strenger Professor? Als ich endlich im Saal war, war ich überrascht über die lockere Atmosphäre. Gar kein strenger Professor, der einem bei jedem Wort um Ruhe ermahnt. Es gab fünfzehn Tische und auf jedem stand ein Kärtchen mit dem Namen des Studiums. Ich setzte mich also zum ersten Tisch mit dem Kärtchen „Dolmetscher/Übersetzer“. Der Mann dort erklärte mir alles über das Studium an sich und über meine Berufsaussichten. Er malte alles so schwarz, schwärzer geht’s gar nimmer. „Dolmetscher/Übersetzer“ ist das überlaufenste Studium überhaupt. Es werden nur sehr wenige Dolmetscher/Übersetzer gebraucht.


Скачать книгу