Letzter Tanz auf Sankt Pauli. Claudius Crönert

Letzter Tanz auf Sankt Pauli - Claudius Crönert


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die hohen Nazis wirkte er auf einmal bedacht, ja kein falsches Wort von sich zu geben. Er bekam eine Verlängerung seiner Bedenkpause, als die Tür ein weiteres Mal aufging. Ein Mann, der seinen Hut nicht abzog, verlangte nach einem Päckchen Nil. Während Jan ihm die Zigaretten auf den Tresen legte, musterte der Mann Krell mit zusammengekniffenen Augen und fragte sich offenbar, ob er von ihm etwas zu befürchten hatte. Dann sagte er zu Jan: »Ich hab so einen trockenen Mund. Gib mir was zum Befeuchten.«

      Unter dem Tresen zog Jan eine Schublade auf und nahm ein etwa fingergroßes Glasfläschchen heraus. Der Kunde drehte am Deckel und trank einen ersten Schluck. Er zahlte und grüßte mit einem Nicken, bevor er ging.

      »Die Tageszeitungen gehen offenbar nicht so gut?«

      »Zeitungen? Die laufen unten am Fischmarkt besser. Als Packpapier. Im Unterschied zu hier ist es da schietegal, wie alt sie sind. Steht doch sowieso nur Mist drin.«

      »Mensch, Kerl«, seufzte Krell. »Pass bloß auf, dass sie dich nicht mal abholen. Weißt du noch, wo wir waren?«

      »Sicher. Das große Schweigen auf dem Kiez.«

      »Lass mich mal theoretisch fragen: Wenn du mir erzählen würdest, was wahrscheinlich schon ganz Sankt Pauli weiß … Aber für mich wäre das ein entscheidender Hinweis … Und daraufhin verhafte ich einen der Großluden, den Kahlen Conny oder Paul mit der Narbe – könntest du dann sicher sein, dass du morgen deinen Laden noch aufschließen kannst?«

      »Über die Zukunft kann man sich nie sicher sein. Da ist der liebe Gott vor.«

      »Heute kommst du mir aber ganz besonders blöd, Jan. Der liebe Gott lebt nun gewiss nicht auf’m Kiez.«

      »Stimmt auch wieder.« Jan rauchte und mied dabei Krells Blick. »Obwohl wir hier ’ne Kirche haben.« Plötzlich richtete er sich auf. Auch seine Stimme veränderte sich, sie bekam etwas Offiziöses. »Sie haben recht, Herr Kommissar, es gibt viel Sünde im Viertel des heiligen Paulus, und es gibt eine Menge Leute, die glauben, der Herr wird eines Tages Feuer über uns ausgießen wie über Sodom und Gomorrha.« Jan steckte seine Zigarre zwischen die Lippen und schmunzelte, er wollte zeigen, dass er einen Scherz gemacht hatte. »Soll ich mal ganz ehrlich antworten, Herr Kommissar?«

      »Ich bitte darum.«

      »Ich habe keine Ahnung, wer Limba ins Jenseits befördert hat und warum. Das Einzige, was ich sagen kann: Auf Sankt Pauli war der Junge ein kleines Licht. Ein besserer Laufbursche. Manchmal verdiente er ’ne Mark oder zwei damit, dass er mit älteren Damen tanzte, deren Männern das zu anstrengend war. Und wenn sie das mochten, hat er seine Hand auch über ihren Hintern gleiten lassen. So einer war der Limba.«

      »Mit einem solchen Typen geben sich die großen Tiere nicht ab?«

      Jan zuckte mit den Achseln.

      »Verstehe«, sagte Krell. »Wo hat er gewohnt?«

      »In der Pension Grüber, soweit ich weiß. Können Sie mich aber nicht drauf festnageln.«

      »Am Hamburger Berg?«

      »Genau da.«

      Krell stand auf. Seine Zigarre war erst zur Hälfte geraucht. Er würde sie mitnehmen und auf der Straße weiterpaffen. »Mach’s gut, Jan. Bis zum nächsten Mal.«

      »Es ist mir immer eine Ehre, Herr Kommissar. Viel Glück.«

      »Dir auch.«

      »Und dann noch Heil Hitler. Damit Sie beruhigt sind.«

      »Heil Hitler«, erwiderte Krell und verschwand.

      Vier

      Schubert war mit jener Nachricht zum vereinbarten Treffpunkt gekommen, die zu erwarten gewesen war – keiner der Nachbarn hatte etwas gehört oder gesehen. In der Brauerei wurde nachts nicht gearbeitet, und die Anwohner hatten in ihren verdunkelten Wohnungen geschlafen. Die beiden Kommissare waren auf dem Weg zum Hamburger Berg. Krell betrachtete die Straßen mit Schuberts Augen. Was mochte der arme Kerl aus der holsteinischen Provinz für einen Eindruck haben? Die wenigen Hakenkreuzfahnen, die es gab, hingen schlaff an den Masten, sie waren schmutzig, eine sogar eingerissen. Von den Schupos der Davidwache abgesehen, trug kein Mensch auf dem Kiez Uniform. Es gab weder Hitlerbilder in den Schaufenstern noch Schmierereien gegen Juden. Krell war sich nicht sicher, wo Schubert politisch stand, eins aber war klar: Dieses Sankt Pauli musste einen Mann, der nicht von hier kam, befremden. Der Stadtteil vermittelte den Eindruck, als gehörte er nicht zum Deutschen Reich, eine Exklave, freizügig und frech wie eh und je, mit Striptease und Prostitution, zudem heimlich dem Kommunismus zugeneigt. Die nationale Erhebung war an diesem Viertel vorbeigegangen. Auch auf Krell wirkte der Kiez, zumindest wenn er Schuberts Blick einnahm, seltsam, und zwar in doppeltem Sinne, denn er spottete nicht nur all dem, wofür das neue Deutschland stand, sondern die Stadtverwaltung schreckte gleichzeitig davor zurück durchzugreifen. Für das Amüsement der Bevölkerung war sie bereit, ein Auge oder gleich beide zuzudrücken.

      Altona war schon immer widerständig gewesen, es war kein Zufall, dass gleich hinter der Grenze, wo Hamburg früher endete, die Straße auf Altonaer Seite »Große Freiheit« hieß. Krells Vater hatte diesen Unabhängigkeitsgeist aus tiefster Seele verabscheut, für den Alten war das renitent und unpreußisch gewesen, und er hatte größten Wert darauf gelegt, dass er aus Bahrenfeld stammte, einem zu seiner Kindheit noch eigenständigen Dorf, nur zufällig dem widerborstigen Sankt Pauli benachbart. Krell hingegen war hier nach den beiden Jahren in den Schützengräben wieder ein Mensch geworden, und das vergaß er nicht. Als Polizist hatte er nun dafür zu sorgen, dass Gesetzesübertretungen geahndet wurden. Welche Meinungen die Bevölkerung vertrat, scherte ihn nicht.

      Am Hamburger Berg hielten sie vor einem Haus mit schmuddeliger Fassade, an der in ausgeblichenen Lettern »Pension Grüber« stand. Es war eingequetscht zwischen einer düsteren Seemannskaschemme und einem Lokal namens Frivoli, das mit Bildern leichtbekleideter junger Damen im Fenster warb. Da es keine Klingel gab, öffnete Krell die Tür. Ein schummrig beleuchteter Gang führte hinein, eine Art Diele mit einem ausgeblichenen Läufer. Der Eindruck von Unscheinbarkeit, den das Haus von außen gemacht hatte, blieb bestehen, doch wurde er erweitert. Es schien halbwegs sauber zu sein. An den Wänden hingen Bilder, naive Hafenimpressionen mit Segelschiffen, glücklichen Matrosen und winkenden Bräuten. Die Rahmen waren goldfarben gestrichen.

      »Hallo«, rief Krell. »Ist jemand da?«

      Niemand antwortete. Rechter Hand führte eine Treppe ins Obergeschoss, in dem wahrscheinlich die vermieteten Zimmer lagen. Die Diele selber lief in einem Vorraum aus, von dem drei Zimmer abgingen. Eine Flügeltür stand offen. Sie schauten in ein Esszimmer mit einem langen ovalen Tisch, unter den die Holzstühle geschoben waren. An der Wand hing ein weiteres Ölgemälde, erneut in verziertem Goldrahmen, diesmal eine Hafenansicht mit stürmisch-grauem Himmel.

      »Hallo«, wiederholte Krell. »Frau Grüber?«

      Eine Tür öffnete sich und eine Frau trat heraus, die Krell auf Mitte 40 schätzte. Ihm fiel der Ausdruck »drall« ein. Ein rot-weiß gestreifter Pullover spannte über Brust und Bauch. Sie hatte blondes gewelltes Haar und ein Schweinchengesicht, das für Krells Geschmack zu stark geschminkt war, Mund und Wangen rötlich, die Lider schwarz. Die vielen modernen Diätratschläge schienen an ihr abzuperlen. Krell unterstellte, dass sie die entsprechenden Zeitschriftenartikel las und trotzdem weiteraß.

      »Sie wünschen?« Ihre Stimme klang rauchig. In ihrer kühlen Bestimmtheit hörte man die Geschäftsfrau, die den Umgang mit fremden Männern gewohnt war.

      Krell zog seine Dienstmarke hervor. »Kommissar Krell, Kripo Hamburg. Das ist Kriminalassistent Schubert.«

      »Die Polizei?«

      »Wir haben ein paar Fragen. Könnten wir in einen geschlossenen Raum gehen?«

      »Bitte.«

      Sie führte sie in das Zimmer, aus dem sie gekommen war. Es war ihr Büro, mit einem weichen, schmuddeligen Teppich ausgelegt. Am Fenster stand ein Schreibtisch, von dem aus man die Tür im Auge hatte. Ein paar Papiere lagen darauf. Neben der Lampe gab es ein schwarzes Telefon,


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