Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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ersetzt werden müßten“34. Das strukturfunktionalistische Konzept stellt neben die Analyse der Prozesse von Differenzierung und Integration der diversen Systeme und Subsysteme die Untersuchung der Geschichte von FunktionenFunktion der Literatur, Normen und Institutionen der LiteraturLiteratur.35 Ergänzend neben die eigentliche Systemgeschichte tritt damit eine zu erarbeitende Funktionengeschichte, Normgeschichte und Institutionengeschichte. Eine Sozialgeschichte der Literatur wird als eine „Geschichte der Prozesse, Strukturen und Funktionen im ‚Sozialsystem Literatur‘“36 definiert. Der Funktionswandel betrifft hauptsächlich die kommunikativen Funktionen der Literatur, er bezieht sich auf

      „die Austauschbeziehungen zwischen Bedürfnissen und Fähigkeiten, Erwartungen und Absichten der Aktoren; als Geschichte der literarischen Rollenbilder und Handlungsmuster; mit Blick auf die literarischen Institutionalisierungen und literaturbezogenen Institutionen; als Geschichte der Austauschbeziehungen und Abgrenzungen zwischen den Handlungsbereichen von Produktion, Distribution, Rezeption und Verarbeitung von Literatur; in Orientierung an der Entwicklung und Durchsetzung bestimmter literarischer Normen (und ihrer Vermittlung mit sozialen Normen); als Geschichte der Austauschbeziehungen und Abgrenzungen zwischen Kommunikationsräumen und Teilsystemen des ‚Sozialsystems Literatur‘ sowie – intersystemisch – als Geschichte der Austauschbeziehungen und Abgrenzungen des ‚Sozialsystems Literatur‘ gegenüber anderen Systemen in der Gesamtgesellschaft“37.

      Bei diesem Stand der Theoriediskussion hatten sich bereits zwei gravierende Vorannahmen theoretischer Art eingeschlichen, deren Herkunft aus einer systemtheoretisch gewendeten Empirischen Theorie der Literatur (ETL) deutlich wird. Nun ist erstens nicht mehr die Rede von Texten, sondern von literarischen Handlungen, und zweitens wird neben der ProduktionProduktion, der DistributionDistribution und der RezeptionRezeption von Literatur ein vierter kommunikativer Handlungsbereich angesetzt, nämlich die Verarbeitung. Dies bedeutet eine handlungstheoretische, differenzqualitative Vorentscheidung, indem Verarbeitung als eigenständiges Handlungsmuster von Literatur evaluiert, aber nicht begründet wird. Dieses Manko wird erkannt und daher nachdrücklich dessen Kompensation gefordert. Im Vorwort zum ersten Band des Konzeptes einer Empirischen Theorie der Literatur ist zu lesen:

      „Als Gegenstandsbereich einer Empirischen Literaturwissenschaft wird hier der Gesamtbereich sozialer Handlungen an und mit sogenannten literarischen Werken angesetzt. Damit richtet sich dieses Buch schon vom Ansatz her gegen jede Ontologisierung literarischer Werke und gegen jeden Primat der sogenannten Interpretation als literaturwissenschaftliche Hauptaufgabe“38.

      Dass dies letztlich auf eine Vorzensur (im Interesse der ETL) der ‚sinnvoll stellbaren Fragen‘ an einen TextText hinausläuft, lässt sich nicht verhehlen.39 Wenn so gegen die interpretatorische Praxis argumentiert wird, muss die Bemerkung erlaubt sein, dass eine Theorie ebenso wie ein literarischer Text verstanden werden müssen und die bloße Negation von VerstehenVerstehen nicht das Problem löst. Zugespitzt formuliert, wenn wir nicht in der Lage sind, mit einer systemtheoretischen Theorie – denn um einen solchen Doppelkopf handelt es sich ja bei allen Adaptionsversuchen – beispielsweise ein BarockgedichtBarock, ein Sturm-und-Drang-DramaSturm und Drang oder einen Gegenwartsroman zu interpretieren, ist sie wenig hilfreich. Überhaupt liegt in der Wahl der historischen Schnittstelle ein bislang nicht behobenes Problem, das auch von den Neuansätzen einer SozialgeschichteSozialgeschichte der LiteraturLiteratur nicht befriedigend gelöst worden ist. Vier elementare Handlungsrollen werden definiert, die ProduktionProduktion, die Vermittlung, die RezeptionRezeption und die Verarbeitung von literarischen Kommunikaten, wie Texte genannt werden.40 Eine handlungstheoretische Begründung bleibt aus. Die LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte wird, ebenso wie die Textinterpretation, aus dem Gegenstandsbereich der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft hinauskomplimentiert. „‚Literarhistorie in der ETL‘ bedeutet: Erforschung der Geschichte aller in der ETL konzipierten Elemente des Systems LITERATUR im Kontext der übrigen gesellschaftlichen Systeme in einer Gesellschaft G bzw. in einer Menge von Gesellschaften {G1, …, Gn}“41. Gegen dieses systemtheoretische Modell lassen sich zwei entscheidende Einwände formulieren. Erstens, das kybernetische Black-Box-Modell, mit dem die Systemtheorie arbeitet, taugt nicht zur Erklärung literatur- und sozialgeschichtlicher Prozesse. Damit hängt zweitens zusammen, der Verzicht auf Selbstbeobachtung (intrasystemisch wie extrasystemisch) zeitigt fatale Folgen. Der Beobachterstatus mutiert zu einem logischen Unding. Selbst Teil eines Subsystems (Kunst, Wissenschaft) vermag es dennoch Aussagen komplexer Art über das Gesamtsystem zu treffen. Im Gegensatz dazu wird im strukturfunktionalistischen Modell an der Einsicht in die Schieflage des handlungstheoretischen Modells festgehalten. Literatur ist und erzeugt eine asymmetrische Kommunikationssituation, wenn Literatur als literarische Kommunikation im Sinne einer Handlung der Sinnverständigung begriffen werde.42 Hier lag ein Schwachpunkt dieses Arbeitskonzeptes, das sich gelegentlich durchaus auch als heuristisches Konzept belastbar zeigte. Zu Recht wird aber der Totalitätsanspruch der ETL zurückgewiesen,43 deren Theorieanspruch auf formaldefinitorischen und nicht auf analytischen Aussagen beruhe.44

      Allgemein lassen sich für eine Sozialgeschichte der Literatur vier programmatische Punkte formulieren. Erstens, eine Sozialgeschichte der Literatur untersucht Texte (in die Systemsprache übersetzt sind dies literarische Kommunikationshandlungen) im Hinblick auf die vier differenten Handlungsbereiche von Produktion, Distribution, Rezeption und Verarbeitung. Allerdings bleibt unklar, in welcher Hinsicht diese Handlungsbereiche different sind, ob gesellschaftlich, historisch, diskursiv oder vom Status der theoretischen Explikation her gesehen. Zweitens, eine Sozialgeschichte der Literatur untersucht die differenten Kommunikationsräume und Teilsysteme des Sozialsystems Literatur. Drittens, eine Sozialgeschichte der Literatur untersucht die Spezifika und die Ergänzung des literarischen Handelns zu anderen Kommunikationshandlungen in anderen Sozialsystemen. Viertens, eine Sozialgeschichte der Literatur analysiert die Beziehung des Sozialsystems Literatur zu anderen Sozialsystemen im Makrosystem Gesellschaft.45

      Das Modell einer SozialgeschichteSozialgeschichte der LiteraturLiteratur will Monokausalität und Substanzialisierungen bei der Darstellung und Analyse historisch umfassender Prozesse abwehren.46 Obwohl eine Annäherung der Sozialgeschichte der Literatur an die ZivilisationstheorieZivilisationstheorie skeptisch beurteilt wird, ergäben sich an diesem Punkt Möglichkeiten einer Diskussion des Modells einer zivilisationstheoretisch ausgerichteten LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft auf der Grundlage der ZivilisationstheorieZivilisationstheorie von Norbert EliasElias, Norbert.47 Texte werden als „Träger einer spezifischen – literarischen – Kommunikationsleistung“48 verstanden, die allerdings weit über den Status eines reinen Informationstransports hinausgehen würden. Eine SozialgeschichteSozialgeschichte der Literatur – was so viel heißt wie eine Geschichte des Sozialsystems LiteraturLiteratur – operiere mit einem erweiterten Literaturbegriff, der die kanonisierten, sogenannten Höhenkammtexte ebenso mit einschließt wie die Trivial- und Gebrauchsliteratur. Berücksichtigt werden sollen auch literaturbezogene Handlungen aus den Handlungsbereichen ProduktionProduktion, DistributionDistribution und RezeptionRezeption der Literatur. Der Handlungsbereich Verarbeitung wird in diesem Zusammenhang nicht mehr genannt.49 Die Orientierung an Talcott ParsonsParsons, Talcott’ Beiträgen zur funktionalistischen Handlungstheorie bleibt aber die Basis einer Sozialgeschichte der Literatur. Skepsis formulieren die Autoren gegenüber der luhmannschen Systemtheorie, die mit einem ontologisierenden Begriff des Kunstwerks operiere. Abgrenzungen werden gegenüber BourdieusBourdieu, Pierre Feld-Konzept und der foucaultschenFoucault, Michel Diskursanalyse angemahnt.50 Doch gerade am Gebrauch des Institutionenbegriffs könnte sich eine gemeinsame Schnittstelle zwischen einer Sozialgeschichte der Literatur münchener Provenienz und der Diskursanalyse foucaultscher Provenienz ergeben.51 Allerdings wird definitorisch festgelegt, dass die parsonssche AGIL-Matrix (verkürzt gesagt: Wirtschaft, Politik, Recht/Sozialkontrolle, Kunst/Wissenschaft/Religion als Funktionsbereiche auf der Systemebene des Gesamtsystems Gesellschaft)52 Gültigkeit besitzt, und sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein selbstständiges Subsystem benennen lässt, nämlich als Sozialsystem LiteraturLiteratur. Die Vorbehalte gegenüber dem handlungstheoretischen Defizit des systemtheoretischen Ansatzes sind nun aufgegeben. Stattdessen wird festgelegt:

      „Literarisches Handeln ist eine Funktion von übergreifenden gesellschaftlichen Konstellationen und Prozessen, und es hat eine Funktion für die Situierung und Veränderung von gesellschaftlichen Vorgängen;


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