Fünf Jahre meiner Jugend. Otto Meißner

Fünf Jahre meiner Jugend - Otto Meißner


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nicht auf das Gleichgewicht acht gegeben, und glatsch – lagen beide so lang wie sie waren im Schlamm. Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen, so auch hier. Alles lachte, doch die zwei Schlammbeißer hätten am Liebsten geweint vor Wut. Endlich nach langer Krebserei kamen auch sie auf die andre Seite.

      Es dunkelte bereits als die Komp. an den Unterständen der San. Komp. 12, die sie ablösen mußte, ankam. Am Pferdestall bekamen sie zum Teil Unterkunft, mußten sich aber schon um 9h bereit machen um nach der Stellung zu gehen. Beim Antreten bekam die Komp. einen stellungskundigen Führer, der sie in ihren schweren aber edlen Dienst einführte. Im dämmernden Mondlicht marschierte die Komp. grüppchenweise nach vorn. Der Divisionsabschnitt an den sie arbeiten mußte, teilte sich ein in 4 Stellen, Ditfurth-Weg, Jungburg, Stellung 61 & Stellung 63. – Am 1. Abend arbeitete Otto auf Stellung 63. Von hier war ein sehr beschwerliches Zurücktragen der Verwundeten. Über hügliges Gelände im tiefsten Schlamm mußte er hier seine Pflicht erfüllen. Leicht war es ihm nicht geworden oft hörte ich ihn über wunde Schultern vom Tragen klagen. Doch es galt hier seinen Mann zu stehen und es war das eiserne „Muß“ daß ihn dazu bewog auf seine wunden Schultern Polster zu legen um seiner Pflicht auch weiterhin gerecht zu werden. Abwechseln kam Otto an alle Teile des Frontabschnitts. Die schlechteste Stellung war die Jungburg-Stellung. Rechts vom Ditfurth-Weg beginnt der schmale Graben nach der Jungburg. Ein schlechter seichter Graben der wenig Deckung bietet und noch obendrein mit Wasser und Schlamm ziemlich voll ist. Es ist am 2. Abend. Tags zu vor hatte in diesem Graben ein Handgranatenangriff stattgefunden. Die Leichen türmten sich übereinander. Otto wurde hier zu einer Arbeit eingeteilt, die sein gefühlvolles Herz zu Stein erhärtete. Es sollte Ablösung nach vorn. Über freies Feld konnte diese nicht. Deshalb hieß es „Graben freimachen! Krankenträger nach vorn!“ Der Graben wurde freigemacht, doch wie ist Nebensache. Das war eine Arbeit für Otto, die ihm das Blut in den Adern stocken ließ. Doch das Wort Krieg drückt alle Fragen, ob sich dies mit der Religion vereinbaren läßt, nieder. Nach anstrengender Arbeit waren die Krtr. nach einigen Stunden fertig. Es ist stockfinster. Langsam patschen sie im Schlamm den Graben rückwärts, bei jeder aufsteigenden Feuerkugel sich still niederdrückend. Otto stapft in ziemlich deprimierter Stimmung den andern nach. Zur Sicherheit des Ganges fühlt er sich am Rande des Ganges entlang. Da! – Die Franzosen schießen eine Leuchtkugel mit Fallschirm hoch, die langsam sich drehend nach unten schwebt. Otto duckt sich mechanisch, und stützt sich an den Grabenrand. Etwas Kaltes spürt er plötzlich in seiner Hand. Die Leuchtkugel kommt immer niedriger und ganz hell wird es um ihn. Jetzt erkennt er seine Umgebung. Eine Menschenhand, getrennt vom Arm, hält er in seiner Hand. Nicht weit davon liegt noch ein Kopf, halb zerfetzt von den Splittern der Handgranaten. Welch trauriges Bild!

      Die Gedanken schwirren Otto im Kopf herum und er weiß nicht, wacht er oder träumt er. Zuletzt übermannt ihn eine grenzenlose Traurigkeit! Ungeachtet der Gefahr sinkt er in Gedanken, er sinnt und sinnt und fragt sich: „Warum das alles? Warum muß der Mensch, dem vor kurzen noch die Hand warm und gelenkig am Arm und der Kopf auf dem Nacken saß, auf diese Weise zu Grunde gehen? Wieviel Tränen werden ihm von lieben Angehörigen nachgeweint werden?“ Seine Gedanke springen über auf die Heimat, zurück auf die ersten Jahre seiner Jugend und enden in dem heißen Wunsche: „Ach Gott erspare meinen lieben Angehörigen eine solche Trauerbotschaft. Alle Strapazen will ich bis zur Neige durchkosten, doch laß meine Brüder und mich nur mit heilen Knochen nach Hause kommen und nicht so elendiglich zerstückelt auf fremder Erde verfaulen.“

      Otto hatte in seinem Nachdenken das Weitergehen seiner Kameraden übersehen. So beeilte er sich, daß er sie wieder einholte. An seinem Unterstande angekommen lag er noch lange wach und konnte sich von dem schwermütigen Gedanken nicht trennen. Spät nachts fand er erst den Schlaf.

      Die Unterkünfte der Komp. waren anfangs sehr schlecht. In einem Bau von Baumstämmen verdeckt mit Tannenreisig wo es in Strömen durch regnete, lagen die Mannschaften auf Tannenzweigen. Eine nicht beneidenswerte Lage! Wenn Otto des Nachts an seine Schlafstelle kam, war ein völliges Auskleiden nicht möglich. In der ganzen Zeit des Einsetzens in der Winterschlacht hat er sich nicht einmal entkleidet schlafen legen können. Die Lage der Unterstände war an einer Anhöhe frontabwärts. In dem Talkessel vor derselben standen am Tage die Krankenwagen und das Traingerät. Auf der gegenüberliegenden Anhöhe sah man einsam und verlassen das Kompanie-Latrinchen. Dieses Stille Örtchen brachte manche reizende Unterhaltung.

      Um 2h nachm. begann die französische Artillerie ihr „geliebtes“ Geländeabstreichen. Es ist ein schöner heller Märztag. Die Soldaten reinigen ihre Sachen von der vorigen Nachtarbeit. So nahe wie heute hatten sich die Geschosse noch nicht verirrt. Sie suchten unsere hinter der nächsten Höhe liegenden 21er Mörser. Tschumm-ratsch, und auf genannter Höhe der Komp. Latrine sehr nahe, schlug die Granate ein. Der Krach war kaum verhallt, als ein „Jemand“, es war die „Wellfleischbacke“ der Komp. Zahlmeister, ganz rasend aus dem stillen Örtchen herausstürmte und den Unterständen zutrabte. In der Eile schien er vergessen zu haben seinem Allerwertesten die nötige Wärme und zur Reinlichkeit das notwendige Papier zuteil werden zu lassen, denn man sah zur Übergabe bereit eine weiße Fahne hintendrein flattern (sein Hemd) und mit der linken Hand krampfhaft seine Hose festhalten. Ein brausendes Gelächter erscholl von den Mannschaftsunterständen dem Herrn Zahlmeister entgegen. Zur Weihnachtsfeier 153 hatte ein Humorist dem Herrn Zahlrad ein Gedicht geschrieben wo der Refrain in den Worten auslief „Zum Reisen braucht man Schuhe aber zum Sch..... braucht man Ruhe.“

       Ottos Unterstand bei Ripont 15 genannt „Läusefrei“

      Die Komp. arbeite vom 1. März bis 14. April ununterbrochen in jetziger Stellung. Der Höhepunkt des Angriffs der Franzosen war Ende März erreicht, danach flaute die Kampftätigkeit ab und die Komp. bekam dadurch wesentliche Erleichterung im Dienst. Otto feierte verschiedene Wiedersehen in der Stellung. Im März kam das Res. Regt. 133 nach Ripont. Bei der 6. Komp. traf er Gustav Ahner und bei der 7. Komp. Arthur Patschke aus Trautzschen. Letzteren traf er bei einem Verwundetentransport am Graben. Ahner Gustav hatte von Kahnts Kuchen bekommen und lud Otto an einem Nachmittag zum Kaffee ein. Otto brachte die nötigen Zigarren mit, und so machten sie sich einen gemütlichen Nachmittag.

       Otto als Kavallerist! (In Vendy ließ er sich in der Uniform eines Trainsoldaten abnehmen.)

      Endlich kam die Zeit der Ablösung. So sehr sich Otto ins Frontleben gesehnt hatte, so sehr war ihm doch das Wort „Ablösung“ willkommen. Mit dem Gedanken und der Befriedigung seine Pflicht voll und ganz erfüllt zu haben, war ihm nach schwerer/harter Arbeit einige Tage der Ruhe sehr angenehm.

      Vendy sollte der Ort der Ruhe sein. Derselbe lag sehr schön Champagnegelände. In der Niederung floß die Aisne und nicht weit entfernt der Aisne-Marne-Kanal.

      Wie es allen San. Komp. im Westen zukam in den Orten Ordnung und Sauberkeit zu schaffen, so mußte auch in dieser Hinsicht die San. Komp. Nr. 22 ihre Pflicht erfüllen. Alle Gehöfte wurden von Schmutz gereinigt und zu Quartieren vorgerichtet. Bei Dienstfreiheit unternahm Otto mit verschiedenen Kameraden Ausflüge nach der nahen Umgebung.

      Am 22. April kam von Ottos Vater ein Brief in dem ihm berichtet wurde, daß an den Komp. Führer ein Brief unterwegs sei der um Urlaub zur Feldbestellung antrage. „Ach wenn es nur genehmigt würde! hoffte Otto immer. Am 26. April, es war gerade gegen Mittag, wurde Otto ins Komp. Geschäftszimmer gerufen und ihm bekannt gegeben, daß er auf Urlaub müsse. Dieses „Muß“ ließ sich Otto gefallen. Er mußte sich auf die Zunge beißen um nicht vor Freude laut aufschreien zu müssen.

      Am 27.4. abends 10h dampfte er vom Bahnhof Fryzi ab. Ab nach der Heimat! 14 Tage Urlaub schienen ihm solange als könnten sie gar nicht wieder vergehen. Über Charleville-Sedan-Metz-Frankfurt-Bebra-Leipzig dann Pegau. Endlich wieder nach 6 Monaten daheim. Es war eine Freude wieder bei Muttern zu sein. Viel gab es zu erzählen. Doch hatte Otto auch andre Pflichten. Das Verhältnis mit seiner Marie war zu innig gewesen und hatte Folgen gezeitigt. Er war es seiner und Maries Ehre schuldig, dem Gewäsch der Weiber die Spitze zu brechen und vorläufig die Verlobung bekannt zu geben. Beide hatten


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