Bilder der Levante. Michael Jansen

Bilder der Levante - Michael Jansen


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Heiligtum stapelten sich wunderbar bemalte iranische Kacheln, viele noch aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurden durch neue Kacheln ersetzt, wie vom jordanischen König Hussein beauftragt, dem Hüter des Felsendoms, der al-Aksa-Moschee und anderer Gebäude auf dem Gelände. Der Ingenieur bot mir ein paar Kacheln an. Dummerweise lehnte ich ab, denn ich machte mir Sorgen, mein Gepäck könnte zu schwer für den Rückflug werden.

      Im Jordantal, in den Hügeln über Jericho, besuchte ich das Flüchtlingslager Akbat Dschaber. 30’000 Menschen lebten dort. Ein älterer Mann in Kaftan und mit Kopfputz verwarf den Plan des UNRWA, Mädchen eine Berufsausbildung zu bieten. Er selbst hatte sieben Kinder, Jungen und Mädchen, alle mit Universitätsabschluss. Palästinensern galt Bildung als einziger Weg zu einem anständigen Leben.

      Die meisten Bewohner des Lagers waren im heißen Sommer 1948 angekommen, als die israelische Untergrundarmee sie aus Dörfern nördlich von Haifa und aus den Städten Ramla und Lod vertrieben hatte, auf Befehl Jitzchak Rabins, damals Einsatzleiter der Eliteeinheit Palmach. Die Bewohner Ramlas wurden in Bussen bis an die arabischen Frontlinien transportiert, die unter der Kontrolle der jordanischen Arabischen Legion standen. Die Bevölkerung von Lod wurde Mitte Juni vertrieben und musste zu Fuß bis nach Jericho gehen, wo Anwohner erschöpfte Familien mit Trinkwasser und Nahrung versorgten. Viele Menschen starben auf dem Weg. Meine Studienfreundin Dyala Husseini, damals sieben oder acht Jahre alt, erzählte mir später von ihrer Ankunft. Es waren Tausende von Männern, Frauen und Kindern, wundgelaufen, dehydriert, mit Sonnenstich. Unterwegs hatten sie in Olivenhainen und auf Feldern geschlafen. Viele starben an Austrocknung oder Unterkühlung.

       Damaskus, Syrien, Juli 1961

      Mein anderes Leben verbrachte ich mit meinen neuen Freunden und Bekannten von der Universität. Sawsan hatte mich in ihren Freundeskreis eingeführt, zu dem auch Dyala Husseini gehörte. Wir gingen an den Strand, schwammen, aßen getoastete Schinken-Käse-Sandwiches aus arabischem Fladenbrot und tranken Bier mit Limonade. In dieser noch immer konservativen Gesellschaft gingen junge Frauen und Männer statt in Paaren stets zu dritt oder zu viert aus. Wir fühlten uns wohl ohne die Herausforderung eines Tête-à-Tête. Wir trugen Baumwollkleider mit schwingenden Röcken und Absatzschuhe, die an den Zehen drückten; die jungen Männer trugen Anzüge und Krawatten. Sie luden ein, und sie bezahlten. Wir gingen zu Fuß oder nahmen Taxis, bezahlten für eine Fahrt ins Zentrum 25 libanesische Piaster, eine Viertel-Lira (0,33 Dollar), und jeder, der unterwegs zustieg, beteiligte sich.

      Eines Morgens nahm ich mit Sawsan ein Taxi nach Damaskus. Wir fegten die breite Schnellstraße ins Libanongebirge hinauf, durch Dörfer, in denen Libanesen und Ausländer vor der feuchten Beiruter Hitze Zuflucht suchten und den Sommer in pinienbeschatteten Villen verbrachten. Im Städtchen Chtaura im Bekaa-Tal hielten wir an der laiterie der ehemaligen Bauchtänzerin Badia Masabni und kauften zusammengerolltes Fladenbrot mit Labneh. An der Grenze wurde wegen Visa kein großes Aufheben gemacht; Libanon und Syrien waren – fast – ein Land. Kurz vor Damaskus, einer Oase mit dem Anspruch, die älteste Stadt der Welt zu sein, fuhren wir vorbei an Plantagen voller Aprikosen und Pfirsiche und an Hainen uralter Olivenbäume mit silbrig grünen Blättern.

      Die Stadt selbst war ganz anders als Beirut. Damaskus war eine Metropole voller Alleen und schöner französischer Kolonialgebäude, Springbrunnen und Parks. Die grelle Sommersonne schien die neueren Viertel außerhalb der Stadtmauern ausgeblichen und ihnen einen gold-beigen Ton verliehen zu haben, ganz anders als Beiruts kräftige Rosa-, Gelb-, Blau- und Grüntöne vor dem Hintergrund des türkisfarbenen Mittelmeers. Als wir im Taxi zu Sawsans Elternhaus fuhren, sagte sie: »Guck mal, die Straßen. Viel sauberer als in Beirut. Und das schon bevor mein Vater Gouverneur wurde.«

      Mit ihrem Vater Rashad hatten Sawsan und ich zuvor in Beirut im »Blue House« bei der Universität zu Mittag gegessen. Er war ein gutaussehender, kräftiger Mann mit dunklem Haar und Schnurrbart, geistreich und charmant. Als Chef der syrischen staatlichen Ölgesellschaft war er in den Jahren 1939 bis 1941 mit seiner britischen Ehefrau ins trostlose Deir ez-Zor in den Osten gezogen. Später wurde er zum Manager eines Unternehmens in Damaskus ernannt, dann zum Gouverneur der Provinz Damaskus, zum Minister für öffentliches Bauwesen und Telekommunikation und schließlich zum Landwirtschaftsminister.

      Das Haus der Jabris war ein bescheidener Bungalow mit einem Garten, den Sawsans Mutter Pearl liebevoll pflegte. Sie hatte Sawsans Vater in Manchester kennengelernt, als er dort Bauingenieurwesen studierte.

      Sawsan wollte mir die ganze Stadt zeigen. Sie bestand darauf, in einem Nachtklub zu Mittag zu essen, »Les Caves du Roy«, wenn ich mich recht erinnere – wie der Klub in Beirut, wenn auch anders buchstabiert. Der Raum war dunkel, das Essen ausgezeichnet, wie eigentlich überall in Damaskus. Für junge Frauen ohne Begleitung war ein Mittagessen akzeptabel, ein nächtlicher Ausflug nicht. Nachmittags spazierten wir in der Altstadt umher und besuchten das staubige Mausoleum Saladins, des arabischen Befehlshabers, der im 12. Jahrhundert die Kreuzfahrer aus Palästina vertrieben hatte.

      An jenem oder dem darauffolgenden Abend, oder am nächsten, gingen wir zu einer Party in die ungemein schicke Wohnung eines Freundes von Sawsan. Die Eltern waren nicht da und wir uns selbst überlassen. Alkohol gab es keinen, aber viel Essen, aufgetragen auf einer Tafel mit feiner Leinentischdecke. Wir hörten arabische Musik und The Green eaves of Summer, eine Ballade, die in jenem Sommer beliebt und aus irgendeinem Grund zu einer Erkennungsmelodie des algerischen Befreiungskriegs geworden war. Ein Lied, das überall und immer wieder gespielt wurde. Die Gespräche waren politisch. Es ging um Nasser, Syriens und Ägyptens Zusammenschluss zur Vereinigten Arabischen Republik, unterstützt von Sawsan und ihren Freunden, die entweder Nassers Bewegung Arabischer Nationalisten angehörten oder mit ihr sympathisierten. Sie hofften, die arabische Welt werde so neuen Antrieb bekommen und sich gegen Israel und die ehemaligen Kolonialmächte, die weiterhin in die arabische Innen- und Regionalpolitik eingriffen, zusammentun.

      Montags fuhr ich mit Leuten vom UNRWA-Büro aus Damaskus ins Flüchtlingslager von Jarmuk, dem größten außerhalb Palästinas. Dort lebten etwa 17’000 Flüchtlinge in dürftigen, eingeschossigen Betonsteinhäusern mit Flachdächern, von ihnen selbst entlang unbefestigter Pfade erbaut. Am nächsten Tag begleitete Sawsan mich in die Lager von Homs. Wir besichtigten den berühmten Uhrenturm von Homs. Dem Mann, der im kommenden Jahr am Mount Holyoke College Arabisch unterrichten sollte, schrieb ich eine Postkarte. In Hama aßen wir in einem Restaurant bei den antiken Wasserschöpfrädern, den Norias. Von den erhaltenen Wasserrädern hieß es, sie seien im 12. und 13. Jahrhundert von der von Saladin gegründeten Dynastie der Ayyubiden erbaut, wobei die ursprünglichen Räder schon sehr viel früher in Betrieb waren. Manche seiner Anhänger verglichen Nasser mit dem verehrten Saladin.

       South Hadley, Massachusetts, USA, 28. September 1961

      Abends berichteten die Fernsehnachrichten über einen Armeeputsch in Syrien und den Austritt des Landes aus der Union mit Ägypten. Nasser hatte sich verrechnet, als er zögerlich darauf eingegangen war, sich mit Syrien zusammenzuschließen. Dort nahm die Macht der kommunistischen Partei zu, was in der syrischen Baath-Partei, der einflussreichen Wirtschaftsschicht des Landes und bei den westlichen Mächten Ängste schürte. Nasser hatte zugestimmt, doch zu Bedingungen, die Syriens Herrscher zurückgewiesen hatten. Trotzdem hatte man die Dokumente über den Zusammenschluss am 22. Februar 1958 unterzeichnet.

      Nasser hatte in seinem Umgang mit der Union eine Reihe schwerer Fehler begangen. Er ging hart gegen Kommunisten vor, löste Syriens politische Parteien auf und verbot der Armee jegliche Beteiligung an der Politik. Seine eigene Nationale Union wurde zur einzigen Partei beider Flügel des neuen Staats. Doch das 600-köpfige Parlament war stark zu Ägyptens Gunsten gewichtet, mit 400 Abgeordneten, gegenüber 200 für das viel kleinere Syrien. Zudem erließ Nasser Verfügungen zu Verstaatlichungen, ohne die syrische Regierung zu konsultieren.

      Wenngleich die Kommunisten in Syrien und Ägypten ausgemerzt waren, betrachteten Jordanien und Libanon die Vereinigte Arabische Republik als existenzielle Bedrohung. Die westlichen Mächte empfanden die Union und den populären Nasser, der 1948 gegen die Gründung Israels gekämpft hatte, derweil als Gefahr für den jüdischen Staat. Als der libanesische Präsident Camille Chamoun im Mai 1958 eine Verfassungsänderung anstrebte, um eine zweite Amtszeit anzutreten, rebellierten die


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