Wörterbuch alttestamentlicher Motive. Группа авторов

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christlichen Apokalyptiker, für die auch die oben beschriebenen Babylonbilder des AT rezipiert wurden. Letzteres gilt in besonderer Weise für die „Tochter Babel“ bzw. „Herrin der Reiche“ (Jes 47), die, schließlich aller Macht, Weisheit und Schönheit, aber auch des Mannes und der Kinder beraubt, nicht nur gedemütigt wird, sondern deren frühere Vorzüge nun zu Charakteristika ihrer Verderbtheit werden. In den aramäischen Danielerzählungen, in denen es um die Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes (→ Gott als König) angesichts der einander ab lösenden (vier) universalen Herrschaften menschlicher Machthaber geht, erscheint zwar nicht die „Hure Babylon“, aber doch (als erstes von vieren) das Ungeheuer Babylon (Löwe mit Adlerflügeln, die ihm ausgerissen wurden, auf zwei Beinen und mit menschlichem Herz: Dan 7), das allerdings weit weniger grässlich ist als das vierte Tier, das die leidvollen Erfahrungen der Juden mit dem zeit genössischen Seleukidenreich widerspiegelt. Nach Dan 7,9–14 wird die universale Herrschaft Gottes dem „Menschensohn“ übergeben, einer Art Mittler zwischen Gott und der Welt.

      Die Offenbarung des Johannes (Offb 13.17–19) fügt die vier Tiere (→ Tier) der Danielvision zu einem zusammen, das dem Meer entsteigt und auf dem die „Hure Babylon“ sitzt, mit der „die Könige der Erde Unzucht getrieben“ haben und von deren „Wein der Hurerei die Bewohner der Erde betrunken“ geworden sind: „Auf ihrer Stirn stand ein Name, ein geheimnisvoller Name: Babylon, die Große, die Mutter der Huren und aller Abscheulichkeiten der Erde“ (Offb 17,2.5). Der Apokalyptiker sieht dabei allerdings auch ihren – von den Königen, Händlern und Schiffsleuten der Erde beweinten – Untergang voraus (14,8; 18,2) und das Lamm trägt den Sieg über Babylon bzw. Rom (vgl. die sieben Köpfe des Ungeheuers = sieben Hügel Roms) davon. In Offb 18 schöpft der Seher einerseits aus den alttestamentlichen Babelorakeln (s.o.), zum anderen aus den Worten Ezechiels gegen Tyrus (Ez 26–27). Zu Recht hat die Forschung in den Bildern vom Ungeheuer aus dem Meer und von seinen Begleittieren (Drache, Schlange, weiteres Tier von der Erde) altorientalische Vorstellungen vom Kampf der Götter gegen das Chaos gespiegelt gesehen. Der „Hure Babylon“ war ein reiches Nachleben in der biblisch geprägten Tradition Europas beschert.

      5 Der Turmbau zu Babel – Das Menetekel

      Ähnlich verhält es sich mit der Erzählung vom Bau einer Stadt und eines Turmes „mit einer Spitze bis zum Himmel“, mit dem sich die Menschen, die alle ein und dieselbe Sprache haben, im Lande Schinar „einen Namen machen“ wollen, „um sich nicht über die ganze Erde zu zerstreuen“ (Gen 11,1–6). Gott hindert sie an ihrem Tun, bestraft sie – ähnlich wie Adam und Eva bei ihrem Versuch, Gut und Böse zu erkennen (Gen 2–3) – für ihre Hybris (→ Strafe, göttliche, für menschliche Hybris), damit ihnen etwas „unerreichbar“ bleibe, zerstreut sie über die ganze Erde und lässt sie nicht länger die Sprache der jeweils anderen verstehen (Gen 11,7–9). Unmittelbar darauf folgt allerdings die Erzvätererzählung, in der Gott einem auserwählten Volk in einem von ihm erwählten → Land eine Zukunft verheißt (Gen 12). Die Urgeschichte von Genesis 1–11 quillt über von Entlehnungen aus der mesopotamischen Mythologie und Vorstellungswelt, und es war die Aufdeckung dieses Sachverhalts, die um die Wende vom 19. zum 20. Jh. die europäische und vor allem deutsche Öffentlichkeit elektrisierte (EBACH 1998; LEHMANN 1994; 1999). Erst nach der Sprachverwirrung bekommt die Stadt des Turmbaus den Namen Babel, „denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut“ (Gen 11,9). Die hebräische Namensform Babylons (bāḇæl; akkadisch Bāb-ilī bzw. Bāb-ilāni) wird dabei in Verbindung mit der hebr. Wurzel bll als „verwirren“ gedeutet und zu einer antibabylonischen Polemik genutzt. Das wahre „Tor der Götter“ ist das „Haus Gottes“ und „Tor des Himmels“ (bêṯ-ʾel) in Gen 28,17–19. Zur Diskussion um Etemenanki, den realen „Turm zu Babel“, und seine angebliche Zerstörung durch Xerxes I. s. HENKELMAN/KUHRT/ROLLINGER/WIESEHÖFER 2011.

      Nach Dan 5 ist das „Menetekel“ eine unheilverkündende Warnung. In Deutschland wurde es vor allem durch Heinrich Heines Ballade popularisiert. Belschazzar ist in Dan 5 als Sohn Nebukadnezzars der letzte babylonische König, auf ihn folgen Dareios der Meder (WIESEHÖFER 2005) und Kyros der Perser. Historisch zutreffend ist jedoch Belschazzar der Sohn Nabonids. Nabonid kommt in der Bibel nicht vor. Nach Dan 5 erweist sich Belschazzar, anders als sein Vater Nebukadnezzar, der nach seiner Erfahrung der Allmacht des höchsten Gottes bereit ist, den Gott Daniels als seinen Gott zu akzeptieren und daraufhin sein Königtum zurückerhält, als Frevler, der die Jerusalemer Tempelgeräte für ein Gastmahl missbraucht. Als Folge davon erscheinen auf der getünchten Wand die von Geisterhand geschriebenen Worte, die von Daniel gelesen und als Warnung vor dem Verlust seiner Herrschaft gedeutet werden, der dann auch kurz darauf eintritt (in Dan 6). Historisch liegen dieser Erzählung die Auseinandersetzungen zwischen Nabonid, Belschazzar und den Eliten der Stadt Babylon zugrunde. Nabonid verehrte nicht den babylonischen Stadtgott Marduk, sondern den Mondgott Sîn von Harran. Kyros profitierte von diesen Auseinandersetzungen, ihm wurde Babylon kampflos übergeben (vgl. KUHRT 2007). Diese Ereignisse schlugen sich in den Kyros wohlgesonnenen Texten (Kyroszylinder, Nabonidchronik, Strophengedicht des Nabonid; Gebet des Nabonid: KRATZ 2006b; 2011) nieder. Hier wurde Kyros als Befreier Babylons gefeiert, der im Auftrag der babylonischen Götter den Gottesfrevel beseitigt und die Schuld sühnt (→ König, Gott als König). Parallel dazu feiert „Deuterojesaja“ Kyros als messianisches Werkzeug JHWHs (Jes 45,1). Zum historischen Übergang von der neubabylonischen zur teispidisch-achaimenidischen Herrschaft in Babylonien s. JURSA 2007.

      6 Exilserfahrungen

      Die oben bereits erwähnten Ratschläge Jeremias, sich in der Gola einzurichten und um des eigenen Überlebens willen das „Heil der Stadt“ Babylon zu suchen (Jer 29,5–7), und damit auch Nebukadnezzar als „Knecht Gottes“, als von Gott eingesetzten Herrscher, zu akzeptieren (Jer 27; vgl. Dan 2,37–38; 4,17–19), verwundern auf den ersten Blick (vgl. aber auch Kyros als „Messias“ in Jes 44,28; 45,1–7 sowie als „Knecht Gottes“ und Heilsherrscher in Jes 42,1–9; 49,1–6). Sie stehen aber in Einklang mit dem unerschütterlichen Vertrauen des Autors in Gott, der alles zum Guten lenkt, zumal die Herrschaft Babylons auf 3 Generationen (Jer 27,7) bzw. 70 Jahre (Jer 25,11; 29,10) begrenzt bleibt (zum Ende der Herrschaft Babylons vgl. auch Esra 1; Dan 6). Die politische Akzeptanz der Fremdherrschaft, zu der Jeremia auffordert, verhindert jüdischerseits nicht die Kritik an babylonischen Einrichtungen und Vorstellungen (Astrologie, Mantik usw.), denn allein der Gott Israels entscheidet über den Gang der Geschichte (Jes 41,1–7.21–29), und die babylonische Kultpraxis (Bilderdienst → Bild) ist einfach nur „lachhaft“ (KRATZ 2008, 563–566). Zusammen mit den verzerrten Bildern der griechisch-römischen Tradition (ROLLINGER 2008) hat diese biblische Polemik – bis zur Entdeckung der indigenen Zeugnisse – unser Bild vom babylonischen Kultvollzug bestimmt; erst durch die Forschungen der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie ist es in Frage gestellt worden (GRONEBERG 2004; MAUL 2008), ohne dass allerdings außerhalb der akademischen Welt die gängigen Stereotype wirklich haben ersetzt werden können.

      7 Literatur

      ALLINGER-CSOLLICH, Wilfried (2008): Der Turm zu Babel – Idee und Nachleben, in: J. Marzahn, G. Schauerte (Hrsg.): Babylon. Wahrheit, Berlin, 567–584.

      BUDIN, Stephanie Lynn (2008): The Myth of Sacred Prostitution in Antiquity, Cambridge.

      CANCIK-KIRSCHBAUM, Eva; VAN ESS, Margarete; MARZAHN, Joachim (Hrsg.) (2011): Babylon. Wissenskultur in Orient und Okzident, Berlin.

      DALLEY, Stephanie (Hrsg.) (22006): The Legacy of Mesopotamia, Oxford.

      EBACH, Jürgen (1998): Panbabylonismus, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 4, 302–304.

      FEIX, Josef (Hrsg.) (62001): Herodot, Historien Griechisch–Deutsch, Düsseldorf.

      FINKEL, Irving L.; SEYMOUR, Michael J. (Hrsg.) (2008): Babylon. Myth and Reality, London.

      GRONEBERG, Brigitte


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