Bilder der Levante. Michael Jansen

Bilder der Levante - Michael Jansen


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schreiben gelernt, sich aus den Hintergassen Alexandrias emporgekämpft und im Hafen gearbeitet. Dort hatte er sich selbst nach und nach mit einem Wörterbuch Englisch beigebracht. Als er in einer Razzia gegen Linke der vorrevolutionären ägyptischen Polizei festgenommen werden sollte, setzte Godfrey, damals indischer Presseattaché in Kairo, ihn in ein Flugzeug nach Indien, mit der Aussicht auf einen Job beim arabischsprachigen Programm von All India Radio. Als den Ägyptern klar wurde, dass Brahim an Bord war, befahl der Fluglotse dem Kapitän, zurückzukehren. Der weigerte sich, da er den ägyptischen Luftraum bereits verlassen hatte. In Indien lernte Brahim Christianne kennen, und sie heirateten. Unter Nassers republikanischem Regime saß er sieben Jahre im Gefängnis, arbeitete dann für verschiedene Medien und verließ Ägypten schließlich, um als Korrespondent für eine jugoslawische Zeitung zu arbeiten.

      Godfrey floh trauernd aus Beirut nach Jerusalem. Ich schnitt Zweige vom Mandelbaum in unserem Garten in Schemlan und legte sie, auf einer Moscheetreppe in Südbeirut, auf Brahims Sarg. Dann brachte Christianne ihn zur Beisetzung nach Hause nach Kairo, in die Stadt, die er einst verlassen hatte.

       Beirut, Libanon, März 1976

      Wir fuhren nach Beirut, damit Marya für ein paar Tage ins Collège Louise Wegmann gehen konnte; den Campus in Bchamoun bei Schemlan hatte das Collège geschlossen. Wir zogen in eine enge Wohnung beim alten Leuchtturm am Ende der Hamrastraße. Die Wohnung gehörte den Eltern unserer Nachbarin Penny und lag nah bei der Schule. Im Smith’s-Supermarkt kauften wir Lebensmittel und Kerzen, bezogen die Betten mit mitgebrachter Wäsche und stellten uns auf Stromausfälle ein, die es in Schemlan nicht gab. Nachts hörten wir, wie Plünderer die Metallgitter der Geschäfte aufrissen, eines nach dem anderen, und die Straße heraufkamen, bis sie unter unserer Wohnung waren. Marya schlief weiter, aber Godfrey und ich lagen wach und machten uns Sorgen, sie könnte aufwachen und Angst bekommen.

      Eines Abends saßen wir auf dem Balkon und sahen auf dem Fernsehgerät der Nachbarsfamilie die Nachrichten, als ein Offizier das Fernsehstudio betrat, sich auf einen Stuhl an Nicole Maillards Tisch setzte und seine Pistole auf den Tisch legte. Nicole war sprachlos. Sie war eine enge Freundin, arbeitete damals als Fernsehmoderatorin und sprach die Frühnachrichten im Radio.

      Der Mann stellte sich als Abdel Aziz al-Ahdab vor, Kommandant der Militärgarnison von Beirut, und ernannte sich selbst zum zeitweiligen Militärgouverneur Libanons. Er forderte den Rücktritt von Präsident Suleiman Frangieh und Premierminister Raschid Karami. Ahdab sagte, er wolle verhindern, dass die Armee in konfessionelle Fraktionen zerfalle, und Libanon von seinem einjährigen Bürgerkrieg befreien – in der Zeit bombardierten Milizen Beirut, entführten Zivilisten, plünderten, teilten die Stadt in einen christlichen Osten und einen multikonfessionellen Westen auf und schossen auf jeden, der von einem Sektor in den anderen wollte. Die Regierung sei gelähmt und könne nichts tun, um dem Chaos Einhalt zu gebieten, die Bevölkerung zu schützen oder die Armee aufrechtzuerhalten.

      Ringsum saß die Nachbarschaft erstarrt vor ihren Bildschirmen, die in der Dunkelheit schwach leuchteten, dann jubelte einer nach dem anderen und in ganz Beirut ertönten Freudenschüsse; Kirchenglocken läuteten zur Unterstützung. Nur wenige schliefen gut in jener Nacht. Viele hofften, der Konflikt werde nun enden und Politiker und Milizen würden Ahdab ernst nehmen.

      Am nächsten Morgen spazierten wir nach Raouché zum Haus unserer Freunde, den Radis. Ma Radi kochte wie immer, ihre Töchter Selma und Nuha durchsuchten das libanesische Radio nach Neuigkeiten über den Putsch, über Ahdab, den plötzlichen Helden. Kriegsmüde Libanesen aus allen Gemeinden riefen bei Radiosendern an, um Ahdab ihre Unterstützung zuzusichern und seinen Schritt gutzuheißen, den Krieg zu beenden. Anrufe kamen aus den sunnitischen Städten Sidon und Tripoli, aus christlichen und drusischen Bergdörfern, und von beiden Seiten der Beiruter Trennlinie. Anrufer nannten ihre Namen und riskierten damit Vergeltung durch lokale Milizen.

      Die libanesische Regierung und Syrien, das Frangieh unterstützte, ignorierten Ahdab. Kurz nach dem fehlgeschlagenen Coup trat Frangieh mit 65 Jahren zurück. Für einen Augenblick setzte der Krieg aus.

       Schemlan, Libanon, Frühjahr 1976

      In einer durch den Krieg aus den Fugen geratenen Welt war mir das zyprische Radio ein Rettungsort. Ich saß in der kühlen, von einem Feigenbaum überschatteten Bibliothek unseres Hauses und hörte Mikis Theodorakis’ Revolutionslieder und Manos Hadjidakis’ poetische Melodien. Auf einem gelben Notizblock schrieb ich an einem Buch über den Putsch der griechischen Junta und die darauffolgende türkische Invasion und Besetzung Nordzyperns. Ich schrieb über unser geplündertes Haus in der Nähe des Marktes in der Küstenstadt Kyrenia. Ich schrieb, während Granaten aus der 75-mm-Haubitze in Ainab über unsere Köpfe hinwegdröhnten, um jenseits der breiten Schnellstraße nach Damaskus im maronitischen Gebirge ein abgelegenes Dorf zu treffen. In unserem Garten saß Neville Thomas bei Erdbeeren mit Sahne. Er war ein ehemaliger Offizier der britischen Armee, der mit seiner Frau Rosemary in einem Haus über Schemlan wohnte. Neville warnte uns, dass wir gut in Deckung gehen sollten, wenn eine Granate ein heulendes Geräusch mache, weil sie dann kreiselte und jederzeit einschlagen könne. Wir hatten nur zwei Dächer, das Dach des Hauses selbst und die Decke zwischen Wohnzimmer und Bibliothek. Während ich schrieb, las Godfrey auf seinem üblichen Platz, dem Diwan im Wohnzimmer, und Marya erhielt von George oder Elie, die ihre Kalaschnikows an der Hintertür abgelegt hatten, Französisch- und Matheunterricht. George und Elie waren die Söhne unseres Nachbarn Nimr Eid. Sie unterrichteten Marya privat weiter, nachdem ihre Schule geschlossen worden war.

      Elie, fröhlich und rundgesichtig, hatte im Dezember in der »Schlacht der Hotels« gekämpft und die Gefechte unversehrt überstanden. George, groß und dünn, half seinem Vater in dem Geschäft unterhalb der Anhöhe mit der Kirche. Selim, der Schlachter, der immer eine kleine Schafherde auf der Wiese gegenüber von seinem Laden weiden ließ, versorgte während dieser kargen Monate das Dorf mit Lebensmitteln. Wenn wir nach Beirut fuhren, kauften wir in der Bäckerei in Aramoun stets einige Brote für Freunde im Dorf, die nicht in die Stadt hinunterfahren wollten, weil sie sich vor konfessionellen Kontrollpunkten, Entführungen und Mord fürchteten.

      Wir legten einen Grundlebensmittelvorrat an, falls wir im Dorf eingeschlossen werden sollten, Linsen, Bohnen, Mehl, Corned-Beef-Büchsen, Milchpulver, Kaffee und Tee, und Holzkohle zum Kochen, falls es kein Flaschengas mehr geben sollte.

       Schemlan und Beirut, Libanon, Juni 1976

      Marya wollte nicht bei unseren Nachbarn Penny und Eric im Dorf bleiben. Die beiden wohnten in Nimr Eids altem Haus um die Ecke. So fuhren wir im Mercedes von Pennys Eltern, eine Leihgabe, nachdem wir unseren panzerartigen Volvo in Damaskus gelassen hatten, zu dritt nach Beirut. Auf dem Weg ins Tal hielten wir an der Zapfsäule in Bchamoun, um Öl für den Generator bei Reuters zu kaufen, von wo Godfrey seine Artikel an den Economist schickte. Auf der Küstenstraße und in Ras Beirut lief der Verkehr nur zäh. Wir fuhren am Zaun des Sanayeh-Parks entlang und hielten vor dem Büro der Nachrichtenagentur. Im selben Moment, als wir drei in die schützende Eingangshalle traten, schlug draußen eine Mörsergranate ein und erschütterte das Gebäude bis in die Grundmauern. Ein bleicher Journalist hatte sich in der Halle in Sicherheit gebracht und sagte: »Heute Vormittag ist es besonders schlimm.« Godfrey ging die Treppe hinauf, um seinen Artikel und das Öl abzuliefern, unsere bescheidene Spende für die Telexbenutzung. Als er wiederkam, spähten wir vorsichtig aus der Eingangshalle um die Ecke und sahen, dass das Auto voller Erdbrocken und zerfetzter Blätter war. Die Mörsergranate war direkt neben dem schmiedeeisernen Zaun im Park eingeschlagen, hatte ringsum alles mit Erde und Schutt verdreckt, aber keinen ernsthaften Schaden verursacht.

      Erschrocken über unser knappes Entkommen, fuhren wir durch die leeren Straßen schnell zu Nicoles Apartmentblock in der Verdunstraße. Wir liefen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie bereitete in aller Ruhe das Mittagessen zu. »Wie wär’s mit einem Drink?«, fragte sie, nachdem wir ihr von der Granate erzählt hatten. »Mohammad hat gerade angerufen, er kommt auch gleich vorbei.«

      Weil ich etwas im Auto vergessen hatte, lief ich noch einmal rasch die Treppe zum Parkplatz hinunter. Dort stand Mohammad Machnouk gegen sein Auto gelehnt. Was war passiert? »Ich bin aus dem Büro und habe abgeschlossen, dann ist mir eingefallen, dass ich ein paar Unterlagen mitnehmen


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