Bilder der Levante. Michael Jansen

Bilder der Levante - Michael Jansen


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warum man mich so genannt hatte.

      Gefragt haben mich das viele Leute, aber eine zufriedenstellende Antwort habe auch ich nicht. Stimmungsabhängig sagte Ma manchmal: »Dein Vater mochte keine Mädchennamen«, oder sie selbst habe sich für den Vornamen von »Michael Strange« entschieden, dem Pseudonym und Lieblingsnamen von Blanche Oelrichs, einer gefeierten Schauspielerin und Dichterin (von der meine Mutter vorgab, sie zu kennen). Blanche oder Michael war die zweite Ehefrau des Schauspielers John Barrymore; er wiederum war der zweite ihrer drei Ehemänner. Ihre Biografie Who Tells Me True erschien 1940, in meinem Geburtsjahr. Das mag sich auf meine Namensgebung ausgewirkt haben.

      Oder Ma sagte, sie liebe Michael Arlens Der grüne Hut, einen gewagten Roman, der sowohl in New York und London für die Bühne bearbeitet als auch mit Greta Garbo und John Gilbert verfilmt worden war. Wie Blanche fühle ich mich wohl mit »Michael« und finde, der Name passt zu mir, auch wenn er hin und wieder für Verwirrung sorgt. Ein paar Wochen, nachdem ich angefangen hatte, für die Irish Times zu schreiben, erzählte mir ein Diplomat, im irischen Außenministerium gehöre es zum Insiderwissen, dass Michael Jansen eine Frau sei.

       Beirut, Libanon, April 1965

      Während unserer anfänglichen Telefonate wegen eines Jobs hatte Godfrey mich »Miss F.« genannt. Bei unserer wichtigsten Begegnung musste er im Bett liegen. Bei einem Besuch von Freunden im Bergdorf Schemlan hatte er eine schwere Kiste Lebensmittel vom Auto ins Haus getragen und einen Bandscheibenvorfall gehabt. Er hatte mir gesagt, der Haustürschlüssel liege unter dem Fußabtreter. Ich solle einfach in die Wohnung und ins Schlafzimmer kommen, dort liege er seit sechs Monaten. Der Professor, der mich für die Stelle als Redaktionsassistentin vorgeschlagen hatte, warnte mich vor dem Bewerbungsgespräch: »Jansen ist ein riesiger bärtiger Sikh, der kleine Mädchen frisst.« Unsicher, ob das nun ein Scherz war oder nicht, postierte ich meinen kräftigen syrischen Freund an der Haustür.

      Godfrey war natürlich kein großer, bärtiger Sikh, der kleine Mädchen fraß, ob morgens, mittags oder zum Nachmittagstee. Er war ein schmaler Mann mit klar indischen oder südasiatischen Gesichtszügen, einer Hornbrille, leicht gewelltem schwarzem Haar und einer etwas gebieterischen Art. »Gehen Sie mal in die Küche und machen uns zwei Whisky«, befahl er. Ich tat wie mir geheißen, kam wieder zurück, setzte mich in den Besucherstuhl und wir besprachen, wie man das Middle East Forum von einer sporadischen monatlichen Zeitschrift zu einem ernsthaften, viermal jährlich erscheinenden Journal machen könne.

      Die Arbeit musste warten, bis sein Arzt entschied, ob Godfrey geheilt war oder noch eine riskante Operation benötigte. Ich wollte gern anfangen, weil ich das Geld brauchte, und so rief ich ihn ab und zu an, um mich nach seiner Genesung zu erkundigen. Schließlich ging er für irgendwelche Untersuchungen ins Krankenhaus. »Die haben mich auf einen Tisch geschnallt, mir Kontrastmittel in die Wirbelsäule injiziert, mich in einem dunklen Raum auf den Kopf gestellt und geröntgt. Ich war da ziemlich lange drin, bis Suhail irgendwann reinkam und gesagt hat: ›Die Bandscheibe ist verheilt, aber weil die Nerven noch gereizt sind, musst du Krankengymnastik machen.‹ Als ich fragte, welche Farbe das Kontrastmittel denn habe, zog er die Spritze raus und hielt sie hoch. ›Schau, farblos.‹ Der Tisch wurde wieder zurück gekippt, ich wurde befreit und durfte nach Hause.« Gegenüber der Sache mit dem Kontrastmittel hatte ich meine Zweifel, sagte aber nichts.

      Godfrey war die ideale Person für die ehrenamtliche Herausgabe des Journals. Als indischer Presseattaché in Kairo, Beirut und Istanbul war er seit 1948 immer wieder durch den Nahen Osten gereist. Er verfügte über ein breites Netzwerk in der Region und ein tiefes Verständnis, wie sie wirtschaftlich und politisch funktionierte. Wenngleich er auf seinen Reisen Artikel in Auftrag geben wollte, schickte er bald mich nach Kairo auf die Suche nach Autoren.

       Kairo, Ägypten, Sommer 1965

      Von Godfrey mit einer Namensliste ausgerüstet, flog ich nach Ägypten und bezog eines der Chalets im Garten des Omar-Khayyam-Hotels. Als erstes traf ich den Herausgeber einer großen Tageszeitung, der mir gleich Muhammad Sid Ahmad zuteilte, einen blassen, eher schüchternen Mann mit Brille, der Termine für mich arrangieren sollte; Muhammad hatte gerade erst als Volontär bei der Zeitung angefangen. Besonders gern wollte Godfrey Kamal el-Din Rifaat als Autor gewinnen, einen ehemaligen General und damals in der Arabischen Sozialistischen Union für die Abteilung Information verantwortlich. Muhammad schlug vor, mich ägyptischen Intellektuellen und Journalisten vorzustellen und lud mich zum Abendessen ein.

      Vorsichtig fuhr er durch den Kairoer Verkehr nach Gizeh, auf eine schmale unbefestigte Wüstenstraße und zu einem Restaurant mit einer großartigen Aussicht auf die Pyramiden. »Heute gehe ich zum ersten Mal seit meiner Ausgangssperre aus«, sagte er und erzählte, dass er ein paar Monate zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Er war als Jugendlicher Kommunist gewesen, bekehrt durch Mitschüler und Lehrer an seinem Gymnasium, und hatte sich einer kommunistischen Geheimzelle angeschlossen, doch sein Vater hatte ihn ins Ausland geschickt, in der Erwartung, dass Muhammad die Vergnügungen von Paris den Verschwörungen von Kairo vorzöge.

      Doch stattdessen, so erzählte mir Muhammad beim Abendessen, im Hintergrund hallte und flackerte die Lichtershow, sei er in sein Heimatland zurückgekehrt und habe eine Weile im Untergrund gelebt, in einer Zelle unter der Führung einer Französin namens Odette Hazan, bis die Mitglieder seines Zweigs der geteilten Partei verhaftet worden seien. »Nach der Zeit im Untergrund unter Odettes Befehl war das Gefängnis eine Erleichterung.« Seine erste Haftzeit war vorbei, kurz nachdem das Komitee der Freien Offiziere 1952 den König gestürzt und 1954 Nasser an die Macht gebracht hatte. 1959 sei er in der Wüste zusammen mit einer Reihe von Kommunisten und anderen Dissidenten erneut verhaftet worden und 1964 entlassen. »Das Gefängnis war eine Universität. Dort gab es Intellektuelle, die zu allen möglichen Themen lehrten. Das war gut für uns.« Während dieser Zeit hätten Muhammad und seine Kameraden die Sicht der Partei auf die Revolution überdacht und allmählich Ägyptens neue Ordnung akzeptiert – bis deren allmählicher Verfall, wie er mir 2002 schrieb, darin kulminiert habe, dass Nassers Nachfolger Anwar Sadat 1978 Jerusalem besuchte.

      Muhammad gehörte zur ottomanischen Oberschicht, die einst Ägypten beherrschte. Sein Vater, ein Pascha unter dem König, Gouverneur von Port Said und Suez sowie Parlamentsabgeordneter, habe die politische Berufung seines Sohnes nicht verstanden. Später schrieb Muhammad, sein Vater habe aus Angst um das Leben seines Sohns dafür gesorgt, dass dessen erster Gefängnisaufenthalt verlängert worden sei. Muhammads Vater starb 1955, verbittert durch den Verlust ausgedehnter Ländereien durch die Reformen der Regierung Nasser.

      Muhammads Mutter, Schwester des ehemaligen Premierministers Sidki Pasha, war eine Grande Dame. Ich traf sie zum Tee in der Wohnung der Familie in der Ibn-Zanki-Straße in Zamalek. Das Wohnzimmer war voller eleganter französischer Möbel, über die André Philip, ehemaliger Minister und stellvertretender Parteivorsitzender der französischen Sozialisten, zu Muhammad gesagt hatte, sie gehörten in ein Museum. Muhammads Bücherregale voller kommunistischer Klassiker in ihren üblichen schlichten Einbänden zeigten, dass das Gefängnis seiner jugendlichen Leidenschaft nichts anhaben konnte.

      Muhammad sagte, dass wir für das Treffen mit Rifaat nach Alexandria fahren sollten, wo der ehemalige General mit seiner Familie Urlaub mache. Etwa auf der Hälfte der Strecke übernahm ich das Steuer und ließ Muhammad erst wieder fahren, als wir die Küstenstadt erreichten. Ein paar Tage zuvor war seine Mutter für den Sommer dorthin in die Ferienwohnung der Familie umgesiedelt. Sie hatte für ein fantastisches Mittagessen gesorgt, kalten frischen Lachs mit Mayonnaise. Ich wohnte im Hotel Palästina, einer schönen Villa in einem palmbeschatteten Garten am Strand.

      Rifaat empfing uns in seinem Strandhaus und willigte ein, einen zweiteiligen Artikel über die »Entwicklung sozialistischer Beziehungen« zu schreiben, durch die Ägypten in der wirtschaftlichen Entwicklung die »Startphase« erreichen solle. Letztlich lieferte er einen Artikel ab – über die Idee der ägyptischen Bemühungen –, jedoch nicht den zweiten, der die Praxis behandeln sollte.

      Muhammad und ich fuhren übers Land, besuchten ein viel größeres und aufwendigeres Zentrum als jenes, das ich bei meiner ersten Kairoreise 1961 gesehen hatte. Wie auch bei späteren Besuchen in Kairo nahm mich Muhammad mit ins »Night and Day«,


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