Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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habe (vgl. Br, S. 133). Merck bescheinigt dem Vorbildpoeten zwar einen klaren und hellen Menschenverstand, gleichwohl rügt er dessen Weltkunde und Weltkälte. Den Dichter Matthias ClaudiusClaudius, Matthias charakterisiert Merck übrigens im Kontrast zu Klopstock als trefflich und selbstständig, er sei Klopstock im Äußeren nicht unähnlich, „nur mehr Poetische Laune u. Leichtigkeit“ (Br, S. 149). Ende 1777 spricht Merck schon von der ‚Klopstockischen Sekte‘, die sich in der deutschen Literatur Gehör verschaffe. Er rechnet Wielands Poesie zu diesem leidigen Luxus, die Porzellanarbeiten gliche, zerbrechlich, aber schön, kunstvoll, aber unnütz (vgl. Br, S. 165). Das „Poetische Schmeißland“, heißt es an WielandWieland, Christoph Martin am 8. Mai 1778, werde zum Teufel gehen, „wir sind alle so wenig Poeten, daß uns jeder französische Valet darin zuvorthut, u. doch will jeder Esel, der in den Mond schauen kann, einer seyn“ (Br, S. 178). Im selben Jahr schimpft MerckMerck, Johann Heinrich auch auf das empfindsameEmpfindsamkeit ‚JacobiJacobi, Friedrich Heinrichsche Zeug‘, das ebenfalls kein Mensch brauchen könne (vgl. Br, S. 176). Wenig später heißt es gar, die Jacobis seien Scheißkerle (vgl. Br, S. 191), unausstehlich eitel. Am 30. November 1778 schreibt Merck an Wieland: „Gott gebe Dir zum Poemate langen Muth, u. liebende Gedult […]. Ich denke alle die schiefe Kerls von Mr. KlopstoksKlopstock, Friedrich Gottlieb Suite werden zusammt dem Wesentl.en ihrer Religion in 20 Jahren verstäubt seyn, daß man sich einander wird ins Ohr erklären müssen, was das vor eine Art von Poesie war“ (Br, S. 205). Früher sei dies Wortschwulst gewesen, nun müsse man von Gedankenschwulst sprechen, der gerne als Tatenschwulst ausgegeben werde. Die national-chauvinistische Attitüde dieser Dichtung werde sich hoffentlich nicht durchsetzen und nur auf dem Papier stehen bleiben. Merck bezieht also unzweifelhaft und in der Wortwahl sehr deutlich Position: Aus der Lektüre schöner Schriften entstehe ein empfindsamer Platonismus, den er stürzen wolle. Dies betreffe vor allem die Mond- und Liebesgedichte und den „Klopstokischen Fraß“ (Br, S. 207), so ist es in einem Brief an Wieland vom Januar 1779 zu lesen. Mercks Klopstock-Ära, seine empfindsame Phase und mithin die Zeit seiner lyrischen Produktion ist mit diesen deutlich distanzierenden Bemerkungen nun endgültig vorbei.

      Mit der Verssatire Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem JüngerenRhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem Jüngeren (1773), die von HerderHerder, Johann Gottfried postwendend parodiert wird,36 bekennt sich Merck am Ende seiner Dichterkarriere noch einmal als Poet. Die ersten acht Zeilen lauten:

      „Der Herrn Poeten giebt es viel.

      Zehn fehlen, Einer trifft das Ziel.

      Mein liebes Deutschland hast du denn

      Drey Dichter auf einmal gesehn?

      Es trägt in funfzig Jahren kaum

      Ein Sprößchen unser Lorbeerbaum.

      Doch greift darnach ein jeder Thor

      Als käms aus allen Hecken vor.“ (W, S. 155)

      Nach der Poetenware frage man nicht, fährt MerckMerck, Johann Heinrich fort, um dann einige Ratschläge für junge Dichter zu geben. Man stehe früh auf, rufe die Musen an, meditiere und beginne zu schreiben:

      „Streich aus, schreib drüber, corrigire,

      Setz zu, schneid ab, und inserire,

      Und will es gar an einem Ort

      Mit der Erfindung nicht mehr fort,

      So kratz dich hier, und kratz dich dort.“ (W, S. 157)

      Natürlich orientiert sich Merck an SwiftSwift, Jonathan,37 doch das sind fast schon Wilhelm-Busch-Busch, WilhelmTöne, die er da anschlägt. Die Lehre seiner Satire heißt immerhin: „Und jeder kleinere Poet / Beißt immer den, der vor ihm geht“ (W, S. 162). Insgesamt unterstreicht der satirische Ton aber die innere Distanz des Autors zu seinem Medium. Dies lenkt den Blick auf poetologische und poesietheoretische Überlegungen, die Merck vornehmlich in seinen Briefen anstellt, und die möglicherweise die Frage beantworten können, weshalb Merck seine lyrische Produktion abbricht.

      Mercks Gedichte sind insgesamt mehr traditionell als innovativ. Verglichen mit den marktgängigen Konkurrenten eines LessingLessing, Gotthold Ephraim, GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig, HagedornHagedorn, Friedrich von oder GoetheGoethe, Johann Wolfgang liegt es nahe, von einer Selbsteinsicht Mercks in die Unzulänglichkeiten seiner eigenen poetischen Produktion zu sprechen. Doch greift dies zu kurz. Mercks Verzicht auf eine Tätigkeit als Lyriker ist eine grundsätzliche, möglicherweise auch eine existenzielle Entscheidung. Als These könnte man formulieren: Der Verzicht Mercks, von einem bestimmten historischen Moment an weiterhin Gedichte zu schreiben, beruht auf der prinzipiellen Einsicht in die Wirkungs- und Folgenlosigkeit der Poesie. Mercks Verzicht bedeutet eine Protesthaltung gegen die Massenware seiner Zeit. Die Bedeutung der Lyrik in Mercks Oeuvre liegt vor allem in Mercks signifikanter Abwendung von der Lyrik. Der Poet Merck legt die Feder aus der Hand, ohne dass wir verlässlich wissen, worauf diese Entscheidung beruht. Vom April 1776 jedenfalls stammt sein äußerst entschiedener Ausruf: „Der Teufel hole die ganze Poesie“ (Br, S. 147). Allerdings finden sich in demselben Brief auch die beachtlichen Worte: „Wir sind doch nur in so fern etwas, als wir was für andere sind“ (Br, S. 147). Diese Koppelung des eigenen Selbstbewusstseins an die Wertschätzung durch andere führt im Umkehrschluss dazu, dass die mangelnde Wertschätzung der eigenen Poesie erheblich die produktive Antriebskraft mindert. Dieser Wandel spiegelt sich wiederum in MercksMerck, Johann Heinrich sich rapide verändernder Wertschätzung KlopstocksKlopstock, Friedrich Gottlieb.

      Das führt zur grundsätzlichen Betrachtung von Mercks Poetologie. In dem fiktiven Dialog Ein Gespräch zwischen Autor und LeserEin Gespräch zwischen Autor und Leser (1780) moniert er, dass man in Deutschland so wenig an den Einfluss der Intellektuellen auf das gesellschaftliche Leben glaube (vgl. W, S. 422). In demselben Dialog plädiert er auch für eine strikte Trennung von Werk und Biografie eines Autors. Ob Fürst oder Autor, schreibt er in einem Brief, er wünsche sich von guten Menschen, für gut gehalten zu werden, ungeachtet von Amt und Ansehen (vgl. Br, S. 45). So kritisiert er etwa an dem Halberstädter Vater-Dichter GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig, er habe es nicht verstanden, dass seine Darmstädter Freunde „den Autor von dem Menschen absonderten“ (Br, S. 55). In dieser Trennung von Autor und Werk zeigt Merck übrigens eine erstaunliche Nähe zu LessingsLessing, Gotthold Ephraim siebtem LiteraturbriefLiteraturbrief (1759), worin es heißt: „Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuholen“38. Man kann diese Passagen durchaus als eine sehr frühe radikale Abkehr jeglicher biografistischen Methodik in der Wissenschaft verstehen. Mehr noch, Merck hält auch die Frage nach der Werkintention und der Wirkungsabsicht eines Kunstwerks für völlig belanglos und nähert sich damit erheblich den Überlegungen eines Karl Philipp MoritzMoritz, Karl Philipp zur Kunstautonomie in dessen Schrift Über den Begriff des in sich selbst VollendetenÜber den Begriff des in sich selbst Vollendeten (1785). So betrachtet sind Mercks poetologische Reflexionen erstaunlich modern.

      Von der grundsätzlichen Befähigung seiner Landsleute zum Dichten hat Merck wenig gehalten. Über den Deutschen schreibt er in einem Beitrag für LavaterLavater, Johann Caspars Physiognomische FragmentePhysiognomische Fragmente etwa, sein lyrischer Geist wandle auf einsamem Pfad, „daher die großen oft gigantesken Gesinnungen; aber selten der helle Blick des Traumes und der lebhaften Erscheinung“ (W, S. 364). In dem Aufsatz An den Herausgeber des T.[eutschen] M.[erkur]An den Herausgeber des T.[eutschen] M. [erkur] (1777) bemerkt er kritisch über den Bildungsnotstand: „Wenn von der Literatur eines Landes die Rede ist, so fragt man nicht, wie ansehnlich die Bibliothek des Fürsten seye, sondern welche Masse von Kenntnißen unter den Privatleuten circulire“ (W, S. 374). Merck spricht in diesem Zusammenhang von der „Kultur der Kunst“ (W, S. 374), die er als ein „Stück der Sitten-Masse meiner Zeitverwandten“ (W, S. 374) begreift. Er klagt über die Geringschätzung, welche Kunst und Literatur seiner Zeit durch die Zeitgenossen erführen. Auch dies ist eine ebenfalls völlig zeitlose und somit aktuelle Klage. Dass MerckMerck, Johann Heinrich dabei einen textualistischen Kulturbegriff zugrunde legt, wonach beispielsweise ein Gemälde als Text begriffen werde und als ein Text zu lesen und zu verstehen sei, ebenso wie man menschliche Verhaltensweisen und Umgangsformen „Buchstabe vor Buchstabe“ (Br, S. 136) lesen könne,


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