Hygienearzt in zwei Gesellschaften. Dietrich Loeff
Neubrandenburg (heute Mecklenburg-Vorpommern) bewerben sollten.
Meine Freundin und ich kannten uns indessen zwar gut und wollten uns nicht durch das System der Arbeitsplatzlenkung trennen lassen, eine Ehe zu schließen aber erschien uns doch noch verfrüht. So entschlossen wir uns, beide nach Mecklenburg zu gehen, denn dort wurden Ärzte ebenso wie Lehrer gebraucht. Das erhöhte die Möglichkeit, in den gleichen Ort zu gelangen. Mit dem gemeinsamen Arbeitsort wollten wir aber keine gegenseitige Verpflichtung eingehen. Schließlich konnten wir ihn ja auch nach drei Jahren gemeinsam oder auf getrennten Wegen wieder verlassen oder dort bleiben und andere Partner wählen. So entschieden wir uns für Demmin, das ich später noch genau beschreiben werde.
Staatsexamen
Hier verrichtete die FDJ unseres Studienjahres zwei bemerkenswerte Taten. Erstens organisierte sie, dass der gesamte Lehrstoff auf die Studenten aufgeteilt und von jedem der ihm zugewiesene Lehrabschnitt prägnant zusammengefasst wurde. Daraus entstand ein Skript – eine Übersicht über die gesamten Lehrinhalte von drei Jahren, verfasst von Studenten. Dieses Skript war sicherlich nicht der Stein der Weisen, aber als Leitfaden, der zum ausgewählten Durcharbeiten der Fachbücher hinführte, hat er mindestens mir gute Dienste geleistet. Andere urteilten weit kritischer darüber.
Zweitens brachte es die FDJ fertig, unter uns Studenten Geld einzusammeln und damit für den Lehrkörper ein Abschlussfest – heute würden wir es Dankeschön-Veranstaltung nennen – mit festlicher Musik, einer Dankesrede des FDJ-Studienjahresverantwortlichen und wunderbaren Blumensträußen für unsere akademischen Lehrer zu organisieren. Die Freude war bei ihnen allgemein. So etwas hatte es bis dahin nie gegeben und ist mir auch nachher oder von anderer Seite nie wieder bekannt geworden.
Nun zum Staatsexamen selbst. Die Zulassungsordnung verlangte Teilnahmebestätigungen („Scheine“) von insgesamt 42 Kursen, was kaum Probleme bereitete. Nach erteilter Zulassung hatte man binnen fünf Monaten 15 Prüfungen zu bestehen. Die Reihenfolge der Prüfungen konnten sich die selbst zusammengetretenen Vierergruppen von Prüflingen frei wählen, sie waren allerdings von den Terminvereinbarungen mit und den Terminfestlegungen der Prüfer abhängig. Wir vier unserer Gruppe vereinbarten unsere Prüfungsreihenfolge, lernten dazwischen jeder für sich und prüften uns dann zwei Tage vor dem jeweiligen Examen gegenseitig. Unsere Zeitspanne erstreckte sich von Mitte Juli bis zum 12. Dezember 1960. Nach dem schon früher gegebenen Rat Waldeyers, lernten wir am allerletzten Tag nichts mehr, sondern entspannten uns oder gingen noch besser mit dem anderen Geschlecht spazieren, was sich als ausgezeichneter Rat gegen Prüfungshektik erwies. Ich hatte ja seit dem Investiturball dafür eine liebe Begleiterin. Sie musste allerdings schon im September 1960 ihre Arbeitsstelle in Demmin antreten. So ersetzten Briefe die Begleitung und ich war nie vorher und nie hinterher ein so fleißiger Briefschreiber, sondern war meist und bin bis heute ein ausgemachter Schreibmuffel. Meine Mutter zog verständnisvoll lächelnd richtige Schlüsse aus diesem auffälligen, für mich ganz untypischen Eifer.
Die Prüfer waren oft die Lehrstuhlinhaber, die wir im Hörsaal gesehen hatten, noch öfter ihre mehr oder weniger bekannten Oberärzte oder Assistenten. Ich kann mich an korrekte und gewissenhafte Prüfungen erinnern, teilweise auch an die Prüfungsfragen. Die meisten Prüfungen wurden mit einer Patientenuntersuchung eingeleitet, nach der wir einen Bericht, wenn möglich mit der Diagnose oder den weiteren Untersuchungsschritten geben sollten. Daraus entwickelte sich dann das Prüfungsgespräch, durchmaß theoretische und grundsätzliche Fragen, mögliche andere Diagnosen und vieles mehr.
Bis heute halte ich das für besser, als Tests mit Fragebogen, die zwar bei Streitfällen gerichtsfester sind, als die Mitschrift eines Prüfungsgespräches, aber die nicht – ohne oder mit Hilfen des Prüfenden – die logische Entwicklung eines Gedankenganges durch den Prüfling ermöglichen und zeigen. Eine gute Prüfung ist ja nebenbei auch lehrreich für den Prüfling und ich weiß von einem Altsprachler, der sich explizit vorgenommen hatte, jeden Prüfling noch im Examen zu einer neuen Einsicht zu führen. Meiner Freundin zeigte er zum Beispiel im Examen einen Bronzenagel, ein Stück, das bei Ausgrabungen antiker Kulturgüter gefunden worden war.
Gelegentlich konnten Prüfer hart werden. So redeten kurz vor dem Staatsexamen zwei Studenten im Hörsaal lebhaft miteinander, während der Vortragende, Professor Zwicker, einen Patienten vorstellte. Solche Disziplinlosigkeiten waren hier noch unpassender, als in anderen Studienrichtungen, weil sie dem demonstrierten Patienten nicht entgingen. Entsprechend waren sie mit Recht beim Lehrkörper sehr verpönt. Zwicker bestellte, seinen Vortrag kurz unterbrechend, beide Schwätzer nach der Vorlesung in sein Zimmer und fügte hinzu, falls sie nicht kämen, wären sie im Staatsexamen – jedenfalls bei ihm – chancenlos, was immer sie auch wüssten oder könnten. Sicher sind die unaufmerksamen Studenten hinterher zu ihm geschlichen, denn Chirurg Zwicker ließ seinen Worten Taten folgen.
Wir mussten ungeachtet der Sommerhitze zur Prüfung im schwarzen Anzug erscheinen, die Damen im schwarzen Kostüm. Eine glaubte wohl, Professor Felix durch ihre sehr tief ausgeschnittene Bluse zu beeindrucken. Das war auch der Fall, allerdings auf sehr andere, ihr wohl unangenehme Weise. Felix: „Ach, Sie wollen in die Sommerfrische fahren. Dann fahren Sie doch und kommen erst im Herbst wieder“! Damit war sie bei ihm vorerst entlassen. Was aus einem neuen Prüfungstermin und weiter daraus geworden ist, hat sich nicht herumgesprochen. Heute würden Eltern vielleicht ihren Rechtsanwalt ansetzen, die Rechte des Studenten in der Prüfungsordnung zitieren und andere Anstrengungen unternehmen. Damals kam uns nicht einmal ein derartiger Gedanke. Übrigens waren sowohl Professor Zwicker als auch Felix aus Westberlin.
Wir vier aus unserer Prüfungsgruppe hatten Glück – auch das Glück des Tüchtigen, denn hineingekniet hatten wir uns ganz schön in die Materie. Alles ging gut und auch dieser Erfolg wurde gefeiert. Dieses Mal waren wir aufnahmefähiger und konnten schon den ersten Abend einigermaßen genießen.
1 Gesellschaft für Sport und Technik, die DDR-Organisation zur vormilitärischen Ausbildung
2 Kraatz war Schüler des noch bekannteren Arztes Walter Stoeckel, Universitätsfrauenklinik Berlin.
3 Wikipedia schreibt von mindestens 2 500 umgekommenen Ungarn. Damals wurden auch weit höhere Zahlen genannt.
4 Solche Beschränkungen gab es für Studenten schon vor der Errichtung der Mauer 1961, sie wurden aber von den Studenten nicht allgemein eingehalten.
5 Das ist der zusammenfassende Begriff für all diese Strahlenarten.
6 Der Islam – Ein Lesebuch, Seite 196. Becksche Reihe 479, herausgegeben von Maria Haarmann, Verlag C. H. Beck, München, 1992.
7 Professor Felix war Schüler des weltbekannten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch, dessen fachliches Erbe er fortsetzte.
Das Schönste
Das Leben ist schon das Schönste.
Mit all seinem Hol´s der Teufel
und Macht keinen Spaß-mehr und Wunderbar
und Glücklich-sein und Jeden Tag wieder neu.
Mit essen und schlafen und lieben und
wieder essen und trinken und arbeiten
und Erfolg haben und Misserfolg haben
und überhaupt.
Ich sage: Das Leben ist das Größte und Schönste.
Und wenn es dreimal so schwer wäre
und dafür dreimal so lang –
ich