Fünf Jahre meiner Jugend. Otto Meißner

Fünf Jahre meiner Jugend - Otto Meißner


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Art waren, Ehrensache war, ihn als Lehrer auszubilden. Das Seminar kostete viel Geld, und manchmal versagten sich beide, Vater und Mutter, ein Vergnügen, um nicht ihren jungen Paul, der ihnen durch seine guten Zensuren Freude bereitete, etwas entziehen zu müssen. Heute ist er Lehrer, alle Prüfungen bestand er gut und bekam in Döbeln eine schöne Anstellung. Die Freude, vielmehr der Stolz, den die Eltern auf ihn hatten, war ein berechtigter. Der zweite Sohn heißt „Max“. Seine Begabung war nicht minderwertiger als die des ältesten, doch brauchte der Vater für das Gut einen Nachfolger und eine Stütze für sein Alter. Er blieb daheim und wurde unter der Leitung des Vaters in allen Arbeiten landwirtschaftlicher Art gründlich ausgebildet. Beruhigt kann der Vater jetzt in die Zukunft blicken, denn sein Sohn Max kann seine Stelle vertreten.

      Der dritte und jüngste Sohn heißt Otto. In den ersten Jahren des Schulbesuchs zeigte sich dieser als recht schwächliche Natur. Wiederum ließ sich der Vater vom Pastor beraten, auch diesen Sohn, weil eben schwächlich, zum Lehrerberuf ausbilden zu lassen. Leider war hier die Vorbildung vergebens. Nach Einsendung der ärztlichen Atteste kam der Bescheid zurück, daß Otto zur Prüfung nicht zu gelassen werden könne, da das ärztliche Zeugnis schweren Herzfehler bezeuge. Die Enttäuschung für Vater und Sohn war groß. Was sollte nun geschehn? Auf Anraten eines Spezialisten für Herzkrankheiten blieb Otto auf dem Gute seines Vaters, und hat sich in frischer freier Natur gut ausgeheilt. Lange ließ es ihn dort auch nicht in Ruhe, und so ging er nach einjähriger Erholung in die im Orte liegende Handelsmühle, um sich dort zum Kaufmann auszubilden.

      Das war in großen Zügen etwas über die drei Jungen. Es liegt mir daran, ein genaueres Bild von dem Jüngsten zu geben, denn dessen Geschichte liegt mir greifbar nahe. Von Ottos Lehrzeit will ich anfangen.

      Bei Schmalz in E. trat er wie gesagt in die Lehre um Kaufmann zu werden. Sein eigentlicher Lehrer ein Prokurist des Geschäfts war sehr strenge, und Otto blieb auch nicht eine Arbeit erspart die Lehrlinge verrichten mußten. Die Lehrzeit verrann schnell, und es begann die Zeit, wo er als Jüngling das erste Mal schüchtern den Tanzboden besuchte und zaghaft und ängstlich die ersten Walzer tanzte. Langsam verblaßte diese Schüchternheit und das zarte Suchen nach der Einen, die man fürs Leben sucht, begann. Er suchte und suchte, doch nie wollte es ihm gelingen die Richtige zu finden. Endlich fühlte die zartbesaitete Seele, die ihm innewohnte, daß nur die kleine blonde Marie, die er zum ersten Mal bei einem Vergnügen in G. sah, kurz nachdem sie aus der Pension zurückgekommen war, nur die sein könne, die ihm eine treue Gefährtin durchs Leben werden würde. Nach dem ersten Tanz folgten mehrere, und feine Fäden zogen herüber und hinüber. Die beiden trafen sich öfters und zuletzt wurde es offenes Geheimnis. In jeder Woche mußten sie sich wenigstens 3mal sehen und wenn das unmöglich, schrieb Otto bei Nichtanwesenheit des Chefs lange Briefe, die dann der, zu solchen Liebesdiensten gern bereite E. D. prompt am Fenster Mariechens eigenhändig übermittelte. Sonntags trafen sie sich dann so ganz aus Zufall in der Aue und machten dann gemeinsame Spaziergänge.

      Doch jetzt zurück zum Gutshofe von Vater M. Die Ernte hatte begonnen! Roggen und Gerste sind bereits gemäht. Das andre Getreide drängt zur Mahd, weil es totreif ist. – Seit einigen Tagen gehen Gerüchte von bevorstehendem Kriege um. Man schreibt Ende Juli 1914. Die politische Lage spitzt sich immer mehr zu. Am 30. Juli befiehlt der Kaiser die Mobilmachung der gesamten deutschen Armee. „Krieg!! – das war das Wort, was den Einwohnern das Blut in den Adern stocken ließ. Dabei noch ein Angriff von beiden Seiten. Das mächtige Riesenreich stand gegen uns auf und das seit langer Zeit nach Revanche dürstende Frankreich ging gegen uns.

      Der Vater M. hatte, da er Gemeindevorstand war, viel zu tun infolge der Mobilmachung. Pferde mußten abgeliefert werden usw. Auf dem Gutshofe selbst waren die Aussichten für die Zukunft nicht rosig. Der zweite Sohn Max, welcher seine aktive Dienstzeit vor wenigen Jahren hinter sich hatte, mußte schon am zweiten Mobilmachungstage bei seinem Regiment eintreffen. Am Tage zuvor mußte Vater M. seine beiden Pferde der Heeresverwaltung zur Verfügung stellen. Auf dem Felde stand noch der größte Teil der Ernte, im Stalle kein Pferd, und obendrein fehlte noch die rechte Hand vom Vater M., sein Sohn Max. Das war sehr niederdrückend, zumal noch die Ungewißheit über unser zukünftiges Schicksal im Kriege bestand. Die lieben alten Eltern M., die doch gehofft hatten, nach langer harter Arbeit, gestützt auf ihren Sohn Max, stille und ruhige Jahre zu verleben, mußten nun nach Lage der Dinge wieder wie in früheren Jahren von früh bis spät abends sich mühen und plagen. Dazu kam noch die neue und schwere Sorge um Max, der bereits mit seinem Regiment nach dem Westen gegangen war. – Paul half zu Hause, so lange es seine Ferien erlaubten, und Otto ließ an Sonntagen nicht davon ab sich bei Vater und Mutter nützlich zu machen.

      Es war Anfang August. Unsere Heere hatten im Westen und Osten herrliche Siege davon getragen. Tannenberg, Lüttich, Namur usw. waren Worte die Einwohnern im Orte neue Zuversicht auf das Gelingen des Kampfes gaben, und bei den jungen Burschen, die noch nicht beim Militär waren, die Lust zur Freiwilligenmeldung hervorbrachte. So ging es auch Otto, dem es hinterm Schreibtisch auf dem Holzschemel nicht mehr gefiel. Er war ja eigentlich seit zwei Jahren schon militärpflichtig, hatte sich aber zurückstellen lassen und mußte nun 1914 bestimmt eintreten. Doch bis zum Empfang der Ordre hielt es ihn nicht, und so fuhr er per Rad nach der Garnisonsstadt Leipzig und meldete sich kriegsfreiwillig. Am Tore der großen Infanterie-Kaserne fand er tausende gleicher Gesinnung. Da er schon im Besitz eines Annahmescheines war, trat er, wie befohlen, rechts heraus und bekam nebst allen andern den Bescheid, sich gegen Mittag zur Einkleidung wieder einzufinden. Otto schien das Gesagte nicht recht verstanden zu haben und frug einen Abseitsstehenden nochmals. Dieser wiederholte es, worauf Otto sagte: „Na, so hatte ich mirs nicht gedacht, da würde ich mich doch darauf eingerichtet haben.“ Er ging zu seinem Rade und trat die Heimfahrt, mit dem besten Vorsatz, morgen besser ausgerüstet hier wieder zu erscheinen um dann bestimmt Soldat zu werden, an. Zu Hause angekommen sagte er zu Muttern, daß er morgen eintreffen müsse. Vom Freiwilligmelden konnte er nichts verlauten lassen, denn sie hätte doch nur gezankt, trotzdem Otto sowieso bald eintreffen mußte. – An diesem Tage hatte er noch viel zu tun, seinen Kopf kahl zu scheren, mit seinem Chef abzurechnen und ein Abend noch lange Abschied nehmen von seiner Marie. Vom Freiwilligenmelden konnte er bei ihr auch nichts sagen, sie hätte ihm noch die größten Vorwürfe gemacht.

      Am frühen Morgen des 10. August 14. trat Otto mit seiner ziemliche Dimensionen annehmenden Kiste die Reise per Bahn nach der Garnison an. Der Vater drückte ihm die Hand und sagte: „Na Otto, bleib gesund und werde ein strammer Soldat!“ Die Mutter drückte ihm auch die Hand, doch vor lauter Abschiedsschmerz vernahm Otto nur die wenigen Worte: „Leb wohl Otto! Behüt dich Gott!“ Und aus ihren lieben Augen quollen große Perlen – Muttertränen.

      Otto stand eigentlich das Weinen auch näher als das Lachen, denn er tat einen neuen Schritt in das Leben, der noch dunkel vor ihm lag.

      *

      Leerer wurde das Haus. Auch Paul ging wieder nach Döbeln, seine Ferien waren zu Ende. Die lieben Eltern standen allein da, nur auf fremde Leute angewiesen. Das war eine bittere und harte Zeit für sie.

      Otto war Soldat! Seit 10. Aug. nachm. 2 20 Minuten. Er dachte es wenigstens er sei es! Man hatte ihm eine blaue Garnitur gegeben, ein Paar Stiefeln, ein Kuppel1 mit Seitengewehrtasche und Mütze. Beim Einkleiden auf Reg. Kammer wollte sich kein passender Leibriemen für ihn finden.

      Nach längerer Zeit platzte angeblich dem Kammerserganten doch die Geduld, wie er zu sagen pflegte, brüllte Otto an wie folgt: „Was?! Du Schwein! Dir will kein Kuppel passen. Wir wärn dir den Balg schon dünne machen. Hier Nr. 100 paßt.“

      Befehl ist Befehl, das Ding mußte passen! Otto stand da wie vom Blitze getroffen und war froh aus dem Hause des „guten“ Tones sich verabschieden zu können. Kaum hatte er sich draußen erholt von seinem Schrecken, bemerkte er das Unglück, daß er in der Schnelligkeit zwei verschieden große Stiefeln hatte.

      „Nun brat mir aber einen Storch und die Beine recht knusperig“ dachte Otto. „Soll ich noch mal zu diesem Kompanieknüppel?“2

      Nein lieber den Tod als in der Knechtschaft sterben! Und so mußten die zweierlei Stiefeln über 8 Tage lang passen. Endlich als er sich die Füße wund gelaufen hatte, bekam er durch Vermittlung seines Unteroffiziers andre Stiefeln.

      Die


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