Bilder der Levante. Michael Jansen

Bilder der Levante - Michael Jansen


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und das Auto den méchanique, den Straßentauglichkeitstest, bestehen musste, erklärte mir Khalidi das geheimnisvolle Innenleben der Gänge; ich kannte bis dahin nur Automatikgetriebe. Ich sah zu und hoffte, alles verstanden zu haben. Auf dem Rückweg in die Stadt wurde ich ins kalte Wasser geworfen: Mitten im Mittagsverkehr hielt Khalidi vor seinem Wohngebäude, stieg bei laufendem Motor aus und sagte, ich solle nun übernehmen. Ich kletterte über das Getriebe und lernte das Schalten sofort. Knirschende Fehler vergab Hadschi. Soweit ich weiß, fuhr ich in Beirut als erste Frau einen Sportwagen. Viele sahen in Hadschi, einer Schönheit in British Racing Green, nur ein altes Auto, zu gestrig für Bewunderung.

      Ich fuhr mit Hadschi durch ganz Beirut und wählte Routen, wo der Hall zwischen den Gebäuden am schönsten dröhnte. Weil Parkplätze im Zentrum schwer zu finden waren, nahm ich zum Einkauf auf dem Souk al-Franj die kleine rote Tram. Dort kaufte ich Käse bei Herrn Mamoud, einem kleinen runden Mann in engem beigem Overall, der im Sommer 250 Sorten Käse führte und im Winter 500, und frisches warmes Brot aus der Bäckerei direkt vor dem Suk.

       Gaza, Ostern 1963

      Neville Kanakaratne hatte mich zu einer Galaveranstaltung von UN-Friedenstruppen nach Gaza eingeladen, aber ich bekam für die Tage keinen Urlaub. So fuhr ich stattdessen Mitte April, in den Osterferien, für ein paar Tage hin. Wieder saß ich in einem UNRWA-Flugzeug, einer altertümlichen DC-3, in einem Schalensitz mit einer Decke gegen die Kälte, denn das Flugzeug war nicht luftdicht. Ich hatte im »Marna House« reserviert, einer kleinen Pension, geführt von Margaret Nassar, einer schönen Palästinenserin mit Geschäftssinn. Seit meinem ersten Besuch in Gaza wohnte ich immer dort. Für Besucher im Auftrag der UNO und Journalisten ist das Marna House in Gaza stets ein zweites Zuhause geblieben, auch wenn es an der Meeresfront inzwischen modernere Hotels gibt.

      Das Abendessen mit den indischen Truppen war ein prachtvolles Ereignis im indischen Offizierskasino, geschmückt mit den Battle Honours des Regiments, Flaggen und Silber – glänzenden Kerzenleuchtern, Bechern, Tellern und Tabletts. Liebevoll poliert. Hinter jeder Person an der langen Tafel stand ein festlich uniformierter jawan, der Speisen und Getränke reichte.

      Am nächsten Morgen organisierte Neville für mich eine private Akrobatikshow indischer Soldaten. Auf einem kleinen Sandhügel am Rand des Camps wurde ich mit einem Glas Bier in einen Korbstuhl gesetzt. Neville stand neben mir, ein verschmitztes Funkeln in den Augen, auf der anderen Seite stand Patrick, ein korpulenter Feldwebel irisch-indischer Abstammung. Auf der Ebene unter uns kletterten indische Soldaten einen eingefetteten Pfahl hinauf, machten Purzelbäume, überschlugen sich und stellten ihre Beweglichkeit und ihr Können zur Schau, während ich wie die junge Queen Victoria, leicht verschämt und leicht amüsiert, ihren Übungen zusah. Königinnen erwarten eine solche Behandlung, bloße Sterbliche nicht.

       Bay City, Michigan, USA, 18. September 1961

      Die Fernsehnachrichten meldeten den Tod von UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld und fünfzehn Mitarbeitern bei einem Flugzeugabsturz über Nordrhodesien. Sie waren auf dem Weg zu Verhandlungen um einen Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien im Kongo gewesen. Verzweifelt rief ich gemeinsame Freunde in New York an und fragte: »War Neville im Flugzeug?« Niemand wusste es. Meine Eltern standen daneben und wunderten sich, was mich mit diesem Ereignis im fernen Afrika verbinden könnte.

      Als Hammarskjölds Rechtsberater hätte Neville im Flugzeug sitzen sollen. Doch man hatte ihn nicht mitgenommen, weil er kein Französisch konnte, die Sprache beider Konfliktparteien in der ehemaligen belgischen Kolonie Kongo. Nevilles mangelnde Französischkenntnisse hatten ihm das Leben gerettet.

      Wir hatten uns am Mount Holyoke College kennengelernt. Neville, ein kluger, eloquenter Delegierter der ceylonesischen UN-Gesandtschaft, hatte vor dem Club für Internationale Beziehungen – dessen Präsidentin ich später wurde – eine Vorlesung über die Entkolonialisierung Afrikas gehalten. Er war ein zierlicher Mann mit feinen Zügen und schütterem grauen Haar, prominenter Nase und großen, dichtbewimperten Augen. Er kam gern in das Frauencollege, wo ihn Studentinnen umringten und viele ihn bewunderten. War ich in New York, wo ich bei einem Freund in einer Dienstmädchenwohnung in Sutton Place wohnte, führte Neville uns zum Mittag- oder Abendessen aus. Bei seinen ceylonesischen Freunden zu Hause probierte ich zum ersten Mal Essen vom indischen Subkontinent. Das Fisch-Pickle trieb mir Tränen in die Augen, aber ich entwickelte trotzdem ein Faible für scharfes südasiatisches Essen.

      Neville hatte mir eine Karte zur Eröffnung der UN-Generalversammlung 1960 geschenkt und setzte mich am richtigen Eingang zur riesigen Halle ab. Drinnen stand ich plötzlich neben Fidel Castro, der gerade andere Delegierte begrüßte. Von meinem Sitz in der ersten Reihe, eigentlich für hochrangige Beamten bestimmt und nicht für Collegestudenten, hatte ich einen guten Blick auf das Geschehen und die Anwesenden. Die Hauptrede an jenem Tag war auf Serbokroatisch, gehalten vom jugoslawischen Staatschef Tito. Viele Delegierte schlichen zwischendurch hinaus, aber ich traute mich nicht.

      Im Frühjahr 1961 lud mich Neville zu seiner Abschiedsparty in seine New Yorker Wohnung ein. An dem Tag sollte ich in einem Seminar bei der eindrucksvollen Ruth Lawson, Professorin für Internationale Beziehungen, ein Referat halten. Ich zerbrach mir den Kopf, ob ich das Referat halten oder zur Party gehen sollte, und entschied mich schließlich für die Party. Wir trafen uns in kleiner Runde in Nevilles Wohnung. Er hatte eine Auswahl scharfer Gerichte gekocht, die er sich während seines Studiums in Cambridge selbst beigebracht hatte. Die meisten Gäste waren weiblich, viele den Tränen nahe; junge Frauen schätzten Neville, der schwul war, als guten Freund und wunderbaren Begleiter über alles. Niemand von uns wusste, dass er aus der Delegiertenlounge in die Räume des Generalsekretärs in den geheiligten 38. Stock ziehen sollte.

      Am Morgen nach der Party ging ich in das winzige UNRWA-Büro, tief im Inneren des UN-Gebäudes. Ich wollte wissen, ob es schon Neuigkeiten zu meiner Praktikumsbewerbung für den Sommer im Beiruter Hauptsitz des Hilfswerks gab. Molly, die zuständige Angestellte, sagte: »Du hast Glück, der Generalkommissar ist gerade da. Ich schau mal, ob er Zeit hat.« John Davis sagte mir, dass manche in Beirut mich ablehnen würden: »Eine junge Amerikanerin könnte ein Problem sein.« Doch er entschied, mich als erste Praktikantin und Freiwillige des Hilfswerks anzunehmen. »Sie müssen aber für drei Monate hin. Für sechs Wochen lohnt sich die Reise nach Beirut nicht.«

      Wäre ich nicht zu Nevilles Abschiedsparty gegangen, wäre mein Leben anders verlaufen. Zur Sicherheit hatte ich eine zweite Praktikumsbewerbung eingereicht, beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge in Genf. Den Platz bekam eine Kommilitonin. Professorin Lawson war krank geworden und hatte das Seminar gar nicht halten können. Von den beiden Praktika, die den Kurs erheblich bereicherten, war sie begeistert. Eine einfache Sache, diese Entscheidung.

       Neu-Delhi, Indien, 1959

      Nach dem ersten libanesischen Bürgerkrieg kehrte Godfrey nach Neu-Delhi zurück, ausgezeichnet mit dem Zedernorden der Republik Libanon. Seine Rolle in der Beendigung des Konflikts wurde von Ministerpräsident Jawaharlal Nehru im Parlament erwähnt. Er bewarb sich um eine weitere Entsendung in den Nahen Osten, doch stattdessen wurden ihm Washington oder Paris angeboten.

      Als Godfrey zum Frühstück in Jawaharlal Nehrus Residenz eingeladen war, verspätete er sich wegen des Verkehrs in Delhi um ein paar Minuten und wurde ins Esszimmer geführt. Der Ministerpräsident, seine Tochter Indira Gandhi und Lady Edwina Mountbatten saßen schon am Tisch. Der Diener fragte leise, wie viele Eier Godfrey gerne hätte. »Eins.« Die anderen drei warfen sich einen Blick zu, ein diskretes Lächeln auf den Lippen.

      Einige Jahre später fragte Godfrey Indira Gandhi, warum sie bei seiner Frühstücksbestellung gelächelt hätten. Sie antwortete, sie hätten oft gewettet, ob ein Gast eine Einei- oder Zweieierperson sei. »Bei Ihnen lagen wir richtig.«

      Was seine Entsendung anbetraf, erzählte Godfrey, dass »Herr Nehru sich entschuldigt« und gesagt habe, er könne »die Bürokraten im Außenministerium nicht umstimmen.«

      Godfrey verließ den diplomatischen Dienst. Kurze Zeit arbeitete er in Delhi für den National Herald, herausgegeben von Indira Gandhis Ehemann Feroze Gandhi. Dann wurde er Regionalkorrespondent für den indischen Statesman, kehrte Indien


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