Mein Überlebenslauf. Eva-Maria Admiral

Mein Überlebenslauf - Eva-Maria Admiral


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nicht da. Sie ist mit Tante Christine auf irgendeiner Schönheitsfarm. Ich soll trotzdem nach Hause fahren. Es wird wahrscheinlich fad wie immer. Das kommt davon, weil ich nicht viel mit mir selbst anzufangen weiß. Zum Beispiel in die Sauna gehen will ich eigentlich nur, wenn ich dünn bin – mit einem Bauch will ich nicht gehen. Aber wann bin ich schon dünn??? Turnen im Schwimmbad find ich alleine auch fad. Was könnte ich sonst noch machen? Lesen ist für mich auch keine Entspannung mehr, weil mir in letzter Zeit immer die Augen wehtun. Also faulenze ich einfach, ist ja auch ganz angenehm.

      Millionen Bussis!

      Deine Freundin Evemy

      Liebe Mumi,

      ich habe derzeit ziemlich viel zu lernen, aber was soll man tun? Ich freue mich sehr auf Freitag. Erstens, weil ich höchst wahrscheinlich zu einem Gespräch über „Toleranz in der Religion“ gehen darf, an dem unter anderem auch der Bundespräsident, Kardinal König und ein paar Universitätsprofessoren teilnehmen. Und zweitens gehe ich dann nach dieser Diskussion am Abend ins Englische Theater. „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams.

      Im Internat herrschen jetzt ziemlich strenge Sitten. Ich fühle mich ganz und gar nicht wohl. Papa hat mir versprochen, dass er versuchen wird, eine Lösung zu finden, damit ich nächstes Jahr, wenn ich achtzehn bin, nicht mehr das Internat besuchen muss. Und Ostern werden wir uns endlich wiedersehen.

      Ich denke viel an Dich. Ich möchte vieles schreiben, habe aber meistens Angst, dass meine Probleme, in einem Brief niedergeschrieben, viel schlimmer klingen, als sie in der Wirklichkeit sind. In einem Brief gibt der Leser meist auf jedes Wort acht, in einem Gespräch nicht. Ich möchte Dich nicht unnötig belasten, da Du mir nach unserem letzten Gespräch mit Problemen überschüttet scheinst; mit Problemen, die ich leider viel zu wenig kenne, weil ich weiß, dass auch Du mich nicht belasten willst. Obwohl ich darüber nicht glücklich bin, da ich als Deine Freundin gerne teilhaben würde.

      Ich schicke Dir viele, viele Bussis und umarme dich.

      Deine Evemy

      KAPITEL 4

      Not zwingt uns, Ideen zu entwickeln

      Brüllt ein Mann, ist er dynamisch.

       Brüllt eine Frau, ist sie hysterisch.

      Hildegard Knef, deutsche Schauspielerin

      Wenn ich an den Wochenenden nicht gerade bei Mumi war, fuhr ich ab und an zu meinen Eltern nach Hause. Auch mein Bruder kam dann aus seinem strengen Jungeninternat. Trotz meiner guten schulischen Leistungen blieb er der Kronprinz, unabhängig von seinen Leistungen oder Nichtleistungen. Als Kind dachte ich, dass das in jeder Familie so sei. Es liegt einfach daran, dass ich kein Sohn bin. Ich gehöre zu einer anderen Klasse. In den Augen meiner Eltern gab es nach meinem Gefühl Menschen erster, zweiter und dritter Klasse – und mein Bruder war wohl erste Klasse.

      Bei den zahlreichen Verwandtenbesuchen an solchen Wochenenden lief häufig das gleiche Spiel ab: Verwandte und Freunde meiner Eltern steuerten geradewegs auf meinen wunderhübschen Bruder zu mit den Worten: „Was hast du denn für wunderschöne Augen? Ach, was bist du für ein wunderbarer Bub!“

      Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich offensichtlich sehr hässlich sein musste. Bei mir hieß es meist: „Wie siehst du denn schon wieder aus? Schade, dass du keine Haare hast. Na ja, aus dir wird nie etwas!“

      Dieses Spiel konnte meine Mumi des Öfteren beobachten. Bis sie offenbar genug davon hatte. Bei einem dieser Besuche kam sie zu mir. Ich hatte mich wieder einmal weinend in eine Ecke verkrochen. Sie sah mir in die Augen und sagte zu mir: „Eva-Maria, weißt du eigentlich, dass du Bernsteinaugen hast?“ Sie zwinkerte mir zu. Ich wischte mit der Hand über meine tränenverschmierten Augen. Ungläubig sah ich sie an.

      „Das ist eine ganz seltene Farbe“, sagte Mumi und nickte geheimnisvoll. „Diese Augen findet man nur ganz selten auf dieser Welt. Außerdem bist du unwahrscheinlich intelligent, mehr als alle deine Klassenkameradinnen.“

      „Echt?“, fragte ich und wischte mir über die Nase.

      „Ja, aber das musst du natürlich für dich behalten. Es ist dein Geheimnis.“

      Von diesem Moment an fühlte ich mich nicht mehr wie das kleine hässliche Entlein. Ich hatte nun ein Geheimnis: Bernsteinaugen und eine unwahrscheinliche Intelligenz. Mich tröstete der Gedanke, dass ich eines Tages einen Menschen finden würde, der erkannte, dass ich tatsächlich Bernsteinaugen habe.

      Mich belasteten an den Wochenenden auch die ständigen Streitereien meiner Eltern sehr. Meine Mutter trank dann jedes Mal sehr viel. Ab und an, wenn sie angetrunken war, wurden unsere Gespräche jedoch auch persönlicher. Dann klagte sie mir ihr Leid darüber, wie mein Vater sie behandelte.

      „Ich kann machen, was ich will: Er nimmt mich einfach nicht ernst“, erzählte sie. „Vor den Gästen sagt er zu mir: ‚Was redest du schon wieder für einen Blödsinn.‘ Das ist so demütigend, Eva-Maria. Ich bin für ihn ein Mensch zweiter Klasse.“

      Meine Mutter tat mir bei diesen Gesprächen leid. Doch ich konnte ihr nur bedingt helfen. Obendrein stand es auch um meine seelische Verfassung nicht gut.

      Liebe Mumi,

      es ist halb sieben und ich bin nicht mit den Eltern zum Abendessen gegangen. Ich habe heute schon den ganzen Tag so viel gegessen. Mit Papa habe ich mich gestritten. Ich habe ihm offen ins Gesicht gesagt, dass ich die Anschuldigungen, die er gegenüber Mutti macht, unfair finde. Er hat natürlich das gekränkte, unschuldige Lamm gespielt. Er tut so, als hätte nur er Gefühle. Er hat mich gekränkt; ich habe ihn gekränkt. Nun sprechen wir nicht mehr miteinander. Ich habe nichts geändert – höchstens alles noch schlimmer gemacht. Ich weiß, es ist nicht sehr diplomatisch, aber ich bin so ein Mensch, der einfach die Wahrheit ins Gesicht sagt. Taktlos, rücksichtslos, so könnte man mich nennen. Aber ich musste es einmal sagen.

      Irgendwie fühle ich mich einsam, so leer. Alles scheint mir so sinnlos. Warum lebe ich? Um zu lernen? Um mir den Kopf über alles Mögliche zu zerbrechen? Warum? Ich verstehe mich selber nicht. Warum solltest Du mich verstehen? Aber irgendwie fühle ich: Du verstehst mich, Du kennst mich. Das gibt mir unheimlichen Auftrieb.

      Ich denke oft an Dich.

      Deine Evemy

      Meine Eltern waren, wie in Österreich üblich, katholisch. Ein katholisches Internat zu besuchen, war damals das Aushängeschild einer guten Erziehung. Man lernt vier Sprachen und wird Tag und Nacht beaufsichtigt. Anfangs im Internat hatte ich mich auch sehr für Religion interessiert. Bestimmt zwei Jahre lang glaubte ich, es sei sicherlich gut, was die Nonne mit uns machte und was sie glaubte. Das änderte sich, als ich merkte, dass Gott etwas Böses sein musste.

      Eine wirkliche Beziehung zu Gott hatte ich nicht. Wenn überhaupt, dann standen mir katholische Heilige nahe oder Maria, die Mutter Gottes. In manchen Nächten faltete ich unter der Bettdecke die Hände und flehte Maria an. Meine Gebete waren häufig eine Art Tauschhandel. Bei der Putzkontrolle war ich meistens durchgefallen. Mein Schrank, so gewissenhaft ich ihn auch aufgeräumt hatte, war fast nie in Ordnung. Jedes Mal stand ich unter enormem Stress, wenn die Nonne anrückte. Dabei hatte ich mich wirklich angestrengt. Doch entweder war der Stapel Wäsche nicht gerade genug und die Pullover lagen nicht exakt aufeinander. Oder die Nonne entdeckte Staub. Irgendeinen Krümel fand sie immer.

      Also verhandelte ich nachts mit Maria. Ich versprach ihr, ich würde jeden Tag einen Rosenkranz beten, wenn ich einmal bei der Schrankkontrolle ohne Beanstandung durchkam. Doch ich rasselte wieder durch. Im Laufe der Zeit probierte ich andere Gebete mit mehr und minder Erfolg. Auch mit dem Vaterunser versuchte ich es. Ich melde mich sogar freiwillig als Ministrantin. Nichts.

      Die Sache mit Gott schloss ich endgültig ab, als mir die Nonne eröffnete: „Eva-Maria, du weißt, dass du in der Hölle landest.“ Sie stellte mich vor diese vollendete Tatsache, nachdem sie mich beim Quatschen mit einem Jungen erwischt hatte.

      Die Internatsmauer war teilweise unterbrochen durch einen Holzzaun. Schräg gegenüber war ein Jungengymnasium. Natürlich gab es nichts Interessanteres, als sich über den Zaun mit dem anderen


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