Briefe an Thomas Bernhard. Anneliese Botond
Ende Februar nach Polen, dort lese ich »irgendwo« bei Lec vor; der an eine Übersetzung des Manuskripts »Frost« denkt; dazu bräuchte ich auch Ende Feber ein Exemplar.
Im Grunde kann ich gar nichts tun, denn ich habe das Manuskript gar nicht. Ich weiss gar nicht mehr, was in »Frost« steht.
Afrika wurde verschoben, weil sich die politischen Verhältnisse in Ghana |zu stark| verschoben haben. Aber ich gehe nach Afrika (im Flugzeug auf und ab). Nicht vor Herbst. Im März also bin ich in Polen, anschliessend, ab April, in der Türkei. Es ist aber möglich, dass ich im Mai nach Wien komme auf eine Woche, gerade zu der vorgesehenen »Pressekonferenz« in der Literaturgesellschaft [Gesellschaft für Literatur], die (trotz Unstimmigkeiten) aufrecht ist, wie alles andere mit Herrn Arnold in Wien (mit Dr. Kraus) Besprochene. Wie ich weiss, höre, wie mir gesagt wird … und ich könnte in dieser Woche (um den 10. Mai, auch nach Frankfurt und von dort zurück in die Türkei), wo ich gut und allein und einfach, wie ich mag, arbeiten und wohnen, leben kann am Bosporus und in Ankara.
Lieber Herr Schünemann, diese Zeilen sehr rasch, denn ich habe die Zeit, Ihre Fragen zu beantworten, schon überzogen.
Vielleicht kommen Sie im Mai nach Wien?
Diese Jahreszeit ist ungeheuer.
Stellen Sie sich Wölfe (slowakische Wölfe) vor, die in meine Schreiberei hineinbellen – husten – keuchen und sich verziehen.
Grüssen Sie bitte hunderttausendmal Frau Dr. Botond und Herrn Dr. Arnold, Herzlich
Ihr Thomas B.
Bitte schreiben Sie dem »Wort in der Zeit« (der dümmsten und hässlichsten und unappetitlichsten Zeitschrift, die es gibt) wegen eines Vorabdrucks im Aprilheft. Das Heft will. [Frost, »Erster Tag« und »Zweiter Tag«, erschienen in: Wort in der Zeit, H.6, 1963, S. 39-43]
[3; Anschrift: Wien; Briefbogen Insel-Verlag; 1 Bl. masch.]
Frankfurt am Main
11. 2. 63
Lieber Herr Bernhard!
Bei meiner Rückkehr aus der Schweiz – dort habe ich gesehen, wie die rüstigen Zürcher ein wahres Volksfest aus ihrer »Seegfrörni« machen;1 Schulkinder, Angestellte, alle habe frei, was nur irgend die Beine bewegen kann, läuft, rutscht, kraucht auf dem See herum, vor lauter Brandeifer ist eine ganze Maronihütte plötzlich im See verschwunden – bei meiner Rückkehr also fand ich Ihren Brief vor, und ich danke Ihnen sehr dafür. Beantworten kann ich ihn heute nicht. Sie schreiben, daß Sie Ende Februar nach Polen fahren werden. Das ist schön für Sie, ich aber denke nolens volens an das Praktische, nämlich an die Fahnen zu Ihrem Buch. Deshalb schicke ich Ihnen heute, entgegen dem durch Tradition geheiligten Insel-Brauch, die Fahnen – unkorrigiert. Je nachdem, wann Sie aus Polen zurückkommen, schicken wir Ihnen nachträglich unsere Hauskorrekturen (auch das Manuskript), damit Sie sie sehen. Es wird sich dabei ja nur noch um Winzigkeiten handeln, Buchstabenkorrektur, Interpunktion, vielleicht hier und da ein verändertes tempus. Sonst soll nichts mehr verändert werden. Ich habe mit dem Lesen schon begonnen und festgestellt, daß Ihr Buch, mindestens ebensosehr wie eines zum Lesen, eines zum Wiederlesen ist. Das ist schön. Gespannt bin ich, wie es dem hochgeschätzten »Bupfliko« gefallen wird. Nicht minder gespannt bin ich auf Ihr neues Buch.
Schreiben Sie mir doch bitte ein paar Zeilen, ob Sie vor Ihrer Reise nach Polen die Fahnen lesen und uns zurückschicken können und wann Sie selbst zurückkommen. Der Verlag kann ohne Daten nicht leben. Datophobie bei Autoren ist eines seiner Leiden.
Herzliche Grüße
Ihre
Anneliese Botond
Anlage mit getrennter Post
1 Schweizerdeutsch: Seegfrörni, das komplette Zufrieren eines Sees. A. B. erlebte die bislang letzte Seegfrörni des Zürcher Sees.
[4; Anschrift: Wien; Briefbogen Insel-Verlag; 1 Bl. masch]
Frankfurt am Main
18. Februar 1963
Lieber Herr Bernhard,
schönen Dank für Ihre Daten. Da Sie erst Anfang März nach Polen fahren, schicke ich Ihnen heute ein Exemplar »Frost« mit meinen Korrekturen und dazu das Manuskript, dieses aber mit Beschwörungen, daß Sie es uns vor Ihrer Abreise wieder zurückgeben. Der Korrektor braucht es, um festzustellen, ob die Druckerei alles gesetzt hat. Meine Korrekturen betreffen, wie Sie sehen werden, alle das etwas heikle Kapitel der indirekten Rede. Ich habe hier und dort noch einige Konjunktive gesetzt und glaube, daß es notwendig ist. Es ist auch hier wieder so: Das Gedruckte schreit lauter nach Korrektheit in dieser Hinsicht als das Manuskript. Ich hoffe, daß ich mit meiner frivolen Sorge um den Konjunktiv (frivol, wie wenn man vor einem brennenden Haus an seidene Strümpfe und Hutbänder denkt), nicht Ihren Zorn errege.
Ich schlage Ihnen vor, daß Sie Ihre Korrekturen in mein Exemplar übertragen. Sie können dann die beiden andern mit nach Polen nehmen. Wenn Lec die Übertragung übernähme, das wäre dann großartig!
Werner Honig wird ein Leseexemplar bekommen.1
Sie haben Ihre Stadt so energisch unterm Schnee sterben lassen und begraben. Ich dachte, das Leben, dieses zähe Luder, kann so mausetot gar nicht sein wie Ihre schöne weiße Wiener Hypermumie, und hab’s beim Zürcher Seegfrörni fröhliche Urständ feiern lassen. Der liebe Gott wird sich über meinen Beistand freuen.
Schönste Grüße
Ihre
Anneliese Botond
1 Werner Honig (1922-2006) gestaltete ab Ende 1946 beim NWDR-Köln die Abteilung »Künstlerisches Wort«. 1964 wechselte er zur Deutschen Welle.
[5; Anschrift: <Wien>; 1 Bl. masch]
22. 2. 1963
Arndtstr. 6
Lieber Herr Bernhard,
als passionierter Zeitungsleser werden Sie bereits wissen, wenn nicht, es gerüchtweise erfahren haben, was sich dieser Tage im Verlag ereignet hat. Ich will Ihnen noch einiges dazu sagen, privatim, offiziell ists kaum möglich, damit Sie Bescheid wissen. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, im Verlag herrsche Klarheit über die Lage, sicher ist immerhin dies:
Hirsch ist letzten Mittwoch in den Verlag eingezogen, als Mitbesitzer (neben Unseld und den Brüdern Reinhart in Winterthur) und Geschäftsführer. Der Leidtragende ist vor allem Arnold – er hats nicht verdient –, der bei der ganzen Sache schmählich überspielt worden ist und der nun auf den zweiten, dritten? man weiss nicht welchen Platz rücken wird, vorausgesetzt, dass er im Verlag bleiben wird, worüber er klugerweise Stillschweigen bewahrt.1
Sicher ist zweitens, dass Hirsch ausser Schwerin als Cheflektor2 eine Reihe von Mitarbeitern mitbringen wird. Welche, weiss man noch nicht, und so ist es ganz ungewiss, wer vom alten Stamm in der neuen Ära überleben wird, vorausgesetzt, dass es wünschenswert wäre, in der neuen Ära zu überleben. Mir jedenfalls ist es in dieser Atmosphäre der rasenden Gerüchte und Spekulationen, des Zähneknirschens und Messerwetzens nicht sonderlich wohl.
Was Sie betrifft, so sind Sie, ohne einen Finger zu rühren, zu Ihrem ersten Verleger zurückgekehrt (Sie sind mitverkauft, wie wir alle). Ob dies ein circulus vitiosus oder perfectus, Ironie oder tiefere Bedeutung ist, bleibe dahingestellt.
Zwar weiss ich nicht, welcher Stein über den anderen bleiben wird im Verlag, aber ich halte es für ganz ausgeschlossen, dass Ihr Buch von den Ereignissen betroffen wird. Soweit es an mir liegt, werde ich jedenfalls alles tun, dass es seinen vorgesehenen Gang nimmt. Alles