Wörterbuch alttestamentlicher Motive. Группа авторов
seiner Berufung an „bis zu diesem Tag“ (Jer 36,2) beauftragt wurde, erstellt Baruch, der „Sekretär“ Jeremias, auf Diktat des Propheten hin das Buch (Jer 36,4–8) und verliest es – ebenfalls auf Befehl des Propheten hin – ein erstes Mal vor dem im Tempel versammelten Volk (Jer 36,9–10). Über den im Tempel anwesenden Micha ben Schafan wird eine Gruppe von Hofbeamten auf Baruch aufmerksam. Sie bittet um eine weitere Verlesung in einem kleineren Kreis. Diese Verlesung löst eine so große Betroffenheit aus, dass zunächst der Inhalt, dann aber auch das Buch selbst vor den König Jojakim gebracht wird (Jer 36,16–21). Hier findet eine dritte Verlesung statt, bei der nun auch Baruch nicht mehr anwesend ist und in deren Verlauf das Buch (vorerst) zerstört wird. Der König nämlich lässt sich den Text abschnittsweise vortragen und vernichtet dann umgehend das Gelesene, indem er die jeweilige Spalte der Rolle abschneidet und ins Feuer wirft (Jer 36,22–26). Als Reaktion darauf wird Jeremia von JHWH mit einer erneuten Abfassung der Rolle beauftragt. Jeremias Buchrolle entsteht somit neu und wird zugleich um viele zusätzliche Worte erweitert (Jer 36,32).
Bemerkenswert ist, dass die Erzählung vom Geschick des „Jeremia-Buches“ nicht nur die Art und Weise der Entstehung und den Gebrauch eines (Propheten-)Buches illustriert – und so die Schrift-Werdung mündlicher Verkündigung abbildet –, sondern dabei auch die markante Verschiebung von Kommunikationszusammenhängen reflektiert, die das Buch als „Trägermedium“ der prophetischen Botschaft gegenüber der mündlichen Verkündigung mit sich bringt. So wird deutlich, dass das (öffentlich) verlesene Buch, das die Worte des Jeremia in ihrer Gesamtheit enthält, an die Stelle des Propheten treten kann. Das Buch löst die Botschaft von der Person des Propheten und kann sie – über den Vorgang der Verlesung – an Orten wirkmächtig präsent machen, die dem Propheten selbst verschlossen bleiben. Umgekehrt aber geht das Wort im Buch nicht zur Gänze auf, was daran ablesbar ist, dass die Zerstörung des Buches nicht das Ende der Botschaft bedeutet, sondern im Gegenteil sogar ihre Vermehrung zur Folge hat.
Das Motiv, dass das (verlesene) Buch an die Stelle des Propheten treten und zugleich seine Botschaft räumlich (und zeitlich) „entgrenzen“ kann, kehrt schließlich auch in Jer 51,59–64 wieder, wo von der Entstehung eines Buches die Rede ist, das die Worte des Propheten gegen Babel (vgl. Jer 50,1–51,58) enthält. Jeremia beauftragt den Beamten Seraja, der nach der zweiten Eroberung Jerusalems ins Exil geführt wird, damit, seine in Buchform gebrachten Worte gegen Babel zu den Exilierten nach Babylon mitzunehmen und dort öffentlich zu verlesen. Auf diesem Wege kann Jeremia seine Botschaft „vor Ort“ zu Gehör bringen, ohne selbst Jerusalem zu verlassen. Im Anschluss an die Verlesung soll Seraja das Buch im Eufrat versenken und so symbolisch den endgültigen Untergang Babels vorwegnehmen. Buch und Botschaft werden über diese Symbolhandlung aufs Engste verknüpft.
Die drei angesprochenen Berichte über die Herstellung von Buchrollen in Jer 30; 36; 51 spiegeln zuletzt auch die Buchwerdung der Botschaft des Jeremia wieder. Wie beim „Buch des Mose“ wird auch hier das Buch zum Speichermedium einer mündlichen Verkündigung. Zudem entwirft das Jeremiabuch – ähnlich wie die Tora in den diversen Verschriftungsnotizen – ein Konzept seiner eigenen Literaturgeschichte. Vor allem aber leisten die drei Perikopen eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Buch und der Botschaft des Propheten und illustrieren schließlich die adäquate Verwendung des Buches.
3 Das verzehrte Buch
Nur einmal im AT ist das Motiv des „verzehrten Buchs“ belegt. Es findet sich in Ez 2,8–3,3 im Kontext der Berufung des Ezechiel, die in der in Ez 1 ausführlich geschilderten Theophanie ihren Ausgang nimmt. Nach einer ersten Sendung und Beauftragung in Ez 2,1–7 wird dem Propheten eine beidseitig beschriebene Buchrolle gezeigt, auf der „Klagen, Seufzer und Weherufe“ (Ez 2,10) geschrieben stehen. Zweimal (Ez 2,9 u. 3,1) wird er aufgefordert, die Rolle zu essen und kommt diesem Auftrag schließlich nach, wobei JHWH als Ergebnis festhält, dass die Rolle nun den Bauch bzw. die Eingeweide Ezechiels erfüllt (Ez 3,3), während der Prophet selbst auf seinen Geschmackseindruck beim Verzehr der Rolle verweist, der nicht recht zum Inhalt der Rolle (Klagen, Seufzer, Weherufe) zu passen scheint: „(…) sie wurde in meinem Mund süß wie Honig“ (Ez 3,3). Die dem Propheten dargereichte Buchrolle enthält wohl nicht den genauen Wortlaut seiner (künftigen) Botschaft, ist also nicht als eine „himmlische Urschrift“ des Ezechielbuchs zu deuten. Vielmehr stehen die Klagen, Seufzer und Weherufe für die „Essenz“ der Verkündigung Ezechiels, in der das göttliche Gericht und seine Folgen für Israel und Jerusalem breiten Raum einnehmen. Über das Bild vom Verzehren des Buches aber wird eine differenzierte Verhältnisbestimmung zwischen Prophet und Botschaft möglich. So kommt die Botschaft zunächst von JHWH her, füllt aber „das Innere“ des Propheten nach dem Verzehr der Rolle so sehr aus, dass Ezechiel und seine Botschaft untrennbar verbunden sind. Der süße Geschmack der Rolle, den Ezechiel beschreibt, kann als Hinweis auf die Zustimmung des Propheten zu seinem Auftrag interpretiert werden: Das, was ihm angetragen wird, ist ihm (an)genehm. Im NT wird das Motiv des verzehrten Buches aus Ez 2,9–3,3 in Offb 10,9–11 aufgenommen.
4 Himmlische Bücher
In nur wenigen Texten des AT ist das Motiv der „himmlischen Bücher“ belegt. Der erste Beleg findet sich in Ex 32,32f. im Kontext der Fürbitte des Mose für das in der Verehrung des Goldenen Kalbes vom Bund mit JHWH abgefallene Volk. Mose fordert JHWH auf, dem Volk seine Schuld zu vergeben oder andernfalls auch ihn selbst aus „deinem [= JHWHs] Buch“ zu löschen. Das Löschen aus dem Buch umschreibt hier bildhaft den Tod des Mose, sodass im Umkehrschluss das angesprochene aber nicht weiter erläuterte Buch als „Buch des Lebens“ im Sinne eines „Verzeichnisses aller Lebenden“ zu fassen wäre (vgl. dazu auch Ps 69,29).
In späteren Texten erscheint dieses Motiv des „ Lebensbuches“ in einem eschatologischen Gewand. Das „Lebensbuch“ wird nun zu einem Verzeichnis derer, die zum Leben in der kommenden Welt – jenseits eines universalen Gerichts – bestimmt sind, zu einem Verzeichnis der Gerechten also (vgl. Dan 12,1; Jer 4,3), das die Erinnerung an diese auch über ihren Tod hinaus bewahrt (vgl. Mal 3,16 und ähnlich auch Ps 56,9). Wenn Dan 7,9–10 die Etablierung eines himmlischen Gerichtshofs (am Ende der Weltgeschichte) schildert, vor dem – im Kontext nicht näher bestimmte – Bücher aufgeschlagen werden, so ist hier wohl ebenfalls an eine „himmlische Chronik“ im Sinne von Dan 12,1 oder Mal 3,16 zu denken.
Eine etwas andere Vorstellung von „himmlischen Büchern“ scheint hingegen in Dan 10,21 vorzuliegen, wo ein „Buch der Wahrheit“ erwähnt wird. Dieses ist offenbar als eine Art „Drehbuch“ gedacht, in dem der Verlauf der Weltgeschichte (im Voraus) „vor-geschrieben“ ist und das somit ein deutlich deterministisches Geschichtsverständnis widerspiegelt. „Himmlische Bücher“ werden auch in der nachalttestamentlichen jüdischen Literatur, vor allem in eschatologischen bzw. apokalyptischen Texten, erwähnt (vgl. z.B. im äthiopischen Henochbuch 89,70; 93,2) und auch in neutestamentlichen Texten – hier insbesondere das „Buch des Lebens“ (Phil 4,3; Offb 3,5; 13,8; 17,8; 20,12.15; 21,27).
5 Literatur
COLLINS, John J. (1993): Daniel. A Commentary on the Book of Daniel (Hermeneia), Minneapolis.
EDERER, Matthias (2011): Ende und Anfang. Der Prolog des Richterbuchs (Ri 1,1–3,6) in „Biblischer Auslegung“ (HBS 69), Freiburg i.Br. u.a.
EGO, Beate (2009): „In der Schriftrolle ist für mich geschrieben“ (Ps 40,8). „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ im Kontext religiösen Lernens in der alttestamentlichen Überlieferung, in: Schaper, Joachim (Hrsg.): Die Textualisierung der Religion, Tübingen, 82–104.
FISCHER, Georg (2005): Jeremia (26–52). Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg i.Br./Basel/Wien.
FISCHER, Georg; MARKL, Dominik (2009): Das Buch Exodus. Neuer Stuttgarter Kommentar AT II, Stuttgart.
HARDMEIER, Christof (2009): Zur schriftgestützten Expertentätigkeit Jeremias im Milieu der Jerusalemer Führungseliten (Jer 36). Prophetische Literaturbildung und die Neuinterpretation älterer Expertisen in Jeremia 21–23, in: Schaper, Joachim (Hrsg.): Die Textualisierung der Religion (FAT 62), Tübingen,