Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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‚Bruder‘-Formel, unterstreicht Schubarts Verzweiflung: „Was hab ich, Brüder! euch gethan?“ (S. 46)

      Auf den ersten Blick scheint Schubarts Gedicht Die FürstengruftDie Fürstengruft, das während dieser Hohenasperger Haftzeit entstanden ist, sehr eindrücklich die Spannung zwischen scharfsichtiger politischer Erkenntnis und Zugeständnissen an gesellschaftliche und ästhetische Normen zu spiegeln. Die schlechten Fürsten, die als Tyrannen geherrscht haben, werden am Jüngsten Tag dem Gericht Gottes zugeführt, während die „bessre[n] Fürsten“ mit ewiger Herrschaft belohnt werden. Mit dem Ausruf „Ihr seid zu herrschen werth“ bekennt sich SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel zum aufgeklärten Absolutismus. Unterschlägt man die letzten vier Strophen der FürstengruftDie Fürstengruft, dann lässt sich in der Tat eine AllegorieAllegorie auf die duodezfürstliche Tyrannis daraus konstruieren, doch der Schlussteil enthält die entscheidende theologische Wendung. Hier macht sich ein Ton geltend, den der Theologe David Friedrich StraußStrauß, David Friedrich (1808–1874) im Hinblick auf die Deutsche ChronikDeutsche Chronik als Schubarts religiösen „Obscurantismus“38 bezeichnet hat. Die Kritik reicht immer nur so weit, wie es mit Schubarts doch zutiefst pietistisch geprägtem Weltbild verträglich ist.

      Doch eine genauere Lektüre kommt zu einem anderen Ergebnis: Schubarts Text drängt die Lektüre als parodistisch-sarkastisches Gedicht regelrecht auf. Die Fürsten sind „Gözen“, ihre „Eitelkeit“ ist selbst im Tod nicht zu tilgen. Die Ironie verdichtet sich im Satzzeichen: „Denn ach! hier liegt der edle Fürst! der Gute!“ Weder edel noch gut waren diese Fürsten, darüber spricht ja der Text, und Mitleid schwingt im sympathetischen „ach!“ auch nicht mit. Marmorne „Thränen“, die das Grabmal schmücken, ziseliert der fremdländische Steinmetz „lachend“ – auch hier werden Anteilnahme und Mitleid explizit ausgeschlossen. Zu Lebzeiten waren diese Fürsten „Der Menschheit Schrecken!“, willkürlich herrschten sie über „Leben oder Tod“. Freiheit von Kunst und Wissenschaft unterbanden sie, „Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen, / In harte Fesseln schlug“ – wer wollte ausschließen, dass Schubart hier an sich selbst dachte? „Geiles Blut“ floss in ihren Adern, „schaamlos und geil“ lebten sie, Zoten wiehernd, selbst das Heer der „Höflinge“ wird ironisiert. Auch diese Wortwahl lässt an Deutlichkeit sarkastischer Verachtung nichts zu wünschen übrig. Doch Schubart steigert die Antipathie noch weiter, Fürsten seien „Menschengeisseln“, die nun im Tod „verächtlicher als Sklaven, / In Kerker eingemaurt“ sind. Das fürstliche Grab als Kerker, der Fürst selbst als Sklave, verachtet von den Menschen, verachtet von Gott. Hier bleibt kein Raum für eine religiös überformte Deutung, Schubart legt in seine Zeilen alle Verachtung gegenüber absolutistischen Gewaltherrschern vom Typ eines Karl EugenEugen, Karl. Die Toten sind „Wüthrich[e]“, „Tirannen“ (dieses Wort fällt innerhalb von drei Strophen gleich zweimal!) und „Quäler“.

      Das Entscheidende dabei ist aber, dass SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel nun in den letzten vier Strophen von den toten bessren Fürsten in der Fürstengruft spricht und seinen Text keineswegs an lebende Potentaten adressiert und damit implizit die Frage stellt, ob es denn auch lebende „bessre Fürsten“ geben könne oder ein Fürst als absolutistischer Herrscher nur tot, eben ‚süße schlummernd‘, ein guter Fürst sei. Diese ‚Adressierungslücke‘ schließt SchillerSchiller, Friedrich dann mit seinem Gedicht Die schlimmen MonarchenDie schlimmen Monarchen. Schubart setzt also darauf, dass die lebenden Fürsten sich nicht von seinem Gedicht angesprochen fühlen müssen. Die Realität hat ihn hier bitter belehrt, Herzog Karl EugenEugen, Karl nahm, wie Schubarts Sohn berichtet, die FürstengruftDie Fürstengruftzum Anlass, die bevorstehende Entlassung aus der Haft zu widerrufen und Schubarts Kinder zu schikanieren. Das Gedicht Die Fürstengruft kann somit als eine nekrophile Kontrafaktur zur Realpolitik des Absolutismus der Aufklärung gelesen werden.

      AufklärungAufklärung hatte Schubart als „stolze[s] Wort“39 bezeichnet, das der Leser mit Begeisterung nachspreche, und das der Autor schon sehr nahe wähnt, bald werde „ganz Deutschland den Strahlenscepter der Aufklärung“40 küssen. Im Journal von und für Deutschland von 1785 wird unter der Überschrift Das erleuchtete JahrhundertDas erleuchtete Jahrhundert allerdings die schon wesentlich kritischere Anekdote erzählt:

      „In einem der größten Opernhäuser Deutschlands hatte der Baumeister nichts vergessen, als daß das Gebäude zu Winterlustbarkeiten bestimmt war. Vor wenigen Jahren wurde darin, einem hohen Gaste zu Ehren eine große Opera in der Mitte des Jänners aufgeführt, und, um das prachtvolle Schauspiel noch prächtiger zu machen, der Saal mit einigen tausend Wachskerzen erleuchtet.

      Ein Hofschranze befürchtete, daß dieser Aufwand einem von den fremden Zuschauern unbemerkt bleiben möchte, und fragte ihn: ob er noch irgendwo in der Welt eine so herrliche Beleuchtung angetroffen hätte?

      Nirgend, antwortete der Fremde, habe ich das Auszeichnende unsers Jahrhunderts so lebhaft empfunden, als hier. Ich erblinde vor Glanz, und erstarre vor Kälte.“41

      Sinnfälliger lässt sich kaum die Diskrepanz beschreiben, mit der bereits die Zeitgenossen AufklärungAufklärung als Programm und als Lebensform empfanden. Ein mutmaßlich unaufgeklärter Fremder bringt auf den Begriff, was der vernünftigen Aufklärung und ihrer begrifflichen Vernunft zu begreifen unmöglich war. Was der Mensch unmittelbar bedürfte, in der kalten Jahreszeit sich zu wärmen, bietet sie nicht, und, bleibt man im Bild, auch die Wachskerzen sind einmal niedergebrannt und die Dunkelheit wird wieder um sich greifen. Solange es jene „Tirannen“ gibt, die SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel in der FürstengruftDie Fürstengruft in den „Kerker“ schickt, so lange werden „Genie und Weisheit darben“ müssen, solange wird es keine Aufklärung geben.

      Kurz vor seinem Tod hat Schubart bilanziert, was gewiss auch als eine seiner Charaktereigenschaften bezeichnet werden kann. In einem Brief an Ludwig SchubartSchubart, Ludwig Albrecht vom 16. Februar 1791 schreibt er: „Wenn man so bekannt ist, wie ich; so kann man nicht mehr ganz unpartheiisch seyn.“42 In den Briefen, insbesondere im Briefwechsel mit seinem Sohn Ludwig Albrecht, zeigt sich ein durchaus anderer, politisch sehr engagiert argumentierender Schubart. Vor allem die Ereignisse im revolutionären Frankreich des Jahres 1789 nötigen ihm immer wieder Bekenntnisse und Kommentare ab, die öffentlich getan ihm schnell das Etikett einer jakobinisch gesinnten Einstellung hätten einhandeln können. Seit 2006 liegt der vollständige Briefwechsel – zumindest soweit er erhalten geblieben ist – Schubarts vor und muss zur Beurteilung der Person und des Werks herangezogen werden, will man nicht diese Seite des Autors ignorieren.

      Am 15. August 1789 etwa ist zu lesen: „Jetzt, da die Freiheitsgluth so weit um sich frißt, da es scheint, das menschliche Geschlecht wolle den Tirannen die Ketten ums Ohr schmeissen; […]. Mein Gott, was für eine armseelige Figur machen wir krumme und sehr gebükte Deutsche – iezt gegen die Franzosen! […]. O Deutschland, wie tief bist du gefallen!! – –“43 Das Gedicht FreiheitFreiheit (1789) liest sich dann schon wieder wie eine Kontrafaktur zum Briefwechsel. Hier warnt Schubart vor revolutionärem Umsturz: „Ein Volk, bespritzt mit Blut, verdient nicht frei zu sein, / In härtre Sklaverei stürzt es sich selbst hinein.“44 Und über seine Landsleute schreibt er öffentlich in dem Gedicht Der DeutscheDer Deutsche (1790), im Ton eher beschwörend als beschreibend: „Gott liebt er, ist den Obern treu / Wie Gold – und doch kein Sklav dabey.“45 Am 17. September 1789 heißt es, wiederum in einem Brief an den Sohn: „Heil mir, daß ich die Zeit erlebte, wo man das schändliche Büken und Beugen u. Krümmen vor den Feudegöttern [!], die so wohl wie unser Eins auf den Nachtstuhl müßen, für Idololatrie hält.“46 Der Kommentar zum Briefwechsel mutmaßt plausibel in dem Wort „Feudegötter“ eine Wortneuschöpfung Schubarts, die semantisch den Feudalismus aufruft. Im Brief an den Straßburger Jakobiner Andreas MeyerMeyer, Andreas vom 4. Juli 1791 nennt SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel dessen politische Vision gar eine „Vorempfindung des Reichs Gottes“47, um wenige Tage später, am 9. Juli 1791, einen Monat vor seinem Tod, seinem Sohn folgendes Bekenntnis abzulegen: „In der politischen Welt sieht es jämmerlich aus. Ich sehe in diesem Toben der Völker, in diesem Freiheitsgebrülle, in diesem überhandnehmenden Ungehorsam gegen göttliche und weltliche Geseze, die Nacht der Zerrüttung und Barbarei sich nähern. […] Kein Staat hat in diesem ganzen Jahrhundert,


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