Skandal um Zille. Horst Bosetzky

Skandal um Zille - Horst Bosetzky


Скачать книгу

      Johannes Banofsky war nicht der Typ von Mensch, der Selbstmord beging, wenn er nicht mehr aus noch ein wusste, aber er hätte nichts dagegen gehabt, wenn ihn der Tod in diesen Tagen geholt hätte. Doch der zierte sich. Keine Straßenbahn, mit der Banofsky unterwegs war, kippte in einer Kurve um, noch überrollte ihn eine, wenn er gedankenverloren die Gleise überquerte. Kein Mieter in seinem Haus drehte den Gashahn auf und ließ das ganze Gebäude in sich zusammenstürzen. Kein tödlicher Bazillus wollte sich in Banofskys Körper einnisten, und auch der Schlaganfall suchte sich andere Opfer.

      Banofsky blieb nichts anderes übrig als zu begreifen, dass er weiterhin zum Leben verurteilt war. Was seine Kontaktaufnahme mit Heinrich Zille betraf, war er sich mit Cilly einig, dass er nicht mit der Tür ins Haus fallen durfte, sondern einen Türöffner brauchte. Aber wer kam dafür in Frage? Die Wahl musste gut bedacht werden. Also stürzte sich Banofsky erst einmal auf das Thema Tonfilm, denn das war der Dernier Cri. Wenn er einen Produzenten von einem biographischen Zille-Film überzeugen wollte, musste er über dieses neue Verfahren bestens Bescheid wissen.

      Mit Erich Pommer, dem Produktionschef der U FA, hatte er schon einige Male zu tun gehabt, und so gelang es ihm, schnell einen Termin für ein Gespräch zu bekommen. Er fuhr hinaus zu den Studios an der Oberlandstraße in Tempelhof.

      Pommer war nicht sonderlich gut gelaunt. »Metropolis hat uns allen viel Ruhm und Ehre eingebracht und wird als bester deutscher Stummfilm aller Zeiten in die Geschichte eingehen, aber er hat fünf Millionen Reichsmark gekostet, und die Einführung des Tonfilms traut man mir offenbar nicht zu – meine Ablösung steht schon bereit.«

      »Schade …« Banofsky hatte voll auf Erich Pommer gesetzt.

      »Aber der Tonfilm als solcher wird kommen?«

      »Sicher, sein Siegeszug wird unaufhaltsam sein, vorerst aber geht es nur langsam voran, weil mehrere Firmen erbittert darum kämpfen, ihr System weltweit durchzusetzen und damit Riesengewinne zu machen: Die deutsch-niederländische Gruppe Küchenmeister-Tobis-Klangfilm, Warner Brothers aus den USA und die Tri-Ergon-Musik-AG aus der Schweiz. Noch blockiert man sich gegenseitig, aber irgendwann wird man sich einigen – und dann wird es steil bergauf gehen mit dem Tonfilm. Schluss mit den Untertiteln, Schluss mit dem Gefühl, dass wir nur taubstumme Schauspieler haben!«

      »Sind Sie sich da so sicher?« Banofsky zweifelte. »Ich kann mich erinnern, schon im September 1922 im Alhambra-Kino am Kurfürstendamm gesessen zu haben, als der erste deutsche Tonfilm gezeigt wurde. Das ist immerhin bereits sechs Jahre her.«

      Erich Pommer nickte. »Der lief damals mit Lichttonspur.« Er sah auf die Uhr. »Nun zu Ihrer Idee …«

      Banofsky berichtete, wie er geradezu besessen davon war, Zilles Leben auf die Leinwand zu bringen. »Ganz Berlin liegt ihm zu Füßen, ein solcher Film müsste sich doch rechnen.«

      »Ich weiß nicht recht. Vergessen Sie nicht, mein Lieber, dass Heinrich Zille nur ein Berliner Thema ist und nicht alle Deutschen diese Stadt und ihren – Pardon! – teilweise fürchterlichen Dialekt lieben. Da wäre manchen ein Stummfilm wesentlich lieber.«

      Banofsky musste schlucken. »Machen Sie mir nicht meinen Traum kaputt!«

      »Das war nicht meine Absicht!«, rief Erich Pommer.

      »An wen könnte ich mich wenden, wenn die U FA ausscheidet?« Pommer überlegte einen Augenblick. »Gehen Sie zu Otto Guttenberg, der hat für alles Berlinische ein mächtiges Faible.« Banofsky bedankte sich, lief zum Bahnhof Hermannstraße und fuhr mit der Ringbahn eine Station bis Neukölln. Dann lief er knapp einen Kilometer und fuhr anschließend mit der U-Bahn bis zum Bahnhof Friedrichstadt. Von da aus war er schnell in der Leipziger Straße, wo er mit Cilly im Kempinski zum Mittagessen verabredet war. Dort waren die Preise erfreulich zivil.

      Sie fanden einen freien Tisch im Burgensaal, dessen Wände Gemälde der Burg Rheinstein, der Wartburg und der Schlösser Eltz und Heidelberg zierten.

      »Das ist keine große Kunst«, urteilte Banofsky streng, aber treffend. »Da hätten sie besser Zille rangelassen.«

      »Von dem kommst du gar nicht mehr los!«, rief Cilly.

      »Genauso wenig wie von dir.« Er küsste sie so intensiv, wie das in der Öffentlichkeit überhaupt möglich war.

      Ein Ober räusperte sich.

      Banofsky lachte. »Ich weiß, Sie haben Angst um Ihre Gläser. Wenn Sie die bitte abräumen wollen, damit meine Braut und ich hier ungestört auf dem Tisch …«

      »Mein Herr, dürfte ich Sie bitten, unser Haus sofort zu verlassen!«

      »Sehr gern …«

      Banofsky zog Cilly mit sich fort. Die sträubte sich und war böse über seinen Auftritt. »Wir sind hier nicht das Kabarett der Komiker!«

      »Leider! Aber die Größe des Saales hat mich an den Reichstag erinnert.«

      Den Witz verstand Cilly nicht, und Banofsky konnte sie auch nicht mit dem Vorschlag versöhnen, bei F. W. Borchardt an der Französischen Straße zu speisen.

      »Bist du verrückt? Wer soll denn das bezahlen?«

      »Keiner. Ich hatte an Zechprellerei gedacht.«

      Sie einigten sich schließlich auf die Charlottenklause in der Charlottenstraße, weil die ihren Namen in Zille-Klause geändert hatte und sie hoffen konnten, Heinrich Zille dort zu treffen. Doch er war nicht da.

      »Schade, dass das Leben kein Film ist«, sinnierte Banofsky.

      »Sonst hätte ich eine Szene in das Drehbuch geschrieben, in der ich Zille hier in seiner Klause treffe – inmitten seiner Bilder.«

      »Was nun?«, fragte Cilly.

      »Ich werde mich bemühen, so viel wie möglich über Zille zu erfahren.« Dann kam Banofsky auf den Türöffner zu sprechen, an den er am Morgen gedacht hatte. »Ich muss jemanden finden, der mir den Weg zu Zille ebnet, einen engen Freund, nicht nur einen Bekannten wie Kurt Tucholsky.«

      »Wie wäre es mit Claire Waldoff?«, fragte Cilly.

      »Nein, ich glaube nicht, dass sie sich dazu bereit erklären würde. Ich werde nachher gleich anfangen zu suchen.«

      Die Wirtin kam, sie gaben ihre Bestellung auf und redeten dann über Cillys verzweifelte Suche nach Arbeit.

      »Bei den Theaterleuten habe ich keine Chance«, jammerte sie.

      »Die von den seriösen Häusern sehen mich als kleines Dummchen, das ihre Stücke nicht versteht, und bei der leichten Muse bin ich denen zu interlektuell.«

      Banofsky vermied es, sie zu verbessern. »Also gilt für dich dasselbe wie für mich: Nur der Tonfilm kann die Rettung bringen!« Sie stießen darauf an, wenn auch nicht mit Champagner, sondern nur mit Mineralwasser und Pils.

      Danach gingen Banofsky und Cilly in eine große Buchhandlung in der Friedrichstraße und sahen sich alle Zille-Alben an, die in den Regalen standen.

       Kinder der Straße. 100 Berliner Bilder

       Erholungsstunden

       Berliner Luft

       Mein Milljöh. Neue Bilder aus dem Berliner Leben

       Berliner Geschichten und Bilder

       Rund um’s Freibad.

       Rings um den Alexanderplatz

      »Das kann sich sehen lassen!«, fand Cilly.

      Banofsky war beim Durchblättern eines Bandes auf eine Zeichnung mit einem Hund gestoßen. »Siehst du, das wäre der Unterschied zwischen einem Bild und einem Film: Im Film würde der Hund jetzt mit dem Schwanz wedeln, und man könnte ihn bellen hören.«

      Um das zu verdeutlichen, bellte er wirklich. Einige Kunden guckten pikiert. Ein Buchhandlungsgehilfe kam sogleich herbeigeeilt.

      »Wie


Скачать книгу