Briefe an Thomas Bernhard. Anneliese Botond
Anneliese Botond
|tristissima.|
1 Am 1. Januar 1963 erwarben Siegfried Unseld, Peter und Balthasar Reinhart sowie Rudolf Hirsch den Insel-Verlag. Zwischen 1963 und 1964 leiteten Hirsch und Unseld den Verlag zunächst gemeinsam, Ende 1964 schied Hirsch aus dem Verlag aus (siehe Brief 5, Anm. 1). Fritz Arnold (1916 - 1999) trat am 1. Januar 1956 als Lektor in den Insel-Verlag ein (zwischen 1952 und 1955 hatte er in derselben Funktion für die Fischer-Bücherei gearbeitet) und übernahm im Februar 1962 die Verlagsleitung. Nach seinem Ausscheiden Ende 1964 wechselte er 1965 zum Carl Hanser Verlag, München.
2 Christoph Graf von Schwerin (1933-1996) arbeitete zwischen 1956 und 1963 im S. Fischer Verlag, seit 1958 als Lektor für romanische Literatur; nach einem Gastspiel beim Insel-Verlag trat er 1964 eine Lektorenstelle im Droemer Verlag, München, an.
[6; Anschrift: Warzsawa, Stanisław Jerzy Lec, Rynek/Polska, Nowego Miasta 5/15; Briefbogen Insel-Verlag; 1 Bl. masch]
21. 3. 63
Lieber Herr Bernhard,
wie geht es Ihnen? Im polnischen Winter? Tauwetter? Frühling?, unter Leuten mit einer unverständlichen Sprache und sicher vielem Fremden, das erst entziffert sein will? Beflügeln die neuen Eindrücke das Sechsergespann des Gehirn-Fuhrwerks?
Ich melde mich bei Ihnen mit zwei Nachrichten: Der Verlag wird Ihnen, Ihrem Wunsche entsprechend, weitere 500.- DM überweisen, sobald Sie wieder in Wien sein werden. Von allen Arten von Schüssen sind die Vorschüsse ja wohl die angenehmsten, und ich schicke vorsorglich diesen (oder die Nachricht davon) voraus, damit er den nun folgenden Schreckschuß amortisiert:
Nämlich »Die Postaffaire«, die Sie uns für den »Almanach« geschickt haben, macht uns nicht recht glücklich. Vielleicht ist dieser Eindruck bei mir durch eine gewiße Ermüdung am »Frost«-Stil verursacht. Aber auch abgesehen davon bin ich ziemlich sicher, daß dieses Stück nicht zu Ihren besten gehört.1 Ich dachte mir nun, ob Sie uns nicht einen anderen Beitrag für den »Almanach« schreiben könnten, vielleicht in der Art jener kurzen Prosastücke, die im Fischer-Verlag gesetzt, aber nicht gedruckt worden sind, und die mir, wie ich Ihnen schrieb, sehr gut gefallen haben.
Damit würde auch gleich den geschätzten »Almanach«-Lesern ad occulos demonstriert, daß Sie keineswegs auf den einen»Frost«-Stil festgelegt sind, oder wie die Franzosen sagen: que vous avez plus d’un tour dans votre sac.2
Wollen Sie, können Sie uns ein solches Prosastück in absehbarer Zeit zur Verfügung stellen? Ich glaube, es wäre gut. Geben Sie mir bitte kurz darüber Nachricht und leben Sie wohl.
Mit herzlichen Grüßen
Ihre
Anneliese Botond
1 Th. B., Die Postaffaire, hat sich als Typoskript mit Korrekturen erhalten (SL 12 13/14).
2 Französisch: mehrere Trümpfe im Ärmel haben.
[7; Anschrift: c/o Stanislaw Jerzy Lec, Rynek Nowego Miasta 5/15, Warzsawa/Polska, 1 Bl.; masch Durchschlag]
[Frankfurt am Main]
9. April 1963
Lieber Thomas Bernhard!
Ich muss Sie heute wirklich um Nachsicht bitten: lesen Sie also diesen Brief erst, wenn Sie sich nachsichtig gesonnen fühlen – vorausgesetzt, dass das nicht allzu lange dauert.
Ich habe Sie um einen neuen Beitrag für den »Almanach« gebeten und Sie haben uns den sehr schönen »Bleistiftkönig« geschickt1 – wir jedoch haben uns inzwischen noch einmal etwas anderes ausgedacht. Die Sache ich nämlich die: ich hätte ja von Anfang an am liebsten ein paar von den kurzen Prosastücken, den »Ereignissen«, im »Almanach« gehabt, auf die ich irgendwie versessen bin, dachte aber immer, dass sie noch Eigentum des Fischer-Verlags seien. Aus einem Gespräch mit Herrn Dr. Hirsch, der diese Prosastücke auch ganz besonders schätzt, hat sich nun ergeben, dass Sie hier offenbar Fischer gegenüber keine Verpflichtungen mehr haben. Wenn Sie also einverstanden wären, uns ein paar dieser »Ereignisse« zu geben, so würden wir uns sehr darüber freuen. Dadurch würde im übrigen der Kummer mit dem Umfang, den wir bei jedem Heft des »Almanachs« haben, verringert. Aber der Hauptgrund ist doch der, dass diese Stücke wirklich besonders schön sind. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? Seien Sie es doch.
Und nun etwas anderes Wichtiges: wir werden Ihr Buch »Frost« voraussichtlich zwischen dem 10. und 13. Mai in Österreich ausliefern (in Deutschland aus Zeitgründen erst etwas später). Herr Schünemann hat bereits an Herrn Dr. Kraus geschrieben und ihn gebeten, er möchte doch die im Palais Wilczek geplante Lesung in die Zeit zwischen dem 13. und 18. Mai verlegen, d. h. noch vor Beginn der Festspiele. Herr Dr. Kraus wird jetzt für einige Zeit auf Reisen gehen, ich weiss also nicht, ob Sie jetzt Verbindung mit ihm aufnehmen können. Versuchen Sie es doch auf alle Fälle, und jedenfalls werden wir Ihnen Bescheid geben, sobald wir Nachricht von Herrn Dr. Kraus haben.2 In Deutschland werden wir wahrscheinlich gegen den 27. Mai ausliefern und dementsprechend Ihre Lesung in Frankfurt für Ende Mai bzw. Anfang Juni vorbereiten. Ich freue mich schon, Sie dann wiederzusehen.
Vor ein paar Tagen kam auch der Band der Neunzehn mit Ihrem »Briefträger« hier an. Ich schicke Ihnen drei Exemplare nach Wien. Ich danke Ihnen noch für Ihren letzten Brief und bin schon begierig auf weitere Berichte über das, was Sie in Polen gesehen, gehört und erfahren haben.
Mit herzlichen Grüssen
Ihre
[Anneliese Botond]
1 Th. B., Der Bleistiftkönig. Eine Kindheitserinnerung. EinTyposkriptfragment mit Korrekturen hat sich erhalten (Sl 11.13).
2 Th. B. las am 15. Mai 1963 in der von Wolfgang Kraus geleiteten Österreichischen Gesellschaft für Literatur (Wien). Rudolf Hirsch, der ebenfalls anwesend war, schrieb Th. B. am 30. Mai 1963: »[…] es war gut, Sie in Wien gesehen zu haben, und ich hatte den Eindruck, dass Sie selbst in einem schönen Sinn heiter waren. Die Atmosphäre während und nach der Lesung förderte das Gelingen des Planes, Sie im eigenen Lande, was oft das Schwerste ist, zu situieren. Inzwischen ist Ihr Buch ausgeliefert und wird also sein Schicksal haben.« Frost erschien am 29. Mai 1963. Neben Rudolf Hirsch waren A. B. und Fritz Arnold bei der Veranstaltung zugegen.
[8; Postkarte: »Besucht Österreich! St. Johann in Tirol«; hs]
[Wien]
15. IV. 63
Liebe Frau Dr. Botond,
ich bin in Unruhe über das Gesamtbild der Insel, weil ich keinerlei Nachricht in der immerhin mir entscheidenden Zeit erhalte. Ich hoffe, Sie haben meine vor 2 Wochen von hier abgeschickte Post bekommen. Ich bitte auch um den angekündigten Vorschuß sowie das »Briefträger«-Honorar.
Ich habe eine gute Arbeitszeit, bleibe vorläufig in Wien und grüße Sie herzlich
Ihr Thomas Bernhard.
P. S. Der 19zehner-Band ist sehr enttäuschend – aber das enttäuscht mich nicht. Was für ein Aufwand für Fast-Nichts. Arme deutsche Prosa! Was für Vorstellung von Prosa, von [...], von einer solchen erbärmlichen Sache die Leute doch haben!
[9; Anschrift: <Wien>; Briefbogen Insel-Verlag;