Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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usf. Daneben greift MerckMerck, Johann Heinrich auch auf mythologische und historische Themen zurück, wie beispielsweise Sokrates, und Antisthenes, Der Gott Merkur und Amor, Prometheus und Jupiter, Pyrrhus und Xerxes. Mercks Fabeln sind Lehrfabeln, ohne dass sie sich in einem Tugendmoralismus erschöpfen. In dem Gedicht Der Mönch und die Junge FrauDer Mönch und die Junge Frau, worin der Geistliche seine Worte so verdreht, dass seine Verführungsabsichten camoufliert werden, ist weniger die Handlungsintention des Mönchs entscheidend als vielmehr die diskursive Gewalt, die er gegenüber der unwilligen, weil unverständigen Frau aufbringt. Am Ende spricht das lyrische Ich – und wir können darin durchaus den Autor selbst erkennen:

      „So sieht ein jeder das, was er zu sehen hofft,

      Und so betrügen wir uns offt.

      So geht die Wahrheit stets verlohren,

      Zwey Critiker beweisen, schimpfen sich,

      Ein Jeder glaubt: die Wahrheit nur seh ich.

      Und ich, ich seh zwey Thoren“ (W, S. 54).

      Der politische Inhalt der meisten von Mercks Fabeln ist evident. Ich will in diesem Zusammenhang nur an zwei Äußerungen Mercks erinnern. Einmal verwendet er den Begriff der „KönigsSau“ (Br, S. 150), um den landgräflichen Autokraten zu kennzeichnen. Und zum zweiten notiert Merck nach dem Tod der Landgräfin, der Ton sei nun abscheulich geworden, das ganze Land seufze unter dem „Despotismus“ (Br, S. 157) des Landesherrn und seiner Vasallen. Mehr denn je ist Merck nun, 1777, darauf angewiesen, Kontakt mit Freunden brieflich herzustellen und zu pflegen (vgl. Br, S. 159). Fremde beträten kaum mehr Darmstädter Boden. „Ich bin hier in der hundetummsten Gesellschafft, u. höre das Jahr durch kein Wort, das mich freut. Es ist also kein Wunder, wenn ich ganz u. gar versaure“ (Br, S. 200f.), klagt er in einem Brief an Wieland vom 7. November 1778. Darmstadt nennt er gar den Lumpenort, er spricht von der elenden Lage „unsers lieben Örtgens […], wo man nichts als dummes Zeug sieht u. hört“ (Br, S. 207).

      Schon Bräuning-Oktavio hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Mercks Fabeln soziale, ethische und politische Fragen enthalten.22 Ein unvoreingenommener Leser kann dem nur zustimmen, und es nimmt auch nicht wunder, dass dem so ist, dient doch die Gattung der Fabel seit ihrer äsopischenÄsop Gebrauchsform auch als Medium der teils subtilen, teils deutlichen Machtkritik. Im Jahrhundert der AufklärungAufklärung erlebt diese Gattung eine förmliche Renaissance und Weiterentwicklung. Man hat dies in der Forschung u.a. auch mit der Emanzipationsbewegung des BürgertumsEmanzipation des Bürgertums zu erklären versucht.23 So ruft denn der Fabeldichter MerckMerck, Johann Heinrich den Königen zu: „Ihr Wort kann alles – nur allein / Den innern Werth kans nicht verleyhn“ (W, S. 56). An anderer Stelle, in einem Streitgespräch zwischen Springbrunnen und Bach, argumentiert der Brunnen, dass er Teil der höfischen Repräsentationskunst sei, der Bach hingegen nur dem Pöbel diene. Der Bach erwidert, niemals wolle er mit dem Springbrunnen tauschen, denn so hoch dessen Strahl steige, so tief sei auch sein Fall (vgl. W, S. 58f.). In der Fabel Der Hund, das Pferd und der StierDer Hund, das Pferd und der Stier beklagen sich diese drei Tiere bei Zeus darüber, dass sie unglücklich mit ihrem Los seien. Der Hund moniert, stets treu und wachsam zu sein und dafür von seinem Herrn an die Kette gelegt zu werden. Zeus verspricht ihm eine Sklavenmoral, zukünftig solle der Hund gerne an der Kette liegen. Der Hengst fürchtet, jetzt zwar noch als Reittier gebraucht zu werden, dann aber als Ackergaul zu enden. Zeus beruhigt ihn, er gebe ihm das Bewusstsein seiner Stärke, jederzeit könne er zukünftig seinen Reiter abwerfen. Schließlich tritt der Stier hervor, er beklagt, dass er zu jeder Jahreszeit schwere Arbeit leisten müsse und diese stetig zunehme. Der Göttervater verleiht ihm die Eigenschaften der Trägheit und der Langsamkeit, um sein Joch zukünftig geduldiger zu tragen. Das Fabula docet am Ende enthält den Schlüssel zur politischen Lektüre dieser Fabel und hat folgenden Wortlaut:

      „Wer sieht in diesem Bild nicht die polit’sche Sitten

      Der Deutschen, Frantzen und der Britten,

      Da ists die Freyheit, die der Bürger Hertz erhitzt,

      Dort ists die Liebe zu den Potentaten,

      Und hier die Trägheit, die den mächtigsten der Staaten

      In seiner alten Form beschützt“ (W, S. 91f.).

      Die Frage ist nur, welchem Sinnbild welche Nation zugeordnet wird.

      Die Fabel Der Löwe und der BucklichteDer Löwe und der Bucklichte indes kann als eine Parabel auf MercksMerck, Johann Heinrich Leben als Autor gelesen werden:

      „Der Löw verließ von Wuth entbrannt,

      Sein Lager, um den Thäter zu entdecken,

      Der seine Jungen ihm entwandt,

      Sein Schmertz erfüllt das Land mit Schrecken,

      Itzt traf er einen häßlich Kleinen Mann,

      Der Bucklicht war, im Walde schlafend an.

      Sein Grimm, geschäfftig sich zu rächen,

      Weckt bald den Armen Fremdling auf.

      ‚Wer bistu Freund? – du willst nicht sprechen?

      Erschrocken sah der Fremdling auf:

      Ich bin Aesop. – ‚Aesop?

      ‚Der Richter über Ruhm und Lob?

      ‚Dich muß ich wol zufrieden lassen,

      ‚So schlecht es mir auch itzt gefällt,

      ‚Wenn ich nicht will, daß noch die spätste Welt

      ‚Mich soll als einen Wütrich hassen.

      Ihr, die ihr von Natur nicht menschenfreundlich seyd,

      Ihr Grossen seyds, weil es die Klugheit euch gebeut.

      Beschützet das Talent, den Redner und den Dichter

      Sie geben die Unsterblichkeit.

      Die NachWelt, die nicht gern verzeyht,

      Hört sie allein, als eure Richter.“ (W, S. 100)

      Der Dichter als Bucklichter, in der Gestalt des Fabeldichters ÄsopÄsop, kann nicht auf Schutz und Förderung durch seinen Landesherrn hoffen. Zugleich ist ihm, dem Autor Merck, diese Aufgabe zu gering, nur für die Unsterblichkeit und den Ruhm der Mächtigen zu sorgen. Welche Konsequenz Merck aus dieser Einsicht gezogen hat, können wir nur vermuten. Tatsache hingegen ist, dass Merck plötzlich aufhört Fabeln zu schreiben. Weshalb? War es die Erkenntnis der so oft beschworenen Wirkungslosigkeit der Literatur? Waren seine Fabeln gelehrte Spielereien mit einer antiken Tradition? Oder war es die Einsicht, dass die Adressaten seiner Fabeln sich nicht um die politische Intention oder kritische Programmatik dieser Art von Literatur scherten?

      Im 18. Jahrhundert können wir eine rege Gattungsdiskussion der Fabel beobachten. Der prominenteste Vertreter ist zweifelsohne LessingLessing, Gotthold Ephraim, doch dürfen dabei die zeitgenössisch breit rezipierten, anderen Fabeldichter und Fabeltheoretiker nicht übersehen werden, wie beispielsweise de La MotteLa Motte, Antoine Houdar de, La FontaineLa Fontaine, Jean de, LichtwerLichtwer, Magnus Gottfried, PestalozziPestalozzi, Johann Heinrich, PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad, GellertGellert, Christian Fürchtegott, HagedornHagedorn, Friedrich von, BreitingerBreitinger, Johann Jakob, BodmerBodmer, Johann Jakob, TrillerTriller, Daniel, GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig und GottschedGottsched, Johann Christoph. Gellert habe sogar, so konnte Bräuning-Oktavio nachweisen, in seinen letzten Vorlesungen 1769 die Fabeln Die Fichte und die EicheDie Fichte und die Eiche und Die Tanne und die EicheDie Tanne und die Eiche von Merck als beispielhafte Muster dieser Gattung vorgetragen.24 Doch anders als Gellert reduziert MerckMerck, Johann Heinrich nicht die Inhalte seiner versifizierten Fabeln auf ein tugendpädagogisches Programm. Und Merck setzt sich auch in Widerspruch zu LessingLessing, Gotthold Ephraim. Waren also die Fabeln Mercks möglicherweise eine Reaktion auf Lessings Fabeltheorie? Ohne hier nun einen akademischen Streit nur beginnen, aber nicht mit guten Argumenten zu Ende bringen zu wollen, sei wenigstens so viel gemutmaßt: Mercks versifizierte Fabeln können – und das wäre in der Forschung ein Novum – als Kontrafakturen


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