Letzter Tanz auf Sankt Pauli. Claudius Crönert

Letzter Tanz auf Sankt Pauli - Claudius Crönert


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selber in einen Sessel.

      »Was kann ich für Sie tun? Sie suchen doch kein Zimmer?«

      »Es geht um einen Ihrer Mieter, Gustav Limba.«

      Krell fiel auf, dass ihre Mundwinkel für einen kleinen Moment unkontrolliert zuckten. Sofort hatte sie sich wieder im Griff. »Was hat er ausgefressen?«

      »Ausgefressen – so würde ich es nicht ausdrücken«, sagte Schubert. Nach den ersten Tagen in der Dienststelle hatte Krell ihn ausdrücklich ermutigt, selber den Mund aufzumachen und eigene Fragen zu stellen. Es war wesentlich günstiger, sowohl bei Zeugen als auch bei Verdächtigen, wenn man sich abwechselte. Zu einem von beiden fasste die dritte Person meistens Vertrauen.

      »Ich verstehe Sie nicht. Können Sie ein bisschen deutlicher reden? Ich habe mit Limba sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen.«

      »Weshalb?«, fragte Krell.

      Frau Grüber lachte auf und zündete sich eine Zigarette an. Sie hielt sie mit gespreizten Fingern von sich. »Er hat seine Miete nicht bezahlt. Der Mann schuldet mir Geld.«

      »Wie viel?«

      »Drei Monatsmieten. 21 Mark.«

      »Sehen Sie, Frau Grüber«, sagte Schubert, »Ihr Mieter, Herr Limba, ist tot.«

      Diesmal reagierte sie stärker. Sie riss die Augen auf. Auch ihr Mund stand offen, sodass ihre gelblichen Zähne zu sehen waren. Beides dauerte wieder nur einen kurzen Moment. Krell fiel auf, dass ihre Hand zitterte, als sie die Zigarette zum Mund führte. Sie nahm einen Zug »Das glaube ich nicht«, sagte sie, während sie den Rauch auspustete.

      »Sonst wären wir nicht hier, Verehrteste«, erklärte Krell.

      Sie machte ein krächzendes Geräusch, wie ein verwundetes Tier. Auch das ging vorüber, kaum, dass es erklungen war.

      »Dann kann ich mein Geld wohl abschreiben?«, sagte sie mit einem Zittern in der Stimme.

      »Ich fürchte, ja«, entgegnete Krell.

      »Was ist passiert, warum ist er tot?«

      Krell wechselte einen Blick mit Schubert, der sich offenbar zurückhalten wollte. »Das wissen wir noch nicht. Wir haben mit unseren Untersuchungen gerade erst angefangen.«

      Sie schüttelte den Kopf. Es war eine automatische Bewegung, wie bei einer Puppe. Krell bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte.

      »Können Sie nicht …?«, begann sie. »Ich meine, der Staat …

      Krell schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, jetzt verstehe ich Sie nicht.«

      »Die Miete. Mein Mann ist gefallen, ich hab die Pension ganz alleine am Hals. Das ist viel für eine Witwe, das können Sie mir glauben.« Sie schluchzte auf, was Krell künstlich vorkam.

      »Wir werden sehen. Zunächst, Frau Grüber, was können Sie uns über Limba sagen? Mit wem hatte er Umgang? Hatte er Feinde? Irgendwelche Pläne?«

      »Darüber weiß ich nichts.«

      »Denken Sie nach«, insistierte Schubert. »Er wird Ihnen doch versprochen haben, die ausstehende Miete zu begleichen.«

      »Ja. Im Versprechen war er groß.« Sie biss sich auf ihre rot bemalte Unterlippe, woraufhin ein wenig der Farbe an ihrem Schneidezahn klebte. »Dann hat er einen mit seinen braunen Augen angeschaut …«

      »Wie wollte er das Geld verdienen? Hatte er Arbeit?«, fragte Krell.

      »Ach, Herr Kommissar, das hat er mir nicht erzählt. Soweit ich weiß, hat er hier und da kleinere Dienste übernommen.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund. »Ich hätte ihm das Zimmer niemals geben dürfen. Mein Mann hätte direkt Nein gesagt, der mochte solche Schönlinge überhaupt nicht. Ich bin einfach zu gutmütig. Und jetzt sitze ich da mit dem Schaden.«

      Sie zog wieder an ihrer Zigarette. Krell unterstellte, dass sie sich einen Schnaps einschenken würde, sobald sie gegangen waren.

      »Mit wem hatte er Umgang?«, wiederholte Schubert.

      Sie zog die Schultern in die Höhe. »Ich spioniere meinen Mietern doch nicht nach.«

      »Das unterstellt auch niemand«, sagte Krell. »Aber es wird geredet. Sie essen doch alle gemeinsam.«

      »Wir sitzen alle an einem Tisch, ja. Da wird Konversation getrieben, meistens übers Wetter. Neulich ging es mal um einen Bombenangriff, das war eine große Ausnahme. Politische Gespräche dulde ich nicht, schon gar nicht zu Kriegszeiten, da wird dann gestritten, und am Ende kommt man in Teufels Küche. Nee, nee.« Sie winkte ab. »Ob Limba Bekannte hatte – woher soll ich das wissen? Es wird sicher welche gegeben haben. So was hat doch jeder. Und Feinde? Meine Herren, das entzieht sich meiner Kenntnis, ich bitte Sie … Ich kann auch nicht alles hören, ich muss ja andauernd in die Küche rennen. Immerzu fehlt den Herrschaften irgendetwas – Salz, dann wollen sie neue Butter oder Aufschnitt. Sie haben ja keine Vorstellung …«

      Inzwischen sah ihr Gesicht ein wenig wüst aus. Durch den Anflug von Tränen war ihre Schminke an den Augen verwischt, ein Zahn war rot, dafür gab es an der Unterlippe eine Lücke in der Farbe. Gleichzeitig appellierte sie ein wenig zu deutlich an das Mitleid ihrer Besucher.

      »Frau Grüber, hat Limba …«

      Sie schien Krell überhaupt nicht gehört zu haben. Mit einem Schluchzen sprach sie weiter: »… wie hart das Leben für eine Witwe ist. Mein Mann ist in Griechenland gefallen. Seitdem stehe ich ganz alleine in der Welt. Die meisten Mieter sind Kerle, und manche davon keine Ehrenmänner, die betrügen, wo immer es geht. Da muss man sich stark machen als Frau, das kann ich Ihnen sagen, sonst tanzen die einem auf der Nase herum.«

      »Geben Sie uns doch bitte eine Liste Ihrer Mieter. Und wir müssen Limbas Zimmer sehen. Es wird für einige Zeit verschlossen bleiben.«

      »Das ist nicht Ihr Ernst!«

      »Unsere Techniker müssen Spuren sichern.«

      »Und wer kommt dafür auf?«

      Diesmal war es Krell, der die Schultern in die Höhe zog.

      »Frau Grüber, hat Limba Ihnen nicht doch mitgeteilt, wie er das Geld für seine Mietschulden verdienen wollte?«, fragte Schubert wieder. »Ich meine, Sie werden doch insistiert haben.«

      »Das habe ich, Herr Kommissar.«

      »Kriminalassistent«, korrigierte Schubert. »Was hat Limba gesagt?«

      »Er hat mich vertröstet, Woche für Woche, mit irgendwelchen Versprechungen. Er war irgendwie wie ein großer Junge.« Wütend drückte sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus.

      Krell glaubte, sie führe ein schlechtes Schauspiel auf. Er hatte den Wunsch, es zu beenden. »Geben Sie uns bitte die Liste mit den Mietern.«

      »Sie wollen mit allen sprechen? Das wird Unruhe geben.« Sie zog einen Schmollmund, was den Eindruck eines Schweinchengesichts verstärkte.

      »Das ist unabdingbar. Machen Sie uns die Liste gleich, oder sollen wir sie morgen abholen?«

      Sie schniefte und schaute dabei auf ihre Armbanduhr. »Wenn Sie ein bisschen Zeit haben, geht das jetzt.«

      »Inzwischen sehen wir uns sein Zimmer an.«

      »Da muss ich doch mit.«

      »Nicht nötig. Es reicht, wenn Sie uns einen Schlüssel geben und die Zimmernummer nennen.«

      »Nummer neun. Er wohnte in der Neun. Ich …« Für einen Moment schien sie verwirrt, aber dann fing sie sich wieder und nahm einen Schlüssel vom Brett hinter dem Schreibtisch.

      »Es fehlen Schlüssel. Also sind Mieter im Haus?«, fragte Krell.

      Sie starrte ihn an, als hätte sie seine Frage nicht verstanden. Erst nach einigen Momenten schaute sie nach. »Ich glaube«, sagte sie dann. »Die Reichert müsste da sein. Und Herr Hispel.«

      »Und eine dritte Person.«

      »Nein.«


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