Skandal um Zille. Horst Bosetzky
bin gespannt …«
»Uff die Welt jekomm’n bin ick am 10. Januar 1858 in Radeburg. Det is ’ne Kleinstadt nördlich von Dresden …«
Gegen Mittag war Zille beim Umzug nach Berlin angekommen. Banofsky lud ihn zum Essen ein. Nachdem Zille sich anschließend zu einem kleinen Schläfchen hingelegt hatte, ging es bis zum späten Abend weiter. Banofsky hatte seinen Block vollgeschrieben. Er dankte Zille – nicht nur mit einem kräftigen Händedruck und ein paar freundlichen Worten, sondern mit einer herzlichen Umarmung – und machte sich wieder auf den Heimweg. Glücklich und euphorisch wie nie. Jetzt konnte er loslegen!
Der falsche Zille am Oranienburger Tor hatte Kowollek mächtig Auftrieb gegeben. Aber nun galt es, den engsten Freunden des echten Zille auf den Zahn zu fühlen. Davor grauste Kowollek ein wenig, denn es war schwierig, die Herren Max Liebermann, Hermann Frey und August Kraus zu einem Interview zu überreden. Beweismaterial musste er auch noch sichern. Ein Photoapparat war zu groß, den konnte er nicht eben unter seinem Mantel verborgen einschmuggeln, und gefälschte Bilder und Zeichnungen konnte er auch nicht einfach mitgehen lassen, denn er wollte nicht wegen Diebstahls angeklagt werden. Dennoch musste Kowollek unbedingt etwas unternehmen, wollte er nicht die Chance seines Lebens verspielen. Wenigstens hatte er Rummler überreden können, im BBB eine große Serie über Berlins berühmteste Maler, Schriftsteller und Schauspieler anzukündigen, was ihm bei seinen Nachforschungen eine gewisse Legitimation verschaffte.
Der erste Anruf im Sekretariat der Preußischen Akademie der Künste verlief so, wie es Kowollek erwartet hatte: Ein ausführliches Gespräch mit Herrn Professor Liebermann sei möglich, erklärte ihm ein Sekretär, allerdings nur im Dienstgebäude Unter den Linden.
»Für das BBB ist es unumgänglich, Professor Liebermann in seiner Wannsee-Villa aufzusuchen«, beharrte Kowollek. »Sein Atelier und sein wunderschöner Garten sind für unsere Leser von größtem Interesse.«
»Ich werde mit Herrn Professor Liebermann darüber sprechen.«
Der hatte tatsächlich nichts dagegen, dass Kowollek mit einem Photographen am Wannsee anrückte.
Da es dem BBB finanziell schlechtging, bekamen Kowollek und sein Freund Heiner weder einen Wagen zur Verfügung gestellt noch eine Taxe bezahlt und mussten mit der Reichsbahn fahren. Vom Bahnhof Wannsee bis zur Liebermann-Villa in der Colomierstraße waren es, so schätzte Kowollek nach einem Blick auf den Stadtplan, gut anderthalb Kilometer.
»Mann, is det ’ne Latscherei!«, maulte Karl-Heinz.
»Ich hab nachgeschlagen …«, sagte Kowollek, als sie die Brücke überquerten, die man über den Wasserlauf zwischen dem Großen und dem Kleinen Wannsee gespannt hatte.
»Ich auch«, brummte Karl-Heinz, »beim Fußball letzte Woche. Da ist Nachschlagen aber streng verboten.«
Kowollek quälte sich ein kurzes Lachen ab. »Vorbild für Liebermanns ›Schloss am See‹, wie er es selbst nennt, sind Hamburger Patriziervillen. Der Architekt heißt Baumgarten.«
»Hat der nicht die Bäume im Garten gepflanzt?«
»Nein, das war ein gewisser Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle.«
Der Photograph wurde ernsthafter. »Hast du Max Liebermann nicht immer bewundert? Und jetzt willst du ihn als Kunstfälscher der Menge zum Fraß vorwerfen?«
Kowollek winkte ab. »Es wird ihm nicht schaden, im Gegenteil: Einem Freund zu helfen, der in Not ist, gilt doch als edel.«
Liebermann empfing sie überaus freundlich, ebenso Grandseigneur wie Original. »Das ist aber schön, dass das BBB mich wieder aus der Versenkung hervorholen will. Dann treten Sie mal näher, meine Herren!«
Kowollek wollte gleich zu Anfang beweisen, dass er sich auf das Gespräch gut vorbereitet hatte. »Man wirft Ihnen vor, nicht mehr der Provokateur von einst zu sein, und behauptet, dass Sie geradezu zum Klassiker geworden sind.«
»Ach, wissen Sie, junger Mann, der Fluch unserer Zeit ist die Sucht nach dem Neuen. Der wahre Künstler strebt nach nichts anderem als der zu werden, der er ist.«
»Mehr Ehrungen, als Sie im letzten Jahr zu Ihrem achtzigsten Geburtstag erfahren haben, sind kaum möglich«, fuhr Kowollek fort und zählte sie alle auf: »Die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin, die Goldene Staatsmedaille, das Adlerschild des Deutschen Reiches, überreicht vom Reichspräsidenten persönlich …«
Liebermann lachte verschmitzt. »Den Hindenburg habe ich auch porträtieren dürfen. Bei allen unterschiedlichen politischen Auffassungen hatten wir dennoch Respekt voreinander.«
So ging es eine halbe Stunde lang, und Kowollek war schon nahe daran zu verzweifeln, als sich endlich eine Gelegenheit bot, über Heinrich Zille zu reden, ohne dass Max Liebermann hellhörig wurde.
»Womit beschäftigen Sie sich derzeit vorrangig?
»Mit einer Ausstellung der Berliner Secession, die im Herbst dieses Jahres eröffnet wird. Das Thema lautet: Humor in der Malerei.«
»Sicherlich steht Ihr Freund Heinrich Zille im Mittelpunkt«, rief Kowollek.
Liebermann seufzte. »Ach, der Arme …« Er führte Kowollek und den Photographen in eine Art Galerie, in der auch eine Lithographie seines Freundes hing: Zille und sein »Milljöh« gratulieren Max Liebermann. Darauf waren sie alle zu sehen: die dicke Frau mit einem Email-Eimer in der Hand, der Kriegsveteran mit Kiepe und Krücke, der Lude mit seiner Schiebermütze, die junge Mutter mit ihrem Balg auf dem Arm, die vielen frechen Gören … An ihrer Spitze stand Heinrich Zille, der Liebermann seine Glückwünsche aussprach. Unter der Zeichnung war ein kurzer Text zu lesen: Und ich sage mit mein janzet Milljöh:
»Maxe, du bist ooch unser lieber Mann!«
Kowollek staunte ein wenig, denn richtig Berlinerisch wäre doch »ick« statt »ich« gewesen, »unsa« statt »unser« sowie »lieba« statt »lieber«. Und bei »sage« wäre »sare« oder »saje« angebrachter gewesen. Bei diesem Text schien jemand am Werke gewesen zu sein, der die Sprache der unteren Schichten nicht so flüssig beherrschte wie Heinrich Zille.
»Kommt das in die Ausstellung?«
Max Liebermann zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht so recht …«
Kowollek entschloss sich, aufs Ganze zu gehen. »Sagen Sie, Herr Professor, sind denn Zilles Zeichnungen wirklich so einzigartig? Unser Chefredakteur ist fest davon überzeugt. Ich meine aber, dass Sie eine Lithographie wie diese im Handumdrehen auch hinbekommen würden. Auf dem Weg zu Ihnen haben wir einen Jungen gesehen, der Pferdeäppel aufsammelte. Das wäre doch ein typisches Zille-Motiv. Bildunterschrift: Siehste, mein Junge, ooch für unsaeens liejt det Jold uff de Straße.«
Max Liebermann kratzte sich den kahlen Schädel. »Det müsste schon zu machen sein.«
Schon hatte er einen Skizzenblock aufgeschlagen und nahm einen Stift in die Hand.
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